Rennräder und Gravelbikes mit ihren Machern im Portrait bei den Craft Bike Days 2019. Diesmal: Falkenjagd und Rennstahl – zwei Marken aus einer Hand, die für innovativen Umgang mit den beiden Werkstoffen Titan und Stahl stehen. Was das mit der Beschränkung auf Serienfertigung statt Custom zu tun hat, war auch Thema bei den Craft Bike Days.
Auf ein paar Worte mit Falkenjagd
Eine Kurbel aus Titan, hohlgeschmiedet, 690 g leicht mit Kettenblatt ist vielleicht das greifbarste Bild dessen, wozu Falkenjagd fähig ist. Auch wenn die Marke dafür den Preis eines Oberklasse-Rennrades verlangen muss. Auch wenn Titanschmieden nicht zu den simplen Fertigungstechniken zählt und die Bearbeitungsmaschine alleine 6 Stunden mit einem Kurbelarm ausgelastet ist und die Werkzeuge wegen der Härte des Werkstoffes häufiger ersetzt werden müssen. Die Kurbel wurde konsequent entwickelt und wird gefertigt. „Sie ist der Ausdruck dessen, wo der eigene Anspruch liegt, was mit Titan grundsätzlich möglich ist“, erklärt Falkenjagd-Inhaber und Gründer Andreas Kirschner. Und sie findet Kunden.
Wenn es für Falkenjagd keine passende Komponente gibt, wird sie, wenn irgend möglich, entwickelt und gefertigt. Ein anderes Beispiel: Die Titangepäckträger der Marke, die auch an den Rädern der Craft Bike Days zu sehen waren. „Ein namhafter deutscher Gepäckträgerhersteller wollte zum Beispiel keine Bohrung für das innen verlegte Lichtkabel zum Rücklicht freigeben. Wir haben das Kabel vom Schweinwerfer bis zum hinteren Ausfallende innen im Rahmen verlegt, der letzte Meter zum Rücklicht sollte daher nicht außen verlaufen. Jetzt haben wir eine eigene Trägerserie für unsere Gravel- und für unsere Reiseräder“, erzählt Kirschner. Weil sie gleichzeitig die unterschiedlichen Gepäckträgerfüße exakt auf die Breite des jeweiligen Hinterbaus auslegten, ist nun gar eine Traglast von 55 kg möglich.
Manchmal sind auch größere Umwälzungen notwendig, um die ehrgeizigen Entwicklungen voranzubringen. Die ganz teuren Technikstücke stecken dabei wie so oft in Details oder der Konstruktion und Formgebung der Rahmen. Die Rohrsätze sind für Kirschner der „Quellcode der Falkenjagd Titan- und Rennstahl Stahl-Rahmen“. Jede Rahmengröße und jedes Modell verfügt über einen eigenen Rohrverlauf, über einen größenspezifischen Rohrsatz. Das lässt Custom-Anfertigungen nicht mehr zu. Kirschner: „In einer so engen Nische wie dem Titanrahmenbau muss eine Firma ihr Alleinstellungsmerkmal genau definieren. Für die einen ist es der Maßrahmenbau, für uns ist es ganz klar die Technologieführerschaft bei den verwendeten Rohrsätzen.“
Besonders ein Teil zeigt die Geschichte von Falkenjagd und Rennstahl sozusagen kondensiert: die Aufnahme für das Pinion-Getriebe. Als das revolutionäre 18-Gang-Fahrradgetriebe auf den Markt kam, war man bei Falkenjagd sicher, dass es den Reiserad- und Randonneurbereich prägen würde. Und dort hat die Marke ein wichtiges Standbein. Für Kirschner war klar, dass hier, wo hohe Kräfte in den Rahmen fließen und ein präziser Sitz gefragt ist, aus Steifigkeits- und Haltbarkeitsgründen ein geschmiedetes Teil her muss. „Die Werkzeugkosten für die Brücke allein betrugen damals 42.000 Euro“, erinnert er sich: „Geld, das nicht alleine auf Titanrahmen umgewälzt werden konnte, das hätte das Produkt zu teuer gemacht und wäre zum ‚Gamestopper‘ für die Pinion-Rahmen geworden. Ein Zukauf kam für ein so strategisch wichtiges Bauteil nicht in Frage.
„Das war die Geburtsstunde von Rennstahl“, blickt Kirschner zurück. Die Idee für diesen entscheidenden Schritt kam von seiner Frau Astrid. Sie verfüge über die besondere Gabe, in solchen Momenten „out of the box“ zu denken, sagt er. So auch 2011: Man gründete eine 2. Marke, die sich nicht auf Titan, sondern auf Stahl und Edelstahl fokussierte. Die Werkzeugkosten konnten so innerhalb von 3 Jahren betriebswirtschaftlich wieder eingespielt und über die höhere Stückzahl von zwei Marken verteilt werden. Mit der gewonnen Erfahrung einer eigenen Pinionbrücke wurde der Grundstein zur Fertigung komplexer Motorbrücken gelegt. Kirschner: „Ohne Pinion gäbe es Rennstahl nicht, und ohne Rennstahl gäbe es unsere E-Bikes nicht“.
In diesem Jahr, exakt 15 Jahre nach dem Start von Falkenjagd, wagte man den nächsten großen Schritt. Die Firma gründete ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem Zerspanungsunternehmen als strategischem Partner in Taiwan. Dort sollen ab Mitte Juni 2020 nicht nur alle Frästeile gefertigt werden, sondern das Mutterunternehmen wird auch alle Titan- und Stahlmodelle schweißen. Die Fertigung von Rennstahl-Rahmen erfolgte bis dato noch in Italien. Das Finish, die kathodische Tauchbadbeschichtung sowie die letzte Qualitätskontrolle werden im Vieraugenprinzip weiterhin von Garching aus betrieben. Dort ist man als Familienunternehmen aufgestellt. Neben Andreas Kirschner und seiner Frau Astrid, der Controllerin des Unternehmens, sind bereits die beiden älteren der 4 Jungs in die Firma mit eingebunden. Ingesamt 8 Mitarbeiter sind in Garching tätig. 2019 werden laut Kirschner über 1.100 Räder die dortige Fertigung verlassen und zu Kunden in die ganze Welt geliefert.
Der Ursprung des Unternehmens „war die Liebe zum Radfahren. Und ein gehöriges Maß an Naivität“, blickt Kirschner zurück. Das gemeinsame Bestreiten der Spartakiada 2003, ein 256 km langer Radmarathon mit über 3.000 Hm zwischen Athen und Sparta, war schon eine Leidenschaft des Ehepaars. Hier fiel der Entschluss, in der Radbranche Fuß zu fassen. Kirschner ergänzt: „Gut, dass wir damals nicht ahnten, wie steinig der Weg zum Erfolg werden würde, ich bin mir nicht sicher, ob wir im Nachhinein den Weg nochmals gehen würden – trotz aller Passion“. Es begann damit, dass mit der Markeneintragung eine Unterlassungsklage eines japanischen Reifenherstellers ins Haus flatterte. Sie forderte Kirschners auf, den Namen wegen Verwechslungsgefahr zu ändern. Der Prozess dauerte 3 Jahre, am Ende gewannen die Münchner.
Aber „Ausdauer“ wurde gewissermaßen ein Markenkern der Firma. „Falkenjagd Titan-Räder stehen im heutigen Zeitalter der Wegwerfgesellschaft für Nachhaltigkeit. Der höhere Ressourcenverbrauch im Vergleich zu Stahl relativiert sich dabei im Zeitverlauf durch die lange Haltedauer“, sagt Kirschner.
Das jüngste Produkt der Familienunternehmens ist der neue All-Road-Renner Aristos RS Disc. Das Rad entstand auf Initiative des Werkstattleiters Sascha Schneider und reist auch mit zu den Craft Bike Days. „Der Titanrahmen in M wiegt 1.749 g, das Komplettrad hat eine Zuladungskapazität von 165 kg. Außer dem Rahmen gibt es wenige Komponenten, die das erlauben, also bauen wir die Titanstütze mit 165 kg Zulassung selber, ebenso die Laufräder“, sagt Schneider. Dass die entsprechend belastbare Titangabel (605 g) ebenfalls aus eigener Produktion stammt, versteht sich. „Mit X-12-Steckachse von Syntace, dafür haben wir eigene Ausfallenden entwickelt“, ergänzt Schneider und zeigt auf die ausgefrästen Titanteile am Gabelende. Eine eigene Achse bekommen die Münchner auch, und so können sie das selbstzentrierende Kegel-Konus-Prinzip auch am Vorderrad einsetzen. Selbstverständlich gibt es auch Vorbauten aus Titan.
Und die Zukunft? „Gravel ist für uns ein wahnsinnig großes Thema“, sagt Sascha Schneider, Werkstattleiter und Erdenker des neuen Aristos RS Disc. Das All-Road-Rennrad aus Titan, das auch Commuter oder Gravelbike für leichtes Gelände sein kann, ist der Technologieträger und ausschließlich für elektronische Schaltungen ausgeführt. Wer mechanisch schalten will, muss zum Rennstahl-Modell greifen, das mit einer identischen Geometrie kommt. „Wir haben 3 Gravel-Linien und es werden noch mehr werden“, sagt Schneider. Für Dezember steht schon das nächste Modell in den Startlöchern: Ein Gravelbike mit Rohloff-Nabe und Gates CDX-Riemen, das über SRAM Force Double Tap-Hebel geschaltet werden kann (Technik von Gebla). Erst kommt es bei Rennstahl, dann bei Falkenjagd.
Falkenjagd Aristos RS Disc im Portrait
Das Aristos RS Disc ist das, was man inzwischen als All-Road-Rennrad bezeichnet. Ein Rennrad, das aufgrund seiner Reifenfreiheit einigen Spielraum bei der Wegewahl lässt. Am Titanrahmen von Falkenjagd bedeutet das konkret Platz für Pneus bis 33 mm Breite, nannte Andreas Kirschner auf den Craft Bike Days die Obergrenze. Mithin ist das ausreichend, auch für den Einsatz als Cyclocross-Renner. Das Rahmengewicht von 1.749 g (Größe M) stünde beim rennmäßigen Einsatz nicht übermäßig im Weg. Und auch die Geometrie ist mit steilen Lenk- und Sitzwinkeln näher am CX-Rad als am Gravelbike moderner Prägung, das eher auf flache Winkel setzt.
=> Hier findet ihr einen Artikel über den Unterschied von All-Road und Gravelbike
Die Vielseitigkeit erstreckt sich beim Aristos RS Disc bis in den ausgewiesenen Commuter-Bereich, wo die eigentliche Stärke des korrosionsfreien Rahmenmaterials liegt. Alle Ösen für eine sinnvolle und gut abgestützte Montage von Schutzblechen und einem Gepäckträger sind vorhanden – am Showbike war ein neuer Titangepäckträger in ähnlicher Form wie der Tubus Airy montiert, der noch nicht auf der Webseite zu finden ist und bis 55 kg tragen kann. Lichtkabel können an dem Titan Aristos weitgehend verdeckt verlegt werden. Auch die Hydraulikleitungen und die Kabel der elektronischen Schaltung verlaufen im Rahmen. „Das Tretlagergehäuse besitzt eigens einen vergrößerten Durchmesser im Zentrum, um Platz für die Kabel und Leitungen zu schaffen“, erklärt Kirschner – wieder ein eigenes Spezialteil aus Titan.
Das gilt natürlich auch für die Gabel aus eigener Produktion. Sie wiegt laut Kirschner 605 g, ist damit zwar schwerer als Carbongabeln, aber auch quasi unverwüstlich.
Geometrie
Rahmengröße | S | M | L | XL | XXL |
---|---|---|---|---|---|
Sitzrohrlänge (m-o) mm | 470 | 500 | 520 | 540 | 570 |
Oberrohrlänge mm (horiz.) | 530 | 550 | 565 | 585 | 605 |
Lenkwinkel Grad | 72,5 | 73,0 | 73,25 | 73,5 | 74 |
Sitzwinkel Grad | 74 | 73,5 | 73,25 | 73,0 | 72,5 |
Steuerrohrlänge mm | 140 | 160 | 185 | 210 | 230 |
Kettenstreben mm | 412 | 412 | 412 | 412 | 412 |
Tretlagerabsenkung mm | 73 | 73 | 71 | 70 | 68 |
Falkenjagd bietet das Aristos RS Disc in 5 Größen an – Custom-Anfertigungen gibt es nicht, die Amortisierung der erwähnten Spezialteile setzt die Grenzen. In der Auslegung der Maße und Winkel liegt das Aristos Disc nah am Rennrad oder Cyclocross-Bike. Die Winkel sind für ein geländetaugliches Rad eher steil, insbesondere der Lenkwinkel. Auch die Gabel mit 43 mm Vorbiegung entspricht in der Kombi eher einer traditionellen Rennradauslegung – man darf ein wendiges Fahrverhalten erwarten.
Ausstattung
Highlight der Ausstattung ist natürlich das Rahmen- und Gabelset aus Titan, dessen Montage übrigens in Garching erfolgt. Angebaut wird in der Grundausstattung mit Shimano Ultegra R8020 ab „Werk“ zunächst nicht viel Titan. Aber vom Titanspacer unter dem Vorbau bis zum Vorbau in verschiedenen Winkeln selber und der Falkenjagd Titan-Sattelstütze mit Flex versprechendem Durchmesser von 27,2 mm ist alles wählbar: sogar Falkenjagd-Flaschenhalter aus Titan. Standardmäßig sind Tune TRS27 Disc-Laufräder mit Alufelgen und Schwalbe Pro One-Reifen verbaut. Die DT Swiss ERC 1400 Spline-Laufräder mit Hochprofilfelgen gibt es für 980 € Aufpreis. Wie bei der Geometrie erteilt Falkenjagd Custom-Aufbauten eine Absage. Die Pakete im Überblick:
- Shimano Ultegra R8020 2×11, 6.287 €
- Shimano Dura Ace R9100 Disc 2×11 + 1.050 €
- Campagnolo Chorus 2×12 +300 €
- Campagnolo Record 2×12 +1.000 €
- Campagnolo Super Record 2×12 +1.500 €
- Infos http://www.falkenjagd-bikes.de
„Bei Rennrädern verkaufen wir zu 60 Prozent Campa-Aufbauten“, beschreibt Andreas Kirschner einen Trend, der bei Falkenjagd entgegen den großen Marken läuft. „Die neue Chorus-Gruppe ist perfekt für unseren Gravelbereich“, lobt er das Ensemble der Italiener. Dass die Gruppe mit einer Kurbel mit 48-32 Abstufung und 12-fach Kassette von 11-34 Zähnen als eine der wenige kleine Gangsprünge ohne Kettenblattwechsel mit einer echten Untersetzung verbindet, hat seiner Ansicht nach mehr Beachtung verdient. Als einziger Hersteller leisteten sich die Italiener außerdem den Luxus, verschiedene Bremssättel für 140 mm und 160 mm anzubieten, was adapterfreie Montage ermöglicht.
Am Aristos RS Disc-Showbike war eine Campagnolo Super Record Disc EPS verbaut, bisher die einzige 12-fach-Gruppe von Campa, die elektronisches Schalten mit Disc-Bremsen verbindet. Wer sich für die mechanische Chorus interessiert, muss auf das Rennstahl Speed Gravel ausweichen, das sozusagen das Stahl-Geschwister des Aristos RS Disc ist. Es soll im Dezember auch in einer Edelstahl-Variante kommen.
Rennstahl Speed Gravel Fotostory
Rennstahl debütierte schon mit einigem Aufsehen auf der Eurobike 2017 mit einem Pinion-MTB und Reiserad. Aus Rennstahl entwickelte sich das Stahl-Pendant zu Falkenjagd, genauso detailverliebt, auch auf den bestmöglichen Spagat aus Haltbarkeit und Leichtigkeit ausgelegt.
Über die Craft Bike Days
Die MTB-News Craft Bike Days powered by DT Swiss feierten in diesem Jahr im nordrhein-westfälischen Münsterland Premiere. Ziel ist es, kleinen Herstellern ein Forum zu bieten, die dank ihrer Innovationskraft trotz geringer Größe immer wieder auf sich aufmerksam machen und dafür ein hohes Ansehen in der Fahrradbranche genießen. Diskussionen und Workshops zu Themen wie Werkstoffwahl, Vertriebsansätze kleinerer Marken oder Laufradbau stehen während der zweitägigen Veranstaltung im Fokus – und natürlich Bikes, Bikes Bikes! Hier erfahrt ihr mehr über die Craft Bike Days.
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