An seinem Lenker scheiden sich die Geister. Aber im Test bewies das Canyon Grail CF SLX, dass das Ganze mehr ist als sein Teil: Nämlich eines der komfortabelsten und gleichzeitig fahraktivsten Gravelbikes der Zeit zu einem sehr fairen Preis.
Steckbrief: Canyon Grail CF SLX
Einsatzbereich | Gravel |
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Rahmenmaterial | Carbon |
Gabel | Carbon |
Gewicht (o. Pedale) | 8,2 kg |
Stack | 0 mm |
Website | www.canyon.com |
Hier geht es zur ausführlichen Vorstellung des Canyon Grail 2018 auf Rennrad-News
Inzwischen hat Canyon die 2019er Generation des Canyon Grail ausgerollt. Das Gravelcockpit (ehemals: „Hover Bar“) ist geblieben, alternativlos! Wer Canyon Grail will, muss auch Gravelcockpit sagen, mit allen Konsequenzen in Sachen Optik und Ergonomie. „Ja“ sagen dabei anscheinend so viele, dass nun klar sein dürfte, dass es sich nicht nur um ein Marketingprodukt handelte. Im Test fanden wir tatsächlich einige gute Gründe für den Doppel-Lenker, aber auch ein paar dagegen. Doch dazu später mehr.
Das Grail kommt an. Inzwischen hat Canyon die ursprünglich vorgestellte Modellpalette um einige Varianten erweitert. Und den Lenker nochmal überarbeitet. So soll der Oberlenker noch spürbarer federn. Außerdem ist die Querstrebe, über der der Daumen in der Unterlenker-Bremsgriffhaltung liegt, schmaler geworden. Damit reagieren die Koblenzer auf einen Wunsch von Kunden mit kleineren Händen.
Im Modellprogramm sind vor allem zwei neue Varianten mit SRAM Force 1×11-Gruppe hervorzuheben: das Canyon Grail CF SL 8.0 für 2.799 € sowie das Canyon Grail CF SLX 8.0 SL mit dem Richtung Leichtbau optimierten Carbonrahmen für 3.999 €. Letzteres soll laut Canyon nur 7,8 kg im Größe M wiegen und dürfte damit eines der leichtesten Serien-Gravelbikes sein. Zuvor war der SLX-Rahmen dem Top-Modell mit Ultegra Di2 vorbehalten, das wir fuhren. Es kommt 2019 mit dem gravelspezifischen RX-Schaltwerk und ansonsten unwesentlich veränderter Ausstattung. Erfreulich: Es ist jetzt 100 € günstiger und kostet 4.499 Euro. Das günstigste Grail mit Shimano 105 kostet 2.199 € – und wiegt laut Hersteller in Größe S nur 300 g mehr als das Top-Modell im Größe M. Nicht viel.
Ausstattung
Beim Grail verzichtet Canyon auf ein Top-Modell mit den Top-Gruppen der Komponenten-Hersteller: SRAM Red oder Shimano Dura Ace sucht man vergeblich, Campagnolo gibt es gar nicht. Mit der Modellstrategie bewegt sich der Koblenzer Direktanbieter auf eingetretenen Pfaden. Auch bei anderen Herstellern markieren Shimano Ultegra oder Sram Force häufig die Spitze der Ausstattungsstufen im Gravelbereich. Unser Grail CF SLX 8.0 Testrad war das 2018er Top-Modell mit Ultegra Di2. Die einzigen erkennbaren Unterschiede zum 2019er Modell liegen in der Farbe der Reifenflanken sowie dem neuen Gravelcockpit, das jetzt CP07 heißt, sowie dem Ultegra RX-Schaltwerk. Details findet ihr in der Ausstattungstabelle.
Rahmen | Carbon, 12 mm Steckachse, 2x Flaschenhalter | |||||
Gabel | Carbon tapered 1 1/4-Zoll, A-Head, 12 mm Steckachse | |||||
Gewicht | 8,15 kg (gewogen ohne Pedale), M | |||||
Entfaltung | 2,22 - 10,09 m pro Kurbelumdrehung | |||||
Zulässiges Gesamtgewicht | 120 kg | |||||
Schalthebel | Shimano Ultegra Di2 hydr. Disc 2x11 | |||||
Umwerfer / Schaltwerk | Shimano Ultegra Di2 / Ultegra RX Di2 | |||||
Kurbel / Zähne | Shimano Ultegra Hollowtech, 172,5 mm / 50-34 T | |||||
Ritzel / Zähne | Shimano Ultegra 11-34 T | |||||
Innenlager | Shimano Press-Fit | |||||
Kette | Shimano HG700 | |||||
Bremsen | Shimano Ultegra hydr. Disc, v./h.: 160 mm | |||||
Laufradsatz | Reynolds Assault Carbon, 622x23c, 40 mm hoch | |||||
Reifen / Größe | Schwalbe G-One Bite, 40-622 | |||||
Lenker | Canyon CP07 Cockpit, Carbon | |||||
Vorbau | Canyon CP07, Carbon | |||||
Sattel | Fizik Aliante R5 | |||||
Sattelstütze | Canyon S15 VCLS CF, Carbon | |||||
Besonderheiten | Schutzblech-Ösen an Gabel und Rahmen, Rahmen für Di2, interne Zugverlegung, maßgeschneidertes Bikepacking-Set erhältlich | |||||
An der Waage gibt es eine kleine Überraschung: Das Testrad in Größe M wiegt über 350 g weniger als es Canyon für das Modell auf seiner Webseite angibt: 8,15 kg ohne Pedale sind richtig leicht für ein Gravelbike mit ausdrücklicher Erlaubnis für leichte Geländefahrten und einer Gewichtszulassung von 120 kg. Ausgesprochene Leichtgewichte sind aber weder die Ultegra Di2 Gruppe mit Disc-Bremsen noch die recht breiten und mit 40 m auch hohen Carbon-Laufräder von Reynolds (ca. 1600 g). Also geht das geringe Gewicht klar auf das Konto des Rahmen- und Gabelsets.
Rahmen, Gabel und Gravelcockpit bilden beim Grail ein System, kein Teil macht ohne die anderen Sinn – ist aber auch nicht einzeln zu haben. Ein genauer Blick lohnt sich. Und das Design zieht die Blicke auf sich. Stellen wir das Rad auf Testfahrt ab, bleiben Leute stehen und wollen sich die „Carbonfeile“ aus der Nähe ansehen. Manche fragen sogar, „was ist das?“, weil sich das Grail in keine der gewohnten Schubladen packen lässt. MTB oder Rennrad? Das CP01-Gravelcockpit mit seinen zwei Ebenen ist dabei sozusagen nur die „Schlagzeile“, die für Aufmerksamkeit sorgt. Auch die anderen Formen sind ein Statement. Unterrohr und Sitzstreben verlaufen parallel. Die Kante vom Unterrohr zieht sich durch bis zum Ausfallende. Wie ein Spoiler dockt das Tretlager vor den Kettenstreben an. Eine breites Unterrohr soll für Verwindungssteifigkeit sorgen – und hält in der Praxis Schlamm gut vom Fahrer fern. Apropos Schlamm: An der Gabel gibt es mit den 40 mm breite Reifen mit kleinen Stollen einen üppigen Durchlauf. Aber am Hinterbau lassen die Kettenstreben keinen riesigen Raum für Schlammabfuhr zwischen den Kettenstreben. Das Grail will kein Cyclcocrossrad sein. Für die Matschfans gib es das Inflite.
-> Hier findet ihr alles über Gravelbikes: Neuheiten und Tests
Das Inflite muss seit der Einführung des Grail auch ohne Ösen für Schutzbleche auskommen. Das Grail bedient auch für die Tourenfahrer. Und das tut es gut. Ösen für Schutzbleche sind vorhanden und so unauffällig integriert, dass sie die Optik nicht stören. Einen Gepäckträger kann man nicht anbringen, dafür gibt es ein Bikepacking-Taschenset. Dazu später mehr.
Die Details des Rahmensets stimmen: Steckachsen sorgen für präzise Führung der Räder und Bremsscheiben, ein Kettenfänger verhindert das Fallen des Gliederstrangs auf das Tretlagergehäuse, die Sattelstützklemmung ist unauffällig und tief am Sitzrohr integriert und hält zuverlässig. Die bekannte Canyon VCLS-Blattfederstütze sitzt satt im Rohr, das oben wirkungsvoll abgedichtet ist. Der samtige, leicht angeraute Lack und die Spaltmaße zeugen von sehr guter Verarbeitung. Am Lenker lässt sich über einen Adapter eine Garmin-Halterung anbringen.
Der Rest der Ausstattung passt zur Preisklasse. Für günstige Gravelbikes mit Ultegra Di2 und Carbon-Rahmensets muss man leicht 3.200 € und mehr berappen. Das Grail CF SLX 8.0 Di2 hat als zusätzliches Highlight den Reynolds Assault Carbon-Laufradsatz verbaut. Er kostet allein rund 1.500 € und prägt das Fahrerlebnis nachhaltig: Sowohl seine fast schon aeromäßige Höhe von 40 mm als auch die Breite sind bei Einsatz auf allen Wegen ein Vorteil. Über die Shimano Ultegra Di2 muss man nicht mehr viele Worte verlieren: Wegen ihrer zuverlässsigen, von Wetter- und Terrain unabhängig präzisen Funktion ist sie im Cyclocross ein gefragtes Set. Gut gefiel uns die Integration der Di2-Steuerbox in das Lenkerende. Dort lässt sich auch während der Fahrt leicht durch die Schaltmodi „Manuell“, „Synchronized“ und „Semi-Synchronized“ wechseln.
Disc-Bremsen sind heute der Standard an Gravelbikes. Canyon setzt die Ultegra-Disc mit vorne und hinten 160 mm Scheibe ein, was für den angepeilten Toureneinsatz auch mit leichtem Gepäck eine gute Wahl ist. Bei der Kurbel fiel die Wahl auf eine klassische Kompakt-Abstufung von 50-34. Das ist für alle jene eine gute Kombi, die mit dem Grail gerne viel und schnell auf der Straße fahren wollen. Im Gelände ist das 50er Kettenblatt kaum zu gebrauchen.
Geometrie: alles auf Gravel Cockpit
Auch 2019 gilt: kein Grail ohne das Canyon Gravelcockpit! Das ist nach der Einführung der 2019er Modelle klar. Auf Rückfrage erklärte Canyon, dass man die Lenkereinheit bei Bestellung nicht einzeln in anderen Größen ordern kann. Auch die Lenkerhöhe lässt sich durch Umschichten der Spacer nur moderat um circa 1,5 cm verändern. Man ist also auf die Sitzposition, die mit der Rahmengröße einhergeht, stark fixiert.
Ob’s passt, prüft man deshalb auf jeden Fall möglichst ausgiebig. Wer Erfahrung mit dem Rennradfahren hat, wird schneller ein Gefühl dazu entwickeln. Jedoch: Der Einsatz auf allen Wegen fordert andere Haltungen als der reine Straßeneinsatz. So erging es uns auch im Test: Der tendenzielle „Sitzriese“ fand etwa die Sitzposition beim Griff in den Unterlenkerbogen zu kurz für schnelles Fahren auf der Straße – und entsprechend die Haltung am zurückversetzten Oberlenker einen Tick zu aufrecht. Im Gelände kam er aber sehr gut mit der meistgenutzten Position an den Bremsgriffen zurecht. Durchschnittstypen gleicher Körpergröße (1,80 m) kamen auf Anhieb in allen Haltungen gut klar.
Rahmenhöhe | 2XS | XS | S | M | L | XL | 2XL |
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Körpergröße cm | 156-166 | 166-172 | 172-178 | 178- 84 | 184 -189 | 189-194 | 194-204 |
Sitzrohr mm | 432 | 462 | 492 | 522 | 552 | 582 | 612 |
Steuerkopfwinkel | 70.25 | 71.25 | 71 | 72.5 | 72.5 | 72.75 | 72.75 |
Sitzrohrwinkel | 73.5 | 73.5 | 73.5 | 73.5 | 73.5 | 73.5 | 73.5 |
Kettenstrebenlänge mm | 415 | 415 | 425 | 425 | 425 | 425 | 425 |
Radstand | 988 | 990 | 1020 | 1029 | 1040 | 1063 | 1073 |
Stack+ | 594 | 615 | 638 | 660 | 687 | 708 | 728 |
Reach+ | 401 | 422 | 439 | 458 | 475 | 494 | 513 |
Spacer mm | 15 | 15 | 15 | 15 | 15 | 15 | 15 |
Vorbau (mm virtuell) | 60 | 75 | 75 | 75 | 90 | 90 | 105 |
Lenkerbreite mm | 400 | 420 | 420 | 440 | 440 | 460 | 460 |
Kurbellänge mm | 165 | 165 | 170 | 172.5 | 172.5 | 175 | 175 |
Radgröße | 650B | 650B | 700C | 700C | 700C | 700C | 700C |
Andere Wege beschreitet Canyon zwangsläufig bei der Rahmenlänge. Der Lenker verlangt wegen des zum Fahrer hin versetzten Oberlenkers ein längeres Oberrohr. Und weil sich die Sitzposition am Oberlenker nicht aus dem konventionellen Stack ablesen lässt, führt man das Stack+ Maß zur besseren Vergleichbarkeit mit eigenen Modellen ein. Mehr dazu in der Grail-Vorstellung.
Praktisch besitzt das Canyon Grail insgesamt eine Geometrie, wie sie im MTB-Bereich inzwischen üblich ist: ein kurzer Vorbau für eine agile Lenkung, gepaart mit einem langen Oberrohr für eine ausgeglichene Gewichtsverteilung. Ansonsten gilt für die Grail-Geo: Länge läuft. Ein langer Radstand und ein recht großer Drop bringen Ruhe in das Fahrverhalten auf Abfahrten und verbessern die Kletterqualitäten an Steilstücken.
Auf dem Kurs
Wie läuft es mit dem Lenker? Weil wir die Antwort auf diese Frage kaum abwarten konnten, war das Grail in kürzester Zeit nach der einfachen Montage auf der Straße und dem Trail. Die ersten Meter hinterlassen immer einen nachhaltigeren Eindruck – da ist es mit Testrädern wie mit Menschen. Und auf den ersten Metern gingen die Hände automatisch in Bremsgriffhaltung , wo sie die weit überwiegende Zeit geblieben wären, wäre da nicht der Testauftrag – so gut passte diese Position auf Anhieb und so ähnlich fühlt sie sich der gewohnten Rennradhaltung an.
Statt des Lenkers prägte deshalb etwas anderes die erste Begegnung: Das Grail ist schnell. Schon auf der Straße rollt es auf den breiten Schwalbe G-One Tubeless-Reifen und mit dem mutmaßlichen Aero-Support der Laufräder richtig gut, weit besser als wir es von manchen Gravel- oder Cyclocrossbikes mit anderem Laufrad-Reifen-Setup kennen.
Der Komfort am Heck
Abbiegen auf den Kiesweg – die Geschwindigkeit kann man leichtfüßig stehen lassen. Das Grail wirkt immer spielerisch, fast grazil, die Lenkung leichtgängig und präzise, die Antritte direkt, die Beschleunigung weniger anstrengend. Aber was es wirklich heraushebt ist der Komfort am Heck. So wenig kommt von den kleinen Steinen, Hubbeln und Rillen der Feldwege an, dass der Eindruck einer Mini-Federung entsteht. Erzielt wird er durch die Kombination aus VCLS-Stütze, den recht schlanken Sitzstreben und dem geringen möglichen Druck am Reifen. Wir machten bei 80 kg Zuladung im Gelände gute Erfahrungen mit 2,2 bar hinten und 2 bar vorne, obwohl die Reifen nicht für so geringen Druck empfohlen sind. Hier zahlt sich die mit 23 mm große Maulweite der Reynolds-Laufräder aus. Insgesamt: eine Wonne und in der Kombination mit der Fahrdynamik sicher die größte fahrerische Stärke des Grail!
Der Komfort am Lenker
Wie – und der Lenker? Auch er soll ja federn, am Oberlenker, der in der Mitte nur ein dünnes, flexendes Carbonfaserstück hat. Tut er auch, deutlich sichtbar bei starkem Druck auf das Griffstück. Und man kann es auch spüren, am besten bei Kopfsteinpflaster oder auf leicht holprigen Feldwegen. Fährt man dort in Oberlenkerposition, kappt es spürbar die Spitzen. Nur: In der Fahrpraxis kommt das selten vor. Es gab es vor allem zwei Situationen, bei denen der Oberlenker gefragt war. Erstens: An langen flachen Anstiegen auf Waldautobahnen oder Straßen. Aber hier liegt so wenig Gewicht auf dem Vorderrad, dass die Federung nicht zum Tragen kommt. Immerhin kann man anrechnen, dass die Haltung wirklich deutlich aufrechter und entspannter wird. Das ist dann im zweiten häufigen Nutzungsfall ein echter Vorteil: dem entspannten Fahren auf längeren Touren. Auf der gemütlichen Langstrecke zahlt sich auch die Micro-Federung tatsächlich etwas aus.
Als echten Nachteil empfanden wir die die Bremsgriffhaltung am Unterlenker. Hier muss der Daumen über der ersten Ebene „abgelegt“ werden. Canyon nennt das „hooked in“. Will man aber nicht genau an diese Stelle greifen, sondern etwas tiefer, weil dann zum Beispiel die Bremshebel besser in der Hand liegen, die sich ja nicht am Lenker verschieben lassen, dann ist die Querstrebe hinderlich, der Daumen eckt an. Auch wenn man aus der nächsttieferen Position, von den Lenkerenden, zum Bremsgriff greift, stört das Design eher. Das ist schade. Denn ansonsten ist die Kontrolle an den leicht ausgestellten Enden gut, wenn man es auf der Waldautobahn richtig laufen lassen will.
Aber das Wichtigste: Die weitaus am meisten genutzte Position oben an den Bremsgriffen passt 100%. Für die hätte es allerdings kein Gravelcockpit gebraucht. Auch der Übergang vom schön abgeflachten Oberlenker zu den „Hoods“ könnte nicht gelungener sein. Das Gravelcockpit mit den zwei Ebenen hinterlässt also eher gemischte Gefühle. Der Gewinn an Komfort wird erkauft mit ergonomischen Einschränkungen, die zum Glück wiederum nicht für alle Fahrertypen und Fahrstile vorhanden sind. In der Summe ist das viel geschmähte CP01 Gravelcockpit wahrscheinlich für lange und mehrtägige Touren der größte Gewinn, aber für die schnelle Fahrspaßrunde im Mittelgebirge kaum von Belang. Auf der kann man es mit dem Grail wegen seiner dynamischen und spielerischen Fahreigenschaften richtig krachen lassen, aber man zieht keinen Vorteil aus dem Lenker.
Keine Diskussionen gibt es über die Perfomance der montierten Shimano Ultegra Di2-Gruppe. Geschwindigkeit und Präzision der Gangwechsel lassen keine Wünsche offen. Die Akkulaufzeit konnten wir bei rund 400 Geländekilometern und rund 21 Stunden Fahrzeit längst nicht ausreizen. Allerdings kam es gerade anfangs in der Geländehatz öfter vor, dass nicht auf Anhieb der richtige der zwei hintereinander liegenden Schalttaster getroffen wurde. Wenn es richtig am Lenker rappelt, sind deutlicher getrenntere Schalter noch besser – und ein Argument für die (günstigeren) mechanischen Ausstattungsvarianten. Dagegen ist der zusätzliche Schaltpunkt an den Höckern der Bremsgriffe ebenfalls gerade im Gelände ein echtes Plus der Di2.
Synchroshift im Gelände
Die Shimano Ultegra Di2 bietet zwei Schalthilfen an: Erstens eine Halbautomatik namens Semi-Synchroshift, bei der der Motor automatisch mehrere Ritzel hinten hoch oder runter schaltet, wenn man den Kettenblattwechsel manuell auslöst. Zweitens die Vollautomatik „Synchroshift“. Hier drückt man nur jeweils eine Taste für „rauf“ oder „runter“ für Gangwechsel am Ritzelpaket. Der Kettenblattwechsel erfolgt dann automatisch, zum Beispiel immer, wenn auf das drittkleinste oder drittgrößte Ritzel geschaltet wird (konfigurierbar per App). Das vermeidet übermäßigen Kettenschräglauf.
In der Praxis waren die wenig Di2-geübten Tester im Gelände meist im rein manuellen Modus unterwegs. Grund ist, dass im schnell wechselnden Terrain oft weniger die optimale Kettenlinie zählt, als überhaupt möglichst schnell einen passenden Gang zu finden, unabhängig vom Kettenschräglauf. Zudem gibt es eine gängige Schaltpraxis, vor dem Wechsel aufs kleinere Kettenblatt zunächst in die passenden schwereren Gänge zu schalten, bevor man den Umwerfer betätigt. Auf diese Weise bleibt immer Zug auf der Kette. Die Di2 geht automatisch (und schalttechnisch korrekt) umgekehrt vor. Dabei fallen aber längere Momente ohne Kraft auf dem Antriebsstrang an, man tritt kurz zu leicht. Sehr positiv: Zu Kettenabwürfen kam es nie. Notfalls verhindert das auch die Kettenführung, die am Flaschenhalter aufgehängt ist.
Über jeden Zweifel erhaben war auch die Funktion der hydraulischen Ultegra-Scheibenbremsen: fester Druckpunkt, starke, aber gut dosierbare Verzögerung, ausreichend große Rotoren für Touren, Quietschen nur bei Nässe. Positiv fiel noch eine letzte Sache auf: Das Reifengeräusch der Schwalbe G One auf Straße ist sehr leise, so nimmt man das Grail tatsächlich gerne auch für Touren mit größerem Road-Anteil.
Abschließend lässt sich über die Fahrerfahrung mit dem Canyon Grail sagen: Je länger, je lieber. Sowohl je länger die Touren ausfielen als auch je länger der Test andauerte, desto lieber kam das Grail zum Einsatz. Hervorstechendste Eigenschaft schließlich waren die Allround-Qualitäten. Auf der Straße kann man im Windschatten der Gruppe gut mitrollen (mit einigen Bemerkungen über den Lenker, die durchaus auch interessiert ausfallen). Auf Feld-, Wald und Kieswegen verleiht es viel Sicherheit und ist dabei spürbar leichtfüßiger als meist etwas schwerere andere Gravelbikes. Und auf Tour sind die sehr unterschiedlichen Handhaltungen und der Komfort am Sattel äußerst willkommen. Und über den Lenker kann man sagen: Wenn man nicht aus einem der genannten Gründe mit ihm aneckt, ist er zumindest ein kleines Plus. Es wäre dennoch schön, es gäbe eine Alternative.
Bikepacking
Canyon hat das Grail ausdrücklich auch für das Bikepacking entwickelt. Die Koblenzer stellten gleich zur Präsentation ein eigenes Bikepacking-Set vor. Das macht am Grail besonderen Sinn. Denn am tiefen unteren Lenker lassen sich normale Lenkertaschen nicht befestigen, ohne auf dem Vorderrad zu schleifen. Canyon löst das Problem mit einer Abspannung der Tasche am Oberlenker, wie man hier im Video sieht. Das kann man natürlich auch mit konventionellen Sets per Zusatz-Spanngurt imitieren. Das GPS-Gerät muss dann natürlich an den Lenker wandern. Dafür wiederum kommt bis dato nur die etwas improvisierte Montage mittels der Gummiringe in Frage, wobei der Halter nicht plan aufliegt.
Ebenfalls im Video sichtbar: Der Raum im Rahmdreieck für die Rahmentasche fällt recht kurz aus. Am Testrad maßen wir 46 cm. So benötigt man eine entsprechend kurze Tasche, wie eben das für Canyon produzierte Topeak-Modell. Als wir im Canyon Shop nach den Taschen schauten, waren gerade nur die Rahmentasche und die Satteltasche verfügbar. Eine andere rennradspezifische Tasche ließ sich mit etwas „Drücken“ aber auch am Grail ankletten.
Haltbarkeit
Canyon gibt 6 Jahre Garantie auf das Rahmen- und Gabelset und gehört beim zulässigen Gesamtgewicht mit 120 kg zu den generöseren Herstellern im Rennradbereich. Während des zweimonatigen Tests mit circa 400 Testkilometern gab es keine Störfälle, nicht einmal der Akku der Di2 wurde an seine Grenzen gebracht. Die Schwalbe G-One Reifen sind auf Performance und geringes Gewicht ausgelegt, weniger auf lange Laufleistungen und ultimativen Pannenschutz. Für wochenlange Bikepackingtrips wären also eventuell andere Modelle eine bessere Wahl. Im Dauerbetrieb, zumal im Gelände, ist die elektronische Schaltung deutlich weniger anfällig für Funktionsstörungen durch Dreck und Wasser als Bowdenzüge. Ein Detail, dass die Lebensdauer des Rahmens erhöhen kann, ist auch der im Steuerrohr integrierte Lenkanschlag. Er verhindert, dass der Lenker gegen das Oberrohr schlägt. Wichtig, wenn man doch mal eine Kurve zu schnell nimmt. Sollte der Lenker einmal kaputt gehen, ist man zu 100% auf den Ersatzteilservice und Vorhaltung von Canyon angewiesen – auch in 15 Jahren, darüber muss man sich klar sein.
Das Canyon Grail CF SLX 8.0 Di2 ist ein herausragendes Gravelbike. Die Fahrdynamik und Laufruhe im Gelände gehören zum Besten, was man derzeit bei Gravelbikes geboten bekommt, die Kontrolle auf leichten Trails setzt dem Spaß kaum Grenzen. Mit den Carbonlaufrädern sucht auch die Fähigkeit, auf der Straße Tempo zu machen, ihresgleichen. Mit kleinen Einschränkungen bei der Taschenwahl kann das Grail auch fürs Bikepacking gut genommen werden, hat aber seine größere Stärke bei Wochenend-Trips - neudeutsch: Micro-Adventures. Es ist erwartbar, dass die hervorragenden Fahreigenschaften auch bei den günstigeren, kaum schwereren Modellen ähnlich sein werden, die damit ein sehr attraktives Preis-Leistungsverhältnis haben. Der Lenker spielt am Ende fast eine untergeordnete Rolle. Wenn die Sitzposition passt (und man gewillt ist, sich auf das Maß der Systemintegration einzulassen), erhält man ein kleines Komfortplus. Wenn nicht, ja, wenn es doch für diesen Fall etwas gäbe...
Pro / Contra
Pro
- geringes Gewicht
- hoher Komfort am Heck
- präzises Handling im Gelände
- große Laufruhe
- leichter, ruhiger Lauf auf der Straße
- Di2 Sorglos-Schaltung mit Schaltunterstützung
- Top-Laufräder
- viele clevere Details
- Preis/Leistungs-Verhältnis
Contra
- nur minimale Anpassung der Sitzposition möglich
- Festlegung auf das Canyon Gravelcockpit
- Gravelcockpit kann bestimmte Fahrertypen in manchen Handpositionen einschränken
- Gravelcockpit beim Bikepacking nicht optimal nutzbar