Das Eddy Merckx Corsa steht beispielhaft für das Erbe der Rahmenbau-Tradition. Es wird vom gleichen Mann handgefertigt, der die ersten Eddy Merckx-Rahmen lötete. Heute entsteht das Stahl-Rennrad als einziges 100 % Custom-Rennrad unter dem Dach der viel größeren Belgian Cycling Factory, zu der die Marken Ridley und Merckx gehören. So wild wie die Lackierung, die auf den Craft Bike Days 2022 zu sehen war, ist auch die Geschichte des Unternehmens, über die wir mit Inhaber Jochim Aerts sprechen konnten.
Video: Eddy Merckx Corsa
Interview: Inhaber Jochim Aerts über Merckx und Ridley
Rennrad-News: Jochim, wir sitzen hier inmitten vieler ausgefallener handgemachter Bikes mit teils hoher Innovationskraft bei den Craft Bike Days 2022. Du bist hier mit Eddy Merckx, in Deutschland ja als größere Radmarke bekannt, und zum Unternehmen gehört auch Ridley, das viele vom WorldTour Sponsoring und Cyclocross Weltcup kennen – wie passt das zusammen?
Jochim Aerts: Nun, das Eddy Merckx Corsa wird tatsächlich von einem einzigen Rahmenbauer in Belgien auf Maß nach Kundenwunsch gefertigt: von Johan Vranckx. Er war der erste Arbeiter, der für Eddy Merckx Fahrräder baute und aus seiner Hand stammt heute jeder Eddy Merckx Corsa-Rahmen. Merckx warb ihn damals direkt aus der Schule ab, weil er für seine Produktion Löter suchte. Er erkannte sein Talent und baute ihn quasi als Rahmenbauer auf.
Das ist das Eine. Das andere ist, dass ich selbst im Grunde genauso klein als Rahmenbauer angefangen habe und mich vieles hier daran erinnert (erkennbarer Glanz in den Augen).
Wie begann alles?
Ich habe in einer Garage mit dem Rahmenbau angefangen. Aber mit dem Rennrad bin ich quasi aufgewachsen. Ich komme aus einer Radsportfamilie. Mit 17 Jahren war ich zwar bereits im Nationalkader, aber mit 19 merkte ich, dass ich nicht die nötigen Anlagen für einen Radprofi auf internationalem Niveau mitbrachte – vielleicht für einen Helfer, aber nicht für eine größere Karriere.
Ich entschied stattdessen lieber Rennräder zu bauen. Und ich bekam die Chance, Custom-Rahmen auf Maß für Bioracer zu bauen. Bioracer ist heute als Kleidungsmarke bekannter, hatte aber in den Niederlanden auch eine Fahrradproduktion und war einer der Pioniere eines ausgeklügelten Bikefitting-Systems. Die passenden Rahmen habe ich in meiner Garage gelötet.
Hattest du eine Ausbildung zum Rahmenbauer?
Nein, es war Learning by Doing. Ein paar Jahre später hat Bioracer dann seine eigene Rahmenfertigung aufgebaut. Da begann ich wiederum, eine Rahmenlackierung aufzubauen. Wir haben für Benelux-Marken wie Diamant und Concorde gearbeitet, aber auch für bekannte deutsche Marken wie Rose, damals auch Red Bull, und Chaka.
Als Konkurrenz aus Asien in der Lackierung aufkam, suchte ich nach Möglichkeiten, die bis dahin 30 Angestellten weiter zu beschäftigen. Mein Gedanke war: Ich fahre noch Rennrad, ich habe Erfahrung im Rahmenbau und kann eine gute Geometrie von einer schlechten unterscheiden, ich kann eine Fahrradproduktion aufbauen, so kam es zur Gründung von Ridley.
Manche Fahrrad-Unternehmer prüfen bis zur Übergabe an die nächste Generation selbst die Geometrien, wie ist das bei dir?
Ehrlich gesagt, nein, dafür gibt es nun jeweilige Spezialisten – und natürlich die Zusammenarbeit mit dem WorldTour Team. Aber ich fahre noch Rennrad.
Manche Geometrien müssen auch gar nicht neu erfunden werden. Ich habe zum Beispiel vor neun Jahren meine erste Gravel Bike Geometrie gemacht, wir waren mit dem Ridley Kanzo Speed eine der ersten Marken, die überhaupt ein Gravel Bike hatte, es hieß nur nicht so.
Die Entwicklung des Kanzo Speed war für mich so etwas wie „ein falsches Cyclocross-Bike bauen“. Wir hatten schon viele Kunden in den USA. Sie kamen auf uns zu und sagten, ‘ja, wir lieben eure CX-Bikes, aber sie sind zu aggressiv’. Ich sagte, ‘ihr wollt ein gelassenes Cyclocross-Bike? Also ein Rennrad, nur für dickere Reifen, etwas länger?’ So entstanden das Kanzo Speed und das X-Trail, das 2013 auf den Markt kam. Es unser Modell, das bisher am längsten im Programm war, neun Jahre. Wir nannten es ‘Allroad’, es besaß schon eine erhöhte Reifenfreiheit. Aber es war seiner Zeit voraus, die Leute haben es nicht verstanden. Dann wurde in den USA der Begriff ‘Gravel’ geprägt für diese Gattung. Man muss wissen: Bevor es Gravel Bikes gab, verkauften wir bereits rund acht- bis neuntausend Cyclocross-Bikes pro Jahr, die hauptsächlich wie Gravel Bikes genutzt wurden.
Wie siehst du die Entwicklung des Cyclocross-Sports? Glaubst du, er wird auch außerhalb Belgien und Niederlande populärer?
Auf Bike-Seite sehe ich, dass Cyclocross von niemandem ernsthaft mehr weiterentwickelt wird. Auf der Sportseite glaube ich, dass es immer dann mehr Beachtung für die Sportart gibt, wenn neue Talente Erfolg haben. Die meisten sind zurzeit tatsächlich Niederländer und Belgier. Aber nehmen wir Tom Pidcock zum Beispiel, er hat als CX-Fahrer, Weltmeister und Brite den Sport dort populärer gemacht. Auch die Tatsache, dass Van Aert, Van der Poel und Pidcock sowie Marianne Vos und Fem van Empel alle Weltklasse-Straßenprofis sind, dürfte dem Cyclocross Auftrieb geben.
Wir haben noch nicht über Zahlen gesprochen – wie viele Bikes baut Ridley denn zur Zeit?
Wir planen, dass wir nächstes Jahr 50.000 Fahrräder in Belgien bauen werden und beschäftigen 100 Mitarbeiter.
Ich weiß, dass Ridley auch im eigenen Windkanal entwickelt, wie geht das für eine – einmal nicht an Craft Bike Days-Maßstäben gemessen – kleine Marke?
In den 2000er Jahren drehte sich beim Rennrad alles um leichter, leichter, leichter. Wir erreichten 2010 mit dem Ridley Helium SLX schon eine Marke von 6,5 kg für das serienmäßige Komplettrad, lagen also unter dem UCI-Limit. Wir hatten schon seit 2008 zwei ausgezeichnete Aero-Rennräder, das Dean und das Noah, aber mir war klar, dass man nur mithilfe des Windkanals an der Spitze der Entwicklung bleiben kann. Ich habe deshalb nach Partnern gesucht. Wir taten uns schließlich zusammen mit anderen Unternehmen der Fahrradbranche wie Bioracer und Lazer, aber auch die regionale Regierung und ein Engineering-Unternehmen sind mitbeteiligt. Mit insgesamt sieben Unternehmen haben wir das Bike Valley ins Leben gerufen, wo es unter anderem einen großen Windtunnel gibt, der speziell für die Radindustrie entwickelt wurde.
Wer kann dort entwickeln?
Bike Valley bietet Forschung für die Produktentwicklung an, aber es kommen natürlich keine anderen Fahrradmarken, sondern vor allem Komponenten- und Bekleidungshersteller. Dann nutzen natürlich auch die Pro-Teams den Windtunnel. Aber es können auch ambitionierte Athleten ihre Position und Ausrüstung optimieren. Man staunt, was man in einer Stunde Zeit optimieren kann, weil der Tunnel so spezifisch für die Bedürfnisse von Radsportler*innen ausgelegt ist. Ich denke, in einer Stunde können sie dort 90 % der möglichen Vorteile durch Aero-Optimierung herausarbeiten. Wir haben sehr viele Kunden aus dem Triathlon-Bereich.
Wird es auch beim WorldTour Sponsoring bleiben? Wie viele Räder benötigt so ein Team überhaupt?
Wir haben den Vertrag mit dem Lotto-Team gerade bis 2025 verlängert und wenn sie nächstes Mal wieder anfragen, werden wir nicht zögern. Wie viele Teambikes sie benötigen, ist je nach Saison unterschiedlich. Letzte Saison wechselten sie von Campagnolo zu Shimano – sie waren seit 2005 bei Campagnolo. Und wenn man den Gruppensponsor tauscht, muss man zum Beispiel mehr Bikes liefern. Es sind im Durchschnitt so 200 Rennräder pro Jahr, denke ich.
Nun bist du ja mit einem Eddy Merckx-Rahmen hier, nicht mit Ridley, wie kam das zusammen?
Die Fahrradfirma Eddy Merckx wurde, wenn ich mich richtig erinnere, 2008 zum ersten Mal verkauft, an eine Firma, die zu den Großen im Schuhgeschäft gehörte und Merckx sanieren und teurer weiterverkaufen wollte, was nicht gelang. Es übernahm dann eine große Biermarke, die viel investierte, aber am Ende auch aus dem Bike-Business ausstieg und die Marke verkaufte. Sie kamen auf mich als Ersten mit einem Angebot zu.
Für mich war es ein Traum. Merckx ist ein Nationalheld, ich fuhr meine ersten Rennen auf einem Eddy Merckx. Die Entscheidung war auch von Leidenschaft geprägt. Eddy Merckx ist jetzt die einzige Marke im Unternehmen, die immer noch Custom-Geometrien fertigt, für das Modell Corsa, das wir auch hier ausstellen.
Die Custom-Lackierung haben wir übrigens mit Ridley beibehalten. Wir hatten zum Start in 1999/2000 keine Lagerware, also bauten wir alles nur auf Bestellung und heute sind wir, denke ich, einer der größten Serienhersteller, die Wunschdesigns anbieten, für 100 € Aufpreis.
Weil du selbst Rennfahrer warst: Welches Radrennen verfolgst du heute am liebsten?
Ok, ich bin nicht objektiv, aber für uns ist es natürlich Flanders und Roubaix (die Flandernrundfahrt und Paris-Roubaix, Anmerkung der Redaktion) und ich sehe wirklich beide gleich gerne.
Danke für das Gespräch!
Was ihr schon immer (nicht) über Eddy Merckx wissen wolltet
„Steel is real“ und …
… Fahrräder machen Spaß!
Gravel Bikes sind nicht die Hardtail-Mountainbikes der 2020er, weil …
… Hardtail-MTBs sich zu sehr leistungsfähigen Fahrrädern entwickelt haben, die in viel schwierigerem Gelände eingesetzt werden können, als dies mit Gravel Bikes möglich ist.
Wenn ich einen MTB-Bezeichung wie „Trail-Bike“ und Co. prägen könnte, dann wäre das …
… nichts, wir stellen das Produkt an erste Stelle und legen Wert darauf, dass es für sich selbst spricht.
Das Mountainbike von 2025 hat …
… alles elektronisch: elektronische Schaltung, elektronische Federungseinstellung, verbunden mit der elektrischen Antriebseinheit.
Laufräder und Reifen an einem Bike sind …
… das Tüpfelchen auf dem I.
Ein guter Fahrradrahmen entsteht …
… mit einer guten Geometrie als Ausgangspunkt.
Wenn deine Firma ein Headbadge mit Tiersymbol haben müsste, dann wäre das …
… scherzhaft würden wir sagen, ein GOAT (englisch: Ziege), denn Eddy ist der Greatest Of All Time.
Standards in der Fahrradindustrie sind …
… kein Standard (unglücklicherweise).
Mehr Informationen zum Corsa und Eddy Merckx gibt es hier: www.mycorsa.com
Kanntet ihr die Verbindung zwischen Ridley und Eddy Merckx?
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