Wenn’s schnell gehen muss, ist das Team Visma | Lease a Bike normalerweise auf dem Cervélo S5 unterwegs – gelegentlich wird für Bergetappen auch mal der Kletter-Spezialist R5 ausgepackt. Doch Paris Roubaix, die Königin der Klassiker, ist auch aufgrund der 30 Pavé-Sektoren ein ganz besonderes Rennen. Und genau hierfür ist das Cervélo Soloist, das aerodynamischer als das R5, gleichzeitig aber auch leichter als das S5 ist, genau die richtige Wahl. Zwar hat Pauline Ferrand-Prevot das Rennen der Frauen letztlich auf dem Cervélo S5 für sich entscheiden können, doch das gesamte Männer-Team war auf dem Soloist unterwegs. Wie es sich für ein Rennen wie Paris Roubaix gehört, konnte man an den Team-Rädern allerlei spannende Details und Modifikationen entdecken. Wir haben uns das Arbeitsgerät von Niklas Behrens, der seit diesem Jahr für das niederländische Team fährt, genau angeschaut.

Arbeitsgerät: Cervélo Soloist Paris Roubaix-Edition von Niklas Behrens
- Fahrer Niklas Behrens (1,95 m, 80 kg)
- Team Visma | Lease a Bike
- Rahmen Cervélo Soloist, RH58
- Geometrie Reach: 401 mm / Stack: 590 mm / Kettenstreben: 410 mm
- Laufräder Reserve 42|49-Felgen mit Gravaa-System
- Reifen Vittoria Corsa Pro / 32 mm vorne & hinten / Tubeless
- Cockpit Vision Metron 5D ACR EVO
- Schaltung SRAM Red 1×12 / 56 x 10-33 Zähne
- Bremsen SRAM Red / 140 mm vorne / 140 mm hinten

Die Basis: Cervélo Soloist im S5-Pelz
Das Cervélo Soloist wird vom Team Visma | Lease a Bike ziemlich genau einmal im Jahr aus dem Material-LKW geholt – nämlich dann, wenn Paris Roubaix ansteht. Der schnelle Allrounder von Cervélo ist deutlich aerodynamischer als das R5 und rennorientierter ausgelegt als das komfortable Caledonia-5, aber gleichzeitig auch leichter als das S5. Durch seine Service-Freundlichkeit und den für Cervélo-Verhältnisse erschwinglichen Preis richtet sich das Soloist in erster Linie an Hobby-Rennfahrer, die ein schnelles Rad für alles suchen. Für Paris Roubaix ist das Soloist für das Männer-Team von Visma | Lease a Bike die optimale Wahl.

Die Strecke im Nordosten Frankreichs hat praktisch keine Höhenmeter, weshalb auch das Gewicht des Rades eine untergeordnete Rolle spielt. Für solche Gegebenheiten ist eigentlich das Aero-optimierte S5 prädestiniert. Laut Aussage des Teams bietet das Soloist aber mehr Komfort, ohne deutlich langsamer zu sein – was insbesondere auf den harten Kopfsteinpflaster-Abschnitten von Paris Roubaix eine enorm wichtige Rolle spielt. Aus diesem Grund hat sich die Männer-Equipe von Visma | Lease a Bike für das Soloist entschieden, auch wenn Wout van Aert zumindest im Vorfeld auch auf dem S5 auf einigen Abschnitten unterwegs war. Das Frauen-Team war hingegen geteilter Meinung. Pauline Ferrand-Prévot und Marianne Vos haben am Renntag zum S5 gegriffen und die Plätze 1 und 4 eingefahren. Für die schwereren Männer war hingegen klar, dass sie das Soloist fahren.

Der Fahrer: Niklas Behrens
Einer dieser Männer, der für das niederländische Team bei Paris Roubaix 2025 an den Start gegangen ist, ist Niklas Behrens. Seit dieser Saison fährt der Bremer für Visma | Lease a Bike und ist unter anderem amtierender U23-Weltmeister. Mit einer Größe von 1,95 m zählt Niklas zu den größten Fahrern im Feld und sollte bei Paris Roubaix vor allem Tempo-Arbeit für seinen Kapitän Wout van Aert machen. Dabei war er auf einem Cervélo Soloist in Rahmenhöhe 58 unterwegs. Generell hat man im Team den Ansatz verfolgt, das Soloist so aufzubauen, dass die Geometrie des Rahmens und der Kontaktpunkte letzten Endes der des eigentlichen Race-Bikes S5 entspricht. Die Position auf dem Rad war für Niklas also letztlich identisch – nur, dass das Soloist spürbar mehr Komfort insbesondere im vorderen Bereich gegenüber dem S5 bietet.
Laufräder und Reifen: Breit, komfortabel und verklebt
Die wohl wichtigste Frage bei Paris Roubaix ist jedoch die Reifen-Wahl. Das Cervélo Soloist ist – wie übrigens auch das Cervélo S5 – für bis zu 34 mm breite Reifen freigegeben. Allerdings hat das Team konsequent auf 32 mm breite Reifen aus dem Hause Vittoria gesetzt. Auf den verbauten Reserve 42|49-Laufrädern mit einer Felgen-Innenbreite von 24,5 mm bzw. 25,5 mm messen die Vittoria Corsa Pro-Reifen letztlich eher 33 als 32 mm, erklärt man uns. Theoretisch gibt es im Vittoria-Lineup den Corsa auch in 34 mm Breite, dann allerdings nur in der schwereren und langsameren Pro Control-Ausführung. Der 32 mm breite Corsa Pro sei hingegen der perfekte Kompromiss aus Speed, Komfort und Schutz.

Aufgezogen sind die Vittoria-Reifen auf die bereits erwähnten Reserve 42|49-Felgen aus Carbon. Die etwas schmalere Hinterrad-Felge hat eine Höhe von 49 mm, während die Vorderrad-Felge etwas flacher und dafür minimal breiter baut. Laut dem Team sind die Reserve 42|49-Laufräder die perfekte Wahl für die zahlreichen Frühjahres-Klassiker, weil sie sehr gute Aerodynamik-Eigenschaften mit dem nötigen Komfort verbinden. Auch am Kletter-Spezialisten R5 ist der Allround-Laufradsatz bereits erfolgreich zum Einsatz gekommen. Aufgebaut sind die Reifen tubeless – die genauen Reifendrücke wollte sich das Team verständlicherweise nicht entlocken lassen. Außerdem sind die Reifen, nachdem sie tubeless aufgezogen worden sind, für Paris Roubaix anschließend noch verklebt worden. Das soll vermutlich dafür sorgen, dass die Reifen auch bei einem Defekt noch auf der Felge bleiben, statt sich ins Laufrad zu wickeln, damit immerhin der Weg zum Begleitfahrzeug etwas zügiger funktioniert. Auf Inserts im Inneren der Reifen verzichtet das Team hingegen. Diese würden zwar sehr gute Notlauf-Eigenschaften bieten, doch in einer Rennsituation müsse das Arbeitsgerät ohnehin so schnell wie möglich getauscht werden, wenn man Chancen auf die vorderen Plätze haben will.

Reifendruck on the fly anpassen: Gravaa machts möglich
Der interessanteste Aspekt an den Laufrädern und insgesamt am Cervélo Soloist von Niklas Behrens ist aber zweifelsohne das Gravaa-System, das sich in den proprietären Naben verbirgt. Im Vergleich zu herkömmlichen Naben sind die Gravaa-Naben deutlich voluminöser und beinhalten ein System, mit dem man vom Lenker aus per Knopfdruck den Luftdruck in den Reifen anpassen kann. Das Team Visma | Lease a Bike arbeitet eng mit dem R&D-Team von Gravaa, die ebenfalls aus den Niederlanden kommen, zusammen und hat laut eigener Aussage bei Paris Roubaix die frei verkäufliche Serien-Variante von Gravaa verwendet. Wer Interesse hat, kann also genau den verbauten Laufradsatz zum Preis von knapp 3.900 € im Webshop von Gravaa erwerben.
Neben den Naben sind die Laufradsätze mit Gravaa gut an der Verbindung zwischen Nabe und Ventil zu erkennen. Im Inneren der volumniösen Gravaa-Naben befindet sich eine Membranpumpe, deren Pumpenzylinder von einer Nockenwelle angetrieben werden. Bewegt wird die Nockenwelle durch die Rotation der Laufräder, was bedeutet, dass die Pumpe aus eigener Kraft betätigt wird. Das ist übrigens auch eine Grundvoraussetzung, damit Gravaa überhaupt zugelassen wird, denn elektronische Hilfsmittel sind im Renneinsatz grundsätzlich nicht erlaubt. Gravaa gibt an, dass das Aufpumpen durch das System nur etwa 4 Watt kosten würde.

Über eine pneumatische Kupplung und ein spezielles Booster-System kann der Druck, der durch die Pumpe in der Nabe aufgebaut wird, per Knopfdruck vom Lenker aus in die Reifen geleitet werden. Auch ein Ablassen der Luft ist möglich. Insgesamt können drei verschiedene Luftdrücke voreingestellt werden. Über das ANT+ Protokoll kann das Gravaa-System außerdem mit dem Radcomputer kommunizieren, sodass der aktuelle Luftdruck bequem auf dem Display angezeigt wird.

Welche Luftdrücke die einzelnen Fahrer von Visma | Lease a Bike an ihren Paris Roubaix-Rennrädern gefahren sind, war wohl das bestgehütete Geheimnis des gesamten Wochenendes. Eine konkrete Auskunft konnten wir dem Team nicht entlocken. Ganz generell wird der Luftdruck in den Reifen für die Pavés von Paris Roubaix natürlich abgesenkt, um die Reifen dann anschließend auf Asphalt wieder aufzupumpen. Allerdings kann der Druck nicht zu sehr gesenkt werden, wenn die Profis mit über 50 km/h übers Kopfsteinpflaster knallen – ansonsten sind Durchschläge und Defekte vorprogrammiert. Basierend auf unseren Beobachtungen haben die meisten Teams mit regulären Laufrad-Setups Drücke zwischen 3,1 und 3,4 bar für Paris Roubaix gewählt. Uns würde es wundern, wenn Team Visma | Lease a Bike auf den Pavé-Sektoren mit deutlich niedrigeren Luftdrücken unterwegs gewesen wäre. Denkbar wäre auch, dass das Team als weiches Setup einen ähnlichen Luftdruck eingestellt hat, aber gleichzeitig für die Asphalt-Abschnitte noch die voreingestellte Option eines deutlich höheren Luftdrucks hatte.

Gravaa hat eigene Tests durchgeführt, um die Effizienz des Systems zu belegen – und zwar auf dem Sektor Camphin-en-Pévèle, der oft vorentscheidend ist. Bei einer Geschwindigkeit von 35 km/h habe der Rollwiderstand mit einem Luftdruck von 2,5/3 bar auf Kopfsteinpflaster 220 Watt betragen, während es bei 4,5 bar 277 Watt waren – ein Effizienz-Unterschied von 20 % bei gleichzeitig deutlich höherem Komfort. Auf Asphalt bei 40 km/h habe der Rollwiderstand mit 3 bar 90 Watt betragen, während es bei 6 bar nur noch 66 Watt waren. Sofern die Zahlen der Realität entsprechen, dürfte Gravaa also für mehr Komfort und eine deutlich verbesserte Effizienz gegenüber einem starren Luftdruck in den Reifen sorgen. Gewichtstechnisch bringt das System pro Laufrad etwa 250 Gramm zusätzlich auf die Waage.


Ein interessanter Aspekt ist – auch bedingt durch das Gravaa-System – die Wahl der Bremsscheiben. Diese sind speziell an die Naben angepasst, sodass herkömmliche Bremsscheiben nicht verwendet werden können. Und da auf der flachen Strecke ohnehin kaum gebremst wird, hat sich das Team konsequent für 140 mm kleine Scheiben vorne und hinten entschieden. Die kleinen Scheiben haben den Vorteil, dass sie weniger Angriffsfläche bieten und resistenter gegen Schläge und Verbiegen als größere Ausführungen sind. Dazu sind sie auch (minimal) leichter.
Antrieb: 1×12 und kurze Kurbeln
Für Paris Roubaix war am Profi-Rennrad von Niklas Behrens eine SRAM Red 1×12-Schaltgruppe verbaut. Generell ist das Team eher selten mit 1x-Setup unterwegs – für die flache wie extrem erschütterungsreiche Strecke macht ein Setup mit einem einzelnen Aero-Kettenblatt jedoch viel Sinn. Praktisch alle SRAM-gesponsorten Teams, die wir vor Ort gesehen haben, waren ohne Umwerfer unterwegs.

Nicht ohne Grund konnte sich Niklas im vergangenen Jahr den Sprint Weltmeister-Titel in der U23-Kategorie sichern: Der Junge hat ordentlich Kraft in den Beinen. Das merkt man auch an der Übersetzung: Eine 10-33-Kassette trifft hier auf ein 56 Zähne großes Kettenblatt. Am Rad seines Team-Kollegen Wout van Aert war hingegen nur ein 54er-Blatt verbaut – ein kleiner, aber feiner Unterschied. Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme fungiert am Paris Roubaix-Arbeitsgerät von Niklas Behrens außerdem eine minimalistische Kettenführung von Wolf Tooth, die auf den Pavés Abwürfe der Kette verhindern soll. Gerade beim Anblick von Slow Motion-Aufnahmen glaubt man kaum, wie extrem die Kette auf dem Kopfsteinpflaster herumpeitscht. Da macht ein 1x-Antrieb in Kombination mit einer Kettenführung definitiv Sinn.


Ein sehr interessanter Aspekt ist die Kurbellänge. Hier hat vor allem Tadej Pogačar mit seinen kurzen Kurbeln und der damit einhergehenden höheren Kadenz im vergangenen Jahr einen regelrechten Hype ausgelöst. Dieser ist nun endgültig im World Tour-Zirkus angekommen, denn an vielen Rädern, die wir bei Paris Roubaix gesehen haben, waren kurze Kurbeln montiert. Ein Blick auf die Rückseite der Kurbeln von Niklas Behrens Cervélo Soloist zeigt: Trotz seiner Körpergröße von 195 cm ist der Visma-Fahrer aktuell auch auf 165 mm kurzen Kurbeln unterwegs. An deren Ende sind am Rennrad von Niklas Behrens Wahoo Speedplay Aero-Pedale montiert.

Sitzbereich und Cockpit: Komfort und Kopie des S5
Bei der Sattelstütze und der Position des Sattels fällt am Soloist des U23-Weltmeisters neben dem sehr stattlichen Sattelstützen-Auszug auch die Position des Sattels auf. Der verbaute Prologo-Sattel ist weit nach vorne geschoben und wird von der Aero-Sattelstütze maximal weit hinten geklemmt. Das dürfte wohl passiert sein, damit die Sitzposition auf dem Soloist der Position auf dem S5 maximal ähnlich ist.

Bei der Wahl des Cockpits haben die Fahrerinnen und Fahrer von Team Visma | Lease a Bike praktisch freie Wahl. Auch hier war das Ziel, die Lenker-Position möglichst 1:1 an die auf dem S5 mit der speziellen Lenker-Vorbau-Einheit anzupassen. Da der Komfort am Lenker bei Paris Roubaix aber eine entscheidende Rolle spielt und die Geschmäcker hier unterschiedlich sind, haben die Fahrer freie Hand.

Während sein Team-Kollege Wout van Aert aus Komfort-Gründen auf ein zweigeteiltes Cockpit gesetzt hat, war Niklas Behrens bei der diesjährigen Ausgabe eine Spur aggressiver unterwegs und hat seine Hände einem einteiligten Carbon-Cockpit von Vision anvertraut. Dabei dürfte es sich wohl um das Vision Metron 5D ACR EVO-Cockpit handeln, was aber schwer zu erkennen ist. Das liegt an der Wicklung des Lenkerbandes. Dieses ist nicht nur besonders eng und damit dick gewickelt, sondern auch bis fast in die Mitte gezogen, damit Grip und Komfort auch im Oberlenker gegeben sind.


Wie lief Paris Roubaix für Niklas Behrens?
An seinem Arbeitsgerät dürfte es nicht gelegen haben, dass Niklas Behrens bei seiner Paris Roubaix Elite-Premiere hinter seinen eigenen Erwartungen zurückgeblieben ist. Nachdem Wout van Aert zu Beginn des Rennens gestürzt war, musste Niklas schon früh im Rennen Tempo-Arbeit für seinen Kapitän leisten, was ordentlich Kraft gekostet hat. In der Folgezeit kam der Deutsche im Chaos der Pavés zweimal zu Sturz und musste die letzten 90 Kilometer nach Roubaix komplett alleine bestreiten.

Ins Ziel von Roubaix kam Niklas mit einem Rückstand von etwa 30 Minuten auf den Sieger Mathieu van der Poel – und durchaus nachvollziehbaren Sorgen, denn bei einem der Stürze war der Visma-Fahrer heftig auf das Schlüsselbein geknallt, das er sich vor einigen Wochen erst gebrochen hatte. Letztlich hatte er aber Glück im Unglück und beendete Paris Roubaix zwar mit mehr Rückstand als erhofft, aber auch ohne weitere Verletzungen. Darauf lässt sich in den kommenden Jahren definitiv aufbauen!

Wie gefällt dir das Cervélo Soloist von Niklas Behrens?
Alle Artikel zu Paris Roubaix 2025 auf Rennrad-News
- Paris Roubaix-Challenge 2025 – Mitgefahren!: 175 km echte Gefühle
- Team Visma | Lease a Bike-Arbeitsgerät: Cervélo Soloist für Roubaix von Niklas Behrens
- Paris Roubaix 2025: Einmal Hölle und zurück – Fotostory vom Rennen
- Paris Roubaix 2025 Profi-Rennräder: Technik-Highlights aus der Boxengasse
- Paris Roubaix 2025 Profi-Rennräder: Sieger-Bikes von Ferrand-Prevot und Van der Poel
- Paris Roubaix 2025: Alle Infos zum Spektakel in der Hölle des Nordens
15 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumViel Bohei bei Visma während Mathieu und Pogi auf ihren Standard-Rädern die Plätze Eins und Zwei belegen. Sollte es am Ende doch nicht primär auf's Material ankommen? Welch abwegiger Gedanke...
😛
Wir laden dich ein, jeden Artikel bei uns im Forum zu kommentieren und diskutieren. Schau dir die bisherige Diskussion an oder kommentiere einfach im folgenden Formular: