Aber, zum Teufel, was kann dieses Rad dann eigentlich? Was ist seine Rolle?
Mit einigen Jahren Verspätung den Retro-Vintage-Hype befriedigen bei Leuten, die von Fahrrädern nicht viel Ahnung haben? Und dabei noch dem aktuellen Gravel-Hype folgen?
Fehlt noch der Aero-Hype (Aero-Gravelräder gibt es immerhin wirklich), der Bikepacking-Hype, der Sloping-Hype, der Sitzstreben-tiefer-am-Sitzrohr-Hype, der 1x-Antrieb-Hype, der Nach-unten-geknickte-Kettenstreben-Asymmetrie-Hype, der Scheibenbremsen-Hype, ...
Aber mal im Ernst:
Wer heute klassische Stahlrahmen bauen will, findet dafür eine größere Auswahl an schönen, schlanken, toll gefertigten Muffen, als damals. Teuer sind die auch nicht, also spricht nichts für die eher klobigen Teile, die auf den Fotos zu sehen sind. Mit der Auswahl an Rohren und -qualitäten sieht es ähnlich aus, auch das ist nicht teuer, wenn es nicht rostfrei sein muss.
Wer heute ein Rad bauen will, das klassisch aussieht, gut bremst und trotzdem Platz für fette Reifen hat, findet dafür eine brauchbare Auswahl sehr ordentlicher Mittelzugbremsen samt passender Hebel (aber mit STI bremsen die auch), z.B. bei Dia Compe. Die sehen dann auch klassisch aus, weil sie im Grunde genommen garnicht anders sind, als damals. Wer das wirklich schön umsetzen will, verwendet auch gleich die dafür angebotenen Rahmensockel, aber das wäre natürlich ein weiterer Arbeitsschritt mit weiteren Kosten - ebenso, wie die nötigen Zughalterungen für Mittelzugbremsen. Und wer noch mehr Reifenfreiheit und Bremskraft braucht, könnte zu BMX-U-Brakes greifen, die immernoch besser und hochwertiger aussehen als die hier verbauten Seitenzugbremsen.
Andererseits wären Cantis auch historisch korrekt und können ordentlich bremsen. Mini-Vs können das alles am besten, sehen aber nicht mehr klassisch aus.
Weil aber streng genommen das Gesamtergebnis jetzt auch nicht wirklich klassisch aussieht und jedem, der sich nicht erst seit ein paar Jahren für Rennräder interessiert, als relativ plumper Nachbau auffällt, könnte man auch sagen: Wir machen das gleich gescheit.
Mit schlankem Stahlrahmen, von mir aus notfalls auch Muffen und auf jeden Fall waagerechtem Oberrohr, aber mit
ansehnlichen Bremsen, sinnvoller Reifenfreiheit (2,5" müssen da nun wirklich nicht passen) und z.B. 1x11-Antrieb. Schlanke Kurbeln gibt es auch heute noch neu, wenn man auf Pressfit und extra fette Wellen verzichten kann; Vierkant muss dabei nicht mal Pflicht sein, Hollowtech 2 geht auch.
Das Ergebnis wäre dann ein Rad mit wirklich klassisch aussehendem, fein verarbeiteten Rahmen, ggf. mäßigen Oversize-Rohren, unverwüstlich-idiotensicherem Antrieb mit mittenorientierter Abstufung ohne Untersetzung oder 53-11-Unfug (damit das noch mit einem zierlichen Rennradschaltwerk funktioniert), ordentlichen Felgenbremsen (was auch heute noch jederzeit mehr als ausreichend ist) und Lenkerendhebel oder einzelnem STI an einem leichten Rennlenker mit wenig Klemmdurchmesser ("federt") und relativ wenig Reach & Drop ("kann man auch als normaler Mensch mit fahren").
Schutzbleche und Gepäckträger optional, Ösen für beide auf jeden Fall - je versteckter, desto besser.
Keine Wäscheleinen, keine extra Klemmschellen für irgendwelche Züge: Verzicht auf klassische Anmutung überall dort, wo es die Funktion verschlechtern würde.
Ein schön anzusehendes, haltbares Vielzweck-Rad deutlich unter 10 Kilo, mit dem man so ziemlich alles tun kann, was normale Menschen mit Fahrrädern auf halbwegs befestigten Wegen eben wirklich tun können (nicht wollen, nicht einbilden, nicht versprochen bekommen).