AW: Sattelstütze des Teufels!
Mag das Ausreiben nach dem Löten ein übliches Verfahren sein und die dabei praktizierte Materialwegnahme von den berechneten Festigkeiten abgedeckt sein, ist das nochmalige Ausreiben aus Gründen der Bequemlichkeit gegenüber einer gründlichen Suche nach einer passenden Sattelstütze eine erneute Schwächung des Rohres, der nicht bei der Bemessung der Wandungsstärken Rechnung getragen werden konnte, denn niemand im Herstellerwerk hätte wissen können, daß irgendwann einmal ein Hobbymechaniker dem dünnwandigen Rohr mit einem Ausreiber zu Leibe rücken würde.
Es ist Pfusch, was das Technische betrifft, unsägliche Idiotie, was den freiwilligen Weggabe von Stabilität zugunsten einer schnellen Lösung anbelangt, die ohne eine zeitkonsumierende Suche nach einer passenden Stütze auskommt und dazu Vandalismus am Originalzustand. Sicher, man sieht es nicht, niemand wird beim nächsten Sammlertreffen mit dem Finger darauf weisen - unter strengen konservatorischen Maßstäben jedoch ist es von Belang, denn man hat die Grundsubstanz des Rades unnötig verändert und späteren Besitzern durch den Rückfall in Bequemlichkeit die Sicht auf die ursprüngliche Erscheinung des Rades genommen.
Es ist eine zerstörerische und irreversible Veränderung, genauso rabiat wie ein Neulackierung bei noch vorhandem Originallack und technisch genauso riskant wie eine Neuverchromung einer Gabel, bei der durch Schleifen, Polieren und durch die Wasserstoffversprödung dem Stahl hart zugesetzt wird - also aus technischer Sicht unsicher und nach Maßstäben eines respektvollen und zurückhaltenden Umganges mit den Dingen, deren Besitz einem nur für eine vergleichsweise kurze Zeit geschenkt wurde, ein totaler Kahlschlag.
Es mag halten, vielleicht sehr lange, vielleicht aber auch nur eine kleine Weile. Das Problem ist, daß es sich nicht ausrechnen läßt und zuviele Faktoren zu berechnen sind: benötigte Höhe der herausragenden Stütze und Fahrergewicht (Hebelkraft), Materialdicke und gute Verarbeitung der Sattelmuffe. Ein häufig gemachter Fehler ist es, beim Messen des Sattelrohrwandungsstärke zu vergessen, daß die Muffe von geplanten Ausrebeattacken verschont bleibt, da sie um das Rohr von außen umfaßt und somit auch von der Abspanung unberührt bleibt.
Sattelstützen gab es in weit mehr Duchmessern, als gemeinhin bekannt ist und wirklich alles läßt sich heute noch bekommen, Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Als ich eine 24.0 mm Patentstütze suchte (ich beziehe mich hier auf eine parallel hierzu laufende Diskussion im „Diamant"-Forum), brauchte ich nur eine Woche, um eine Simplex-Patentstütze in diesem Maß aufzutun, die seitdem ungenutzt hier herumliegt. 27.0 mm-Stützen in 24 cm Länge habe ich insgesamt drei Stück, alle aus Stahl und mit geschlossenem Dom, wie er Rädern bis in die 50er, teilweise noch früher 60er Jahre gut zu Gesicht steht.
Es ist wirklich kein Problem, seine Bedürfnisse in Stützen zu befriedigen ohne zu dilettantischen „Instant-Lösungen" zu greifen, die einem wirklichen Kenner und Liebhaber historischer Rennräder niemals in den Sinn kämen, denn dessen Augenmerk ist auf das Bewahren und den respektvollen Umgang gerichtet.