Die Tomate ist im zweiten Anlauf an der Nordsee wohlbehalten angekommen, aber fangen wir beim Anfang an:
Da das Gravelbike nicht einsatzfähig war, kam ein neu aufgebautes Trekkingrad zum Einsatz.
Die Deutsche Bahn wollte mich nicht zum Startpunkt bringen, wo ich den ersten Versuch vor zwei Wochen abgebrochen haben: Alle Fahrradplätze in den passenden Zügen waren ausgebucht. Daraufhin habe ich es einfach umgekehrt gemacht und bin mit dem Zug nach Norddeich gefahren. Auch die Bahn hat meine Vorliebe für das Emsland geteilt und der IC fuhr ohne Halt von Rheine bis Emden. In Norddeich kam das, was im Norden immer hat: Wind. Diesmal aus Nordost, also halber Gegenwind. Für die 40 km sollte es aber reichen, von 15 Uhr bis zum Nachtquartier bei der Verwandschaft anzukommen. Mit 18 km/h hart am Wind war der Gegenverkehr fast das größere Problem. Von den wenigen Rennradfahrern abgesehen, waren 90% E-Bikes, die gemütlich mit dem Wind oft nicht aufgepasst haben. In Hilgenriedersiel, einer von 50 Orten Deuschlands, die man laut
Stern gesehen haben muss, habe ich eine kurze Pause am "Strand" eingelegt.
Der Blick auf Norderney ist sehr schön, aber Baden war mangels Wasser nicht möglich. In Accumersiel gab es Blick über den Hafen auf die Fähre nach Langeoog, die ganz klein am Horizont in Richtung Bensersiel unterwegs war.
Allerdings war die Fähre fast früher als ich dort, denn direkt anschließend wurde das Fahrverhalten des Hinterrades merkwürdig schwammig und der Blick nach unten bestätigte den Verdacht: Plattfuß. Netterweise hat ein Mitarbeiter des Wasserwerkes mir mit dem Kompressor ausgeholfen, und es ging schnell weiter, aber Luft alleine hilft nicht, wenn man die Ursache nicht kennt. Nach einem Kilometer war wieder Schluss, mitten im Niemandsland am Deich zwischen den Orten. Also schnell den
Schlauch gewechselt und die
Pumpe gesucht. Im Gepäck war sie nach unten gerutscht, aber beim Anblick der
Pumpe hatte ich meine Zweifel. Die Gute war noch am Gravel und ich hatte nur eine alte Ersatzpumpe dabei. Die brachte es nur auf gefühlt zwei Bar. Die anderen Leute, die vorbei fuhren, hatten nichts besseres, meist sogar gar nichts dabei. Mit dem Druck war nur besseres Rollen möglich, denn bei kleinen Schlaglöchern war Gefahr, dass die Felge aufsetzte. Nach 5 km war Bensersiel erreicht und hier hoffte ich an einer Tankstelle zumindest Luft Tanke zu können. Aber es kam besser. Der angegliederte Fahrradverleih hatte nicht nur einen Kompressor, sondern auch eine vernünftige
Pumpe. Mit vollem Druck waren die letzten 8 km ins Hinterland kein Problem, zumal der Wind dann nur noch quer kam. Beim Auspacken stellte sich heraus, das die Tomate etwas gelitten hatte, aber mit etwas Wasser in der Nacht durfte sie am nächsten Morgen ins gerade fertig gewordene Gewächshaus.
Ich bekam etwas mehr als nur Wasser - ein Abendessen und ein Frühstück waren die Grundlage für die Rückreise. Der Wind hatte über Nacht nachgelassen, aber es war sonnig und angenehm warm. Eine Tante wohnte noch am Wege, die sich über keine kurzen Besuch freute, wobei kurz in Ostfriesland nicht geht. Es müssen mindestens drei Tassen Tee sein. Die Belohnung war der Wind. Er hatte aufgefrischt und kam aus Nordost. Besser geht es kaum. Auf guten Wirtschaftswegen ging es zügig Richtung Heimat. Nach 2 Stunden waren knapp 50 km auf dem Tacho, also plötzlich ein lautes Zischen den zügigen Druckverlust begleitete. Der Mantel hatte einen Durchstich auf der Flanke, direkt neben dem Pannenschutz. Der
Schlauch vom Vortag war geflickt und mit der neuen
Pumpe auf schnell auf Druck gebracht. Da konnte die Fahrt zügig weitergehen. Ohne Anstrengung war auf den schutzlosen Strecken vor dem Wind 30 km/h kein Problem. Die einzigen Hindernisse waren die Wasserwege. Das erste, die Jümme, habe ich auf einer alten, von der Strömung angetriebenen
Seilfähre überwunden
Zu der Zeit war der Ebbstrom im vollen Gange, obwohl es bis zum Meer über 50 km sind. Zwei Stunden später wäre erst mal eine längere Pause angesagt gewesen, bis die Flut kommt. Der zweite Fluß, die Leda, hatte immerhin eine Brücke, die sich rühmt, die
schmalste Autobrücke Deutschlands zu sein (1,80 m zeigt das Verkehrsschild, tatsächlich ist sie breiter).
Kurz hinter der Brücke traf ich auf die
Radweit-Strecke Norddeich-Düsseldorf, der ich bis Salzbergen folgen wollte. Geradeaus Richtung Süden ging es an (Wind-)Kanälen
entlang (die Kamera war noch auf "Strand" eingestellt, daher etwas falsch belichtet) und durch das ehemalige Moor auf kilometerlang geraden Straßen und Wegen
Hier war auch der sonst überall vorhanden Rad-Ausflugsverkehr deutlich weniger geworden.
Die Gleichförmigkeit der Landschaft hörte erst auf, als auf den Hümmling ging. Mit 70 m dort schon ein richtiges Gebirge, das eine andere Überraschung hat: Den Schießplatz Meppen
in dem die Wege auch schon mal gesperrt sein können. Aber über Pfingsten war alles offen. An einem kleinen Ort, der von drei Seiten vom Übungsgelände eingeschlossen ist, habe ich am Friedhof die Wasserflaschen gefüllt. Als ich aus dem Friedhof herauskam, hatte ich auf das Feld gegenüber geschaut und traute meinen Augen nicht. Die Feldkultur war sehr ungewöhnlich
Sollte jemand die Koordinaten haben wollen, bitte per PM ansprechen

Aber es gab nicht nur neue Feldkultur, sonder auch ältere Baukultur
Schloss Clemenswerth
und noch ältere Baukultur
Ein Steinzeitgrab.
Ganz so alt wie das Grab waren die Straßen nicht, aber ab hier häuften sich die Strecken mit alten, geteerten Wirtschaftswegen, die in schlechtem Zustand waren. Mit dem Trekking-Rad war es unangenehm zu fahren, mit dem Rennrad wäre es eine Zumutung gewesen (
@queruland Insofern würde ich meinen Tipp für die Radweit-Strecken für deine Ostsee-Tour stark einschränken). Das einzige, was auf diesen meist offenen Abschnitten gut war, war der geringe Verkehr und der stramme Nord-Ost der diese Abschnitte zumindest zeitlich verkürzt hat. Nach 200 km in etwas über 9 Stunden (netto) war Salzbergen am Abend erreicht, der bislang schnellste 200er meiner Brevet-Karriere. Da war die Versuchung groß, einfach weiter zu "segeln", aber das Ruhrgebiet hatte ich vor zwei Wochen schon bei Nacht und Nebel genossen und so kurz nacheinander muss das auch nicht sein, da habe ich der bereits gebuchten Bahnfahrt den Vorzug gegeben.