Geraint Thomas hat die Tour gewonnen. Tom Dumoulin stand nach 21 Tagen und 3.351 km gerahmt von zwei Sky-Fahrern als Zweiter auf dem Podium. Welche Bilder und sportlichen Höhen und Tiefen die Tour sonst noch prägten, haben wir hier zusammengestellt.
Geraint Thomas gewinnt die Tour
Ein Sky-Fahrer ganz oben auf dem Podium, aber nicht Chris Froome. Hätte das vor der Tour jemand prophezeit? Thomas konnte es wohl selber noch in Paris kaum glauben. So unvorbereitet bis fassungslos wie er seine Rede auf dem Podium in Paris hielt, wirkt er etwas nahbarer als sein ehemaliger Team-Kapitän Chris Froome.
Thomas Siegesrede auf Twitter
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Thomas gewinnt vor dem Niederländer Tom Dumoulin mit einem Vorsprung von 1’51“. Die Art, wie er diesen Vorsprung bis Paris herausgefahren hat, zeugt von Siegeswillen. Während es dem viermaligen Toursieger Froome schon gelang, ohne einen einzelnen Etappensieg die Rundfahrt zu gewinnen, holt sich Geraint Thomas gleich zwei Einzelsiege hintereinander in den Alpen, darunter den prestigeträchtigen Schlussanstieg nach Alpes d’Huez. Auf den Flachetappen und auf dem Weg nach Roubaix hält er seinen – da noch – Kapitän aus dem Gröbsten heraus (auch wenn das in Roubaix misslingt). Auch im Hochgebirge bleibt er aus Taktik oder Regiment-Treue immer genau so lange bei Chris Froome, wie keiner der Favoriten aus den anderen Teams den Sky-Leader Froome so attackiert, dass der nicht mehr folgen kann. Thomas ist also zunächst zur Passivität verdammt. Geht Thomas eine Attacke mit, sprintet er auch immer mit um den Sieg. Letztlich trägt das entscheidend zu seinem Sieg bei. Denn den größten Vorsprung gegenüber Dumoulin erringt Thomas wegen eines Defektes von Dumoulin auf der 6. Etappe, bei der dem Niederländer zusätzlich eine Zeitstrafe aufgebürdet wird. Ganze 1’18“ Abstand gehen auf dieses Konto. Noch einmal ein paar Sekunden verdankt er außerdem Schaltproblemen bei Dumoulin auf der Etappe nach La Rosière. Man kann also sagen: Geraint Thomas hat die Tour gewonnen, weil er sich keine Bonus-Sekunde hat entgehen lassen, auch wenn ihn das manchmal angesichts der Dominanz seines Teams unsympathisch machte.
Daumen hoch oder Daumen runter? Hoch. Es wäre schon sehr unsportlich, sich nicht mit einem Sieger zu freuen. Es machte Spaß, zuzuschauen, wie Thomas seine erste Tour de France gewann. Mit dazu bei trug sicher auch, dass die interne Rollenverteilung bis in die Pyrenäen hinein von Sky nicht glasklar gemacht wurde. Die Thron-Erbfolge unter erschwerten Bedingungen zu beobachten, hat auch Reize.
Die Dominanz von Sky
Stehen demnächst drei Sky-Fahrer auf dem Podium in Paris? Schon zwei Sky Fahrer auf dem Treppchen sagen viel über die Dominanz dieser Mannschaft bei Rundfahrten, aber noch nicht alles. Die Siege bei der Kolumbien- und Kalifornien-Rundfahrt von Bernal, bei der Algarve-Rundfahrt und Tirreno Adriatico von Kwiatkowski und nicht zuletzt beim Giro von Froome sprechen schon eine deutlichere Sprache. Alle drei Fahrer standen bei der Tour im Aufgebot. Immerhin hat es Kwiatkowski auch noch auf Platz vier der Tour geschafft. Dazu Wout Poels, der selbst als Riesen-Rundfahrttalent gilt. Fünf von acht Sky-Fahrern bei der Tour 2018 könnten chancenreiche Kapitäne einer Rundfahrt sein. Und es gibt noch mehr sehr starke Fahrer, ohne solche Qualität in der Tiefe wäre die große Siegeszahl nicht möglich. Kein Grund also, für einen der Kapitäne in einer anderen Mannschaft zu fahren. Es sei denn, man will auf Toursieg fahren. Aber dann müsste man ja gegen Sky fahren.
Daumen hoch oder runter? Runter. Wo die finanziellen Mittel zwischen Teams so ungleich verteilt sind, kann selbst die ausgetüfteltste Streckenführung ein Rennen nicht nachhaltig spannend machen. Wenn am Ende immer Sky gegen Sky fährt, sollte die UCI spätestens über ein Budget-Limit für Teams nachdenken statt eines Gewichtslimits für Räder.
Die kurzen Etappen in den Bergen
Gleich zweimal haben die Tour-Organisatoren extra kurze Etappen mit extra vielen Höhenmetern auf den Streckenplan gesetzt: einmal in den Alpen und einmal in den Pyrenäen, dem härtesten Teilstück. Tatsächlich sortieren beide Tage das Klassement neu. In den Pyrenäen beeindruckt Nairo Quintana mit einem langen Solo, das ihm am Ende des Tages den Sieg bringt, aber am dritten Tag in den Bergen so viel kostet, dass er den Anschluss an die Top10 endgültig verliert. In den Alpen lässt Geraint Thomas zum ersten Mal seine Form aufblitzen und legt den Grundstein für den Abstand zu Froome.
Daumen hoch oder runter? Hoch. Wie viele Kilometer auf einer Etappe flach vor den Bergen verlaufen, macht für die Zuschauer kaum einen Unterschied, der Großteil schaltet ohnehin spät ein. Sportlich sind die harten kurzen Etappen anscheinend genauso selektiv wie die längeren, die Pyrenäen-Etappe war sogar spannender. Auf ihr entfachte sich am letzten Anstieg ein richtiges Feuerwerk an Attacken zum Mitfiebern, das sportlich mehr Spektakel bot als der Anstieg nach Alpes d’Huez.
Der Kampf der Sprinter mit den Bergen
Bei jeder Tour scheiden Sprinter aufgrund des Zeitlimits aus. Früher stiegen manche Schwergewichte im Sprinterzirkus sogar kühl berechnend vor den Bergen aus der Tour aus, ohne auch nur den Versuch zu machen, hinüber zu kommen. Damit machte unter anderem Mario Cipollini einen Teil seiner Sympathiewerte unter den nicht-italienischen Radsportfans zunichte. Aber es ist 2018, die meisten Sprinter wollen über die Berge kommen – und konnten dieses Jahr nicht. Marcel Kittel und Mark Cavendish erwischte es als erste. André Greipel hielt sich einen Tag länger. Auch die Dominatoren der ersten Tourwoche, Gaviria und Groenewegen, müssen den harten Alpenetappen Tribut zollen und verlassen die Tour. Damit sind fast alle Fahrer, die auf den Flachetappen die Siege unter sich ausmachten raus. Als bergfest erweisen sich aus Deutschland John Degenkolb und Nikias Arndt. Und Peter Sagan schöpft Kraft aus dem Tragen des gelben Trikots. Bilder, die hängenblieben, sind wie sich der angeschlagene Sagan mit dem Oberkörper schaukelnd, mit den Armen und Beinen in Verbandsnetzen steckend die Pyrenäen-Anstiege hoch quält. Udo Bölts hätte seine Freude gehabt.
Daumen hoch oder runter? Hoch. Es gab eine große Diskussion in den Medien und unter den Fahrern, insbesondere in Deutschland, weil von hier gleich zwei Top-Sprinter ausschieden. Aber: Die verbliebenen Sprintankünfte waren deshalb nicht weniger spannend. Bestes Beispiel ist das Finale auf den Champs-Èlysèe, wo der Ausreißer Lampaert erst auf den letzten Metern gestellt wurde und John Degenkolb sich einen packenden Kampf mit Alexander Kristoff lieferte. Nicht, dass John Degenkolb kein Star wäre, aber das Fehlen der Stars macht das Sportliche nicht weniger packend. Zur Diskussion um die Härte der Etappen: Die waren seit fast einem Jahr bekannt. Darauf hätte man sich bei der Zusammenstellung des Teams oder im Training einstellen können.
https://twitter.com/petosagan/status/1022906348122587136
Die Roubaix-Etappe und John Degenkolb
Darf man den Tour-Fahrern eine so spezielle Kursführung mit den die 15 Kopfsteinpflaster-Sektoren nach Roubaix zumuten? Das war ebenfalls eine viel diskutierte Frage. Es gab tatsächlich einige Stürze, von denen manche das spätere oder direkte Tour-Aus zur Folge hatten. Im Fall Richie Porte hatte das gesundheitliche Folgen. Zu extrem? Einige Kopfsteinpflaster-Spezialisten entgegneten den Kritikern später, dass man mit dem Argument auch die Hochgebirgsetappen nicht fahren dürfte – die manche von ihnen dann ja auch nicht schafften. Was die Spannung angeht, war die Roubaix-Etappe in jedem Fall eines der Highlights der Tour. Gekrönt von einem der emotionalsten Momente der Rundfahrt, als John Degenkolb über seinen Sieg nach langer Pechsträhne zu Tränen gerührt war.
Daumen hoch oder runter? Hoch. Es ist kein Zufall, dass es Degenkolb als besondere Auszeichnung empfindet, auf dem schweren Terrain zu gewinnen. Taktik, Vermögen, Streckenkenntnis und auch Zufall kommen in der Hölle des Nordens so zusammen, dass der Rennverlauf schwer vorhersagbar ist. Man muzss auch etwas Glück haben, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zu sein. Das unterscheidet die Etappe von vielen anderen. Der Klassiker Paris-Roubaix ist Teil der Radsporttradition wie die Tour selbst. Strecken wie diese oder die Strade Bianche in Italien geben dem Sport etwas von dem Mythos zurück.
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