Rennrad-News: Hallo Fabian, wie ist die Situation rund um Corona momentan an deinem Zuhause in der Schweiz?
Fabian: Ich glaube, es geht in Europa und der Welt im Grunde mittlerweile allen gleich. Wir haben jetzt in der Schweiz keine Ausgangssperre, wir haben Social Distancing, die Geschäfte und Restaurants sind geschlossen, die Fahrradgeschäfte sind aber nicht zu (lacht). Man kann immer noch raus, Kinder können auch raus, aber eben nicht viele Kinder auf einem Haufen.
Manche Hersteller rufen dazu auf, das Rad stehen zu lassen? Was denkst du darüber?
Wenn ich alleine Radfahren gehe, dann sollte das ja kein Problem sein. Ich bin natürlich kein Mediziner. Darf man in den Wald joggen gehen? Ich weiß nicht. Das letzte, was man mir wegnehmen kann, ist eigentlich die Natur, dass man nicht mehr mit der Natur in Berührung kommen würde, das wäre das Brutalste in meinen Augen. Zuhause sitzen und Däumchen drehen, das wird sicher für Viele ein Problem. Es hat nicht jeder zuhause ein Laufband oder eine Rolle. Ich denke, diejenigen, die eine Rolle haben, werden sich sicher jetzt online vergnügen, aber wenn man so etwas nicht hat, ist es sicher nicht einfach. Ich denke, wir sind in der Schweiz noch gut bedient, wir haben auch gewisse Restriktionen, an die wir uns halten. Ich muss mal schauen. Ich war im Winter viel unterwegs. Es wird schwierig, mich auf die Rolle zu bringen, wenn wir draußen 15 oder 18 Grad haben so wie jetzt.
Ich weiß natürlich als Profi, wie intensiv eine Stunde auf der Rolle sein kann, es kann sein wie 2 bis 3 Stunden draußen rumfahren. Ich sehe es als Kombination. Aber, ganz ehrlich, jetzt wäre ich lieber draußen.
Nur damit man eine grobe Vorstellung über deine Wissensbasis bekommt: Was schätzt Du, wieviel Kilometer bist Du schon auf Pavé gefahren – nicht nur bei Paris-Roubaix?
Mmmhh, schwierig (lacht). Nein. Also, ich bin schon etliche 100 km auf Pflaster gefahren, kann gut sein, dass ich über 1.000 Kilometer gefahren bin.
Magst Du Kopfsteinpflaster?
Im Training nicht. In Bern, wo ich wohne, hat’s ja auch Kopfsteinpflaster, das ist (zögert) okay. Aber in Belgien und in Roubaix, das sind schon nochmal ganz andere Welten. Roubaix ist ja ein Pflaster, das man eigentlich nicht fährt, weil die Wege zum Teil auf Ackern sind. Und Flandern, das kannst du fahren, ist kein Problem. Du musst halt schauen, wieviel Luft du in deinen Reifen hast.
Stell Dir vor, du hättest einen Freund, der die Jedermann-Version von Paris-Roubaix fahren will – was würdest Du ihm mit auf den Weg geben?
Gut, der sollte natürlich schon ein bisschen Kilometer gemacht haben im Winter. Ein paar Skills wären auch nicht schlecht Vom Material her sollte er natürlich einen breiten Reifen haben, also mit 23 mm müsste er da nicht auftauchen. Ich denke, 28 mm wäre das Mindeste, 30 mm wären besser für jemand, der da das erste Mal mitfährt. Natürlich nicht zuviel Luft, zuviel Luft ist nicht förderlich, anständige Fahrradklamotten anziehen, wenn das Wetter schön ist, am besten meine neue Kollektion (lacht). Wichtig ist auch, dass er sich nicht zu sehr auf dem Rad versteift. Der Lenker sollte nicht mit voller Kraft gehalten werden, denn sonst geht die Kraft in den Armen verloren. Dann versteift sich der ganze Körper und er verliert zu viel Energie beim Fahren. Und vor allem Freude, Spaß: Nicht zu krasse Emotionen aus dem Profi-Rennen auf die eigene Fahrt übertragen. Der Profi, der fährt voll. Aber wenn jemand Paris-Roubaix zum ersten Mal fährt, dann soll er auch etwas von dem Feeling mit nach Hause nehmen, das er dort erlebt.
Zuviel Luft ist nicht förderlich.
Wo anfassen, um Schmerzen zu vermeiden? Oberlenker, Unterlenker, Bremsgriffe?
Am besten so machen, wie man persönlich am besten fährt. Ich bin der Typ Oberlenker gewesen. Ich kannte ja die Bremspunkte. Es ist wichtig, dass jeder dort seinen Weg findet. Die Sprinterposition im Bogen des Unterlenkers ist wahrscheinlich das Einfachste und Sicherste. So kann man verhindern, dass man in der Kurve die Bremshebel verliert, also mit den Händen abrutscht.
Und man muss natürlich schon vorausschauend fahren. Das ist es ja, warum man im Rennen vorne fahren muss. Es lauern überall unerwartete Gefahren. Bei Paris-Roubaix kann man auf dem Randstreifen links und rechts schon etwas Kraft sparen, wenn man da fährt, aber es hat schon seine Lücken und Tücken darin und ruckzuck ist dein Rennrad defekt, also mit einem Platten oder einer Felge, die kaputt geht.
Die schönen Momente sind die, wenn es einfach läuft, wenn du darüber fliegst.
Was ist Deine schönste Erinnerung an einen Kopfsteinpflaster-Klassiker?
Die schönen Momente sind die, wenn es einfach läuft, wenn du darüber fliegst, wenn du gar nicht spürst, was eigentlich die Härte des Rennens ist. Dann kommt da noch die Konzentration dazu, der Flow, in dem man sich befindet, aber die gibt es als Zugabe. Dieses Gleiten über das Pflaster, die perfekte Abstimmung zwischen Trittfrequenz, Power, Position und der Speed, den man da entwickeln kann, das ist schon eine schöne Erinnerung, wenn man daran zurück denkt. Ob es jetzt der Sieg oder eine bestimmte Attacke ist, das ist alles zusätzlich, aber diese Perfektion das ist das Grundelement, wenn man das erreicht, ist das schon eine Wahnsinnserinnerung, die man mitnehmen kann.
…eine bestimmte Attacke?
Nein, wenn das Gefühl der Perfektion da ist, dann läuft es auch. Eine Attacke ist immer hart, aber wenn dieses Zusammenspiel da ist, dann läuft’s. Ich sage nicht, dann macht es noch mehr Spaß! Aber dann weißt du, dass es dann ganz hart wird für die anderen, die da am Hinterrad hängen. Es ist auch eine psychische Komponente, die da herein spielt. Klar, wenn du 45 km vorne weg fährst oder von hinten das Feld aufrollst oder in entscheidenden Situationen einfach da bist oder einen Sieg raus fährst – alleine ins Velodrom einzurollen ist natürlich ein Riesen-Highlight –, aber das kommt dann, ich will nicht sagen von alleine, aber wenn das perfekte Zusammenspiel da ist, wenn du die Basis dafür gelegt hast, dann machst du das Pflaster zur normalen Straße, das ist es.
Dann machst du das Pflaster zur normalen Straße.
Egal, welches Rad?
Die mentale Komponente ist schon sehr, sehr wichtig. Man kann heute Paris-Roubaix gewinnen mit spezifizierten Rennrädern oder nicht. Man hat in den letzten Jahren gesehen, wie viele Teams Reifenbreiten verändert haben, wieviele ein spezifisches oder eben nicht spezifisches Rad vom Hersteller hatten. Es ist glaube ich auch da wieder sehr individuell.
Was ist die schlechteste Erinnerung an einen Kopfsteinklassiker?
Wenn es geregnet hat. Dann die schwierigen Passagen zu fahren, wenn sich Schlamm auf der Straße gesammelt hat, der Mix aus Trockenheit und Schlamm oder feuchtem Boden, das ist das, was man nicht gern hat. Das ist nicht kontrollierbar.
Was denkst du, wer dieses Jahr Paris-Roubaix gewänne, wenn es stattfinden würde?
Also, ich denke, da wird nichts mehr stattfinden bis Ende April. Darum habe ich mir auch keine Gedanken mehr gemacht um das „Wenn“ und „Was wenn“ bei den Klassikern. Vielleicht gibt es ja eine Flandernrundfahrt Mitte November, kann ja sein, weiß man nicht. Keiner weiß, was kommt. Es ist, wie es ist.
Welche Fahrradtechnik hat für dich das Fahren auf dem Kopfsteinpflaster am stärksten verändert?
Der Einsatz von Carbon statt Aluminium an den Laufrädern und an den Rahmen hat schon das Meiste verändert. Woran viele nicht sofort denken, ist die Länge der Räder, also der längere Radstand. Was für mich aber gar nicht geht, ist eine Federgabel, das ist ein No-Go.
Eine Federgabel, das ist ein No-Go.
Was denkst du über die aktuelle Technik im Radsport?
Ich finde es spannend, wie sich der ganze Markt entwickelt hat, egal, ob das Trek, Specialized oder BMC oder Castelli, Santini oder Gore ist. Ich konnte das jetzt bei Gore aus einer anderen Perspektive die letzten drei Jahre miterleben (Cancellara ist Markenbotschafter und unterstützt bei Entwicklungen). Es ist nicht so, wie man sich das vorstellt, dass ich in der Welt rumreise und von Marken erzähle, sondern, dass ich meine Expertise in Projekte einbringe. Ich werde sicher kein Ingenieur, aber ich rede mit den Ingenieuren und wir setzen gemeinsam Neues um. Das ist für mich spannend, ich lerne viel. Ich musste lernen, dass Radkleidung nicht von heute auf morgen auf meinem Tisch liegen kann, sondern, dass das Engineering auch bei Kleidung ein aufwendiger Prozess ist.
=> Hier findet ihr die Vorstellung der Cancellara-Kollektion auf Rennrad-News
Wärst Du gern nochmal jünger und würdest gegen MvdP fahren?
Es geht ja nicht, das ist schon mal das Eine. Aber: gleiches Alter, gleiche Situation, warum nicht, wäre sicher mal cool. Ich mache mir jetzt keine Gedanken darum. Ich genieße es fast mehr, ihm zuzuschauen, wie er seinen Weg geht und wie er jetzt die Rennen gewinnt.
Er kommt ja vom Cyclo-Cross. Bist du selbst Cyclo-Cross gefahren?
Als Junge, ja!
Glaubst du die Cyclo-Cross Erfahrung einer jungen Generation von erfolgreichen Radprofis wie Pidcock, Van Aert, Stybar oder eben Mathieu van der Poel spielt eine Rolle?
Ich denke, die Fahrtechnik ist sicher sehr entscheidend. Und auch die Intensität des Trainings hat einen Teil dazu beigetragen, dass aus dieser Sparte Leute ihren Weg im Straßenradsport gefunden haben. Die Jungs trainieren ja auch gewisse Radumfänge allgemein, aber die Intensität ist eben über eine Stunde. Es ist im Grunde wie ein Zeitfahren, aber ein Zeitfahren, aus dem attackiert wird. Zeitfahren ist eine Pace, Cyclo-Cross ist auch eine Pace, aber mit Attacken und Rhythmuswechseln über die ganze Zeit. Man hat ja gesehen, dass die so gut aus dem Winter kommen, dass sie bei den Klassikern ganz vorne mitfahren können.
Richtig angefangen hat es mit dem Fahrrad meines Vaters.
Wie hast Du das Radfahren gelernt, erinnerst Du Dich?
Ich bei einfach vor dem Haus meiner Eltern gefahren, erst mit Stützrädern, dann ohne, ich bin einfach immer gefahren. Richtig angefangen hat es mit dem Fahrrad meines Vaters. Es stand in der Garage und ich habe ihn gefragt, ob ich es gebrauchen dürfe. Und er hat gesagt, ja klar, hier, kannst’ nehmen, aber bleib auf dem Rad und trage Sorge um es.
Und was war Dein erstes Fahrrad?
Meinst du das erste Profi-Rennrad…
…nein, Kinderrad.
Pffff. Nein, das ist schon lange her. Ich hatte mal so ein buntes Rad mit diesen poppigen Farben, Leuchtgelb-Leuchtorange, das weiß ich noch.
Zum Schluss unsere 3 Entscheidungsfragen:
In der Stadt: Hollandrad oder Fixie?
Ja, dann Fixie.
Nach dem Rennen: Kuchen oder Pommes?
Beides (lacht).
Es regnet: Überschuhe oder Zwift?
Das ist gemein. Äh, Shakedry. Nein, im Winter Zwift, im Sommer Überschuhe.
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2 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumAls Radprofi hatte Fabian Cancellara einen einzigartigen Stil. Konkurrenten sagten, sie wussten, dass es hart wurde, wenn sie seinen Rücken in einer bestimmten Haltung sahen, seine Palmarès reichen für zwei Sportkarrieren. Wir konnten Fabian Cancellara aus Anlass der Vorstellung einer eigenen Radkollektion interviewen: zu Tipps für das Bewältigen von Klassikern, seinem Verhältnis zu Kopfsteinpflaster sowie über das Radfahren allgemein und in Zeiten von Corona im Speziellen.
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Cancellara, für immer verbunden mit 'unbewiesenem' Motordoping
Cancellara, für immer verbunden mit wunderbaren Ausgaben der Ronde und Paris-Roubaix! Danke!
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