Na denn; Aus dem Tourtitantest:
Die Rubrik Kurz und knapp
Der Test zeigt: Der Reiz von Titan liegt vor allem in der edlen Anmutung des Werkstoffes und handwerklicher Perfektion. Technisch bieten Alu und Carbon mehr Potential. Der Testsieger "Litespeed Ghisallo" ist ein aufwändig konstruierter Rahmen, der technisch das Niveau guter Alurahmen erreicht - aber das vierfache kostet. Moots und Serotta sprechen her konservative Kunden an: Klassischer Auftritt, toll verarbeitet, technisch solide. Gäbe es einen Preis für den am besten verarbeiteten Rahmen der Welt, der Moots wäre ein heisser Anwärter. Merlins Extralight zeigt den Fortschritt der letzten Jahre: Der Rahmen ist schön, aber technisch nicht mehr up to date.
...Ach ja, und dann ist da noch der viel gepriesene werkstoffspezifische Fahrkomfort, den Titanrahmenangeblich bieten. Bei genauerer Betrachtung bleibt von diesem Vorteil allerdings wenig übrig. Wenn Titanrahmen so etwas wie spürbaren Fahrkomfort vermitteln, dann ist dies immer Folge einer geringen Torsionssteifigkeit; seitliche Ausweichbewegungen des Rahmens mögen den Komforteindruck auf schlechten Strecken zwar verbessern. Die Fahrsicherheit leidet jedoch darunter.
Die getesteten Rahmen liegen in dieser Disziplin - mit Ausnahme des leichten, etwas unterdimensionierten Merlin - im grünen Bereich. Zwar ist keiner der Rahmen definitiv flattersicher. Geübte, nicht zu schwere Fahrer sollten damit allerdings keine Probleme haben. Die stellen sich eher beim bLick auf die Preise der US-Titanen ein. Ein Testfeld mit einem durchschnittlichen Rahmenpreis von € 3.500,- gab es bei der Tour noch nie.
Getestet wurde ein Merlin Extralite mit Campa Chorus, Neutron, Reynolds Ouzo Pro Vollcarbongabel, Chris King Steuersatz klassisch 1-1/8, Vorbau und Lenker ITM Mantis, Flite und Easton EC 70 Sattelstütze.Gewicht: 1.241 & 459 gr.
Fahrcharakteristik: träge / Sitzposition: sportlich / empfohlenes Fahrkönnen: Profi bis Routinier
Punktwertung: Kraftübertragung: 10 (86 Nm/°) Fahrstabilität: 4 (60 Nm/°) Seitensteifigkeit Gabel:11 (46 N/mm) Gewicht Rahmen/Gabel: 10 und Komfort: 6 dazu Lack/Finish/Bedienungsanleitung/Garantie: 5/5/1/3 Macht insgesamt: 55 Pkt.
Einzelbeurteilung: Der Extralight-Rahmen ist der Klassiker des Titanpioniers Merlin. Auch nach mehr als 10 Jahren hat er nichts von seinem optischen Reiz verloren. Der matte Glanz der gebürsteten Oberfläche fasziniert genauso wie die perfekten Schweissnähte. Liebevolles Detail: Das ins Steuerrohr eingravierte Merlinlogo mit dem Falken als Wappentier. Mit 1.241 gr. zählt der Extralite noch immer zu den Leichtgewichten unter den Titanrahmen. Im Vergleich mit dem Ghisallo der Konzernschwester Litespeed wird allerdings deutlich, dass die Konstruktion mit moderaten Rohrdurchmessern in die Jahre gekommen ist. Die Lenkkopfsteifigkeit von 60 Nm pro Grad liegt knapp unter dem Niveau klassischer Stahlrahmen. Sie wird zwar zum Teil ausgeglichen durch die seitensteife Gabel und das standfeste Vorderrad von Campagnolo, dennoch kann der Rahmen auf schnellen Abfahrten ein unerwünschtes Eigenleben entwickeln. Wir können ihn deshalb nur leichten, erfahrenen Piloten empfehlen. Denen passt auch die sportliche Sitzposition, die das Resultat aus gleich langem Sitz und Oberrohr ist. Der lange nachlauf macht das Lenkverhalten träger. Agiler würde das Rad durch eine größere Gabelvorbiegung; der Gabellieferant Reynolds hat entsprechende Modelle im Programm.
Fazit: Für Liebhaber klassischer Rennrad-Optik und gediegener Handwerkskunst, die ein in Grenzsituationen labiles Fahrwerk zu beherrschen wissen.
So weit die Tour zu dem Thema. Ich finde den Falken immer noch Scheisse!
Gruß, Rigo