Gravel Bikes sind einer der großen Trends der letzten Jahre, keine Frage. Doch auch Rennräder sind wieder schwer in Mode, und es stellt sich zwangsläufig die Frage: Kann ich auf einem Gravel Bike in einer Gruppe von Rennrädern mithalten? Selbstversuch auf dem Weg zum Gardasee.
Kann das Gravel Bike mithalten? Die kurze Antwort
„Das kommt drauf an.“ – ganz klar, so ist es nämlich: Je nachdem, wie fit deine Rennrad-fahrenden Freundinnen und Freunde sind, und wie fit Du bist, kannst Du natürlich auch mit einem Gravel Bike locker mitfahren. Und im Windschatten geht es sowieso. Dort sparst du nämlich viel mehr Kraft, als selbst das krasseste Gravelbike mit MTB-Reifen dich kostet (dazu gibt es weiter unten eine Beispielrechnung).
Die lange Antwort
Wie viel langsamer ist ein Gravel Bike als ein Roadbike? Nun, zunächst einmal haben die Reifen einen höheren Rollwiderstand. Breiter, mit mehr Profil und weniger Luftdruck rollen sie einfach schlechter als Straßenreifen. Punkt. Dazu kommen aerodynamische Nachteile durch breiten Lenker, niedrigere Felgen und eine aufrechtere Sitzposition. Obendrauf gibt es dann schließlich noch die weniger aggressive und am Ende des Tages potentiell weniger effiziente Haltung, die bio-mechanische Nachteile bedeuten kann. Bleibt die Frage: Wie viel macht das aus?
Sitzposition
Die Sitzposition wirkt sich sowohl aerodynamisch als auch bio-mechanisch aus – beides getrennt zu bewerten vermag ich offen gesagt nicht. Mein Test ist stattdesssen aber einfach und – meiner Meinung nach – interessant: Ich bin die gleiche Strecke wiederholt mit dem Rose Backroad 2019 und dem Rose Backroad 2020 gefahren. Gleiche Reifen, gleiche Felgen, gleiches Gewicht, gleiche Bekleidung aber stark unterschiedliche Sitzpositionen. Auf eine Strecke von 16,9 km war ich mit dem älteren Bike im Durchschnitt 45 Sekunden schneller. Gefühlt war ich mit dem neuen Bike deutlich langsamer, weil man deutlich aufrechter sitzt. Verglichen damit scheint mir der Zeitunterschied nicht sehr groß. Andererseits: auf eine Stunde sprechen wir schon von 90 Sekunden, das entspricht 2,5 %! Die muss man erst einmal durch Training holen!
Rollwiderstand
Auch den Rollwiderstand kann man recht einfach ausprobieren: Einfach mal Rennradreifen auf ein Gravel Bike montieren. Genau das habe ich gemacht, um an einem Tag von München an den Gardasee zu fahren. Der Unterschied ist tatsächlich unmittelbar erfahrbar. Ob man mit einem 40 mm Schwalbe G-One mit leichten Noppen oder einem 30 mm Schwalbe Pro One Slick unterwegs ist – das merkt man. Wir haben deshalb diese Reifen und noch einen G-One Speed jeweils mit Schlauch und Tubeless auf unser Rose Backroad Testrad montiert und sind Probe gefahren – im direkten Vergleich.
Montiert man Rennradreifen auf einem Gravel Bike, fällt erstmal auf: Das Bike wird ordentlich tiefer gelegt – das gesamte Fahrrad sinkt etwa 7 mm ab. Weiterhin kann und sollte man – wenn die Felgen es hergeben – einen höheren Luftdruck fahren. So fuhr ich statt 3 Bar mit den 40 mm Reifen dann 5 Bar auf den 30 mm Reifen. Insgesamt muss ich sagen: Höherer Luftdruck, kein Profil und Tubeless sorgten für einen deutlichen Vorteil hinsichtlich des Rollwiderstands, so dass die Strecke München – Riva recht bequem von Statten ging. Aber: Ebenfalls auf der Tour einigermaßen mithalten konnte mein Kumpel mit G-One in 40 mm und mit Schlauch. Am Ende ist es nämlich leider, wie so oft, eine Frage des Trainings.
Profil
Im Gegenzug büßt man mit den schmaleren Reifen etwas Komfort ein, das ist klar. Der Grip ist auf Asphalt genial – so lange es trocken ist. Bei Nässe profitiert der Reifen mit Profil. Slicks sind in Summe eine eindeutige Spezialisierung, die nur Spaß machen werden, wenn man echt konsequent auf der Straße bleibt. Der richtige Kompromiss war für mich am Ende der G-One Speed: Er bietet beinahe den Speed des reinen Rennradreifen Pro One. Gleichzeitig sorgt sein Minimalprofil dafür, dass er bei Nässe nicht ganz so brutal ins Rutschen gerät wie der Slick. Außerdem erscheint sein V-Guard zwar minimal träger, aber eben auch robuster.
Tubeless
Und sollte ich das Bike jetzt tubeless aufbauen? Ja, unbedingt. Aber auch im Jahr 2020 sind Tubeless-Aufbauten leider noch nicht immer unkompliziert. Entscheidend ist tatsächlich auch das Felgenband, und hier fragt man sich schon, warum beispielsweise Rose das Backroad mit Tubeless-Ready Felgen und Reifen ausrüstet, aber nicht gleich das passende Felgenband montiert. Das war beim Votec VRC übrigens erfreulich, da stimmen Felgen, Felgenband und Reifen; als Endkunde muss man nur noch die Ventile und Milch einsetzen, aufpumpen und gut ist.
Reifenbreite
Bleibt nur noch die Frage nach der Reifenbreite. 30 mm, 35 mm oder 40 mm? Hier ist sicher die Frage nach bevorzugtem Reifendruck und Untergrund zu stellen. Meiner Einschätzung nach werden die meisten Gravel Bikes gar nicht so viel auf Gravel bewegt, weshalb man sich durchaus einen leichteren 35 mm Reifen gönnen kann. Ab 30 mm sieht die übertriebene Reifenfreiheit doof aus – und das abgesenkte Tretlager macht sich auch negativ bemerkbar. Daher wäre meine Empfehlung ganz einfach das goldene Mittelmaß von 32-35 mm, je nach Reifenhersteller. Hier gibt es schon spürbar mehr Komfort als am „echten“ Rennrad, ohne dass man spürbar langsamer würde. Das beste aus beiden Welten eben.
Windschatten
Und ganz zum Schluss noch einmal ein Blick auf die Fahrtaktik. Denn natürlich kannst du mit einem Gravel Bike in einer Gruppe gleich starker Fahrer*innen mithalten, wenn du einfach immer an irgendeinem Hinterrad bleibst und dich hartnäckig weigerst vorne zu fahren. Je nach gefahrener Geschwindigkeit können im Windschatten hinter einem Fahrer 20 bis 30 Prozent Energie gespart werden. Klingt viel, ist es auch. Auf jeden Fall ist es mehr als der Unterschied zwischen einem stollenbereiften Gravel Bike und einem Rennrad.
Wir haben dazu auf der bewährten Seite Kreuzotter.de Beispielrechnungen durchgeführt. Verglichen haben wir ein MTB mit 1,75″ schmal-breiten Stollenreifen (vulgo 45 mm-Gravel Reifen) mit einem Rennrad mit mittelbreiten Slicks (vulgo 32 mm-Reifen), das in Oberlenkerhaltung gefahren wird. Beide sind bei Windstille mit schon ordentlichen 30 km/h unterwegs und werden von gleich großen und schweren Fahrer*innen pedaliert. Dann wird das Rennrad mit 212 Watt angetrieben. Das simulierte, 1 kg schwerere „Gravel Bike“ benötigt 240 Watt. Der Unterschied: 12 %! Das lässt sich durch Windschattenfahren locker ausgleichen.
Aufpassen solltest du aber, wenn dein Windschattengeber plötzlich in den Unterlenker greift. Denn dann kommt sie oder er auf einmal mit 159 Watt aus. Und du hast weniger Windschatten. Gut, dass du ein Gravel Bike hast und kein MTB, denn das hat auch einen Unterlenker, den du jetzt auch schnell nutzen solltest ;-).
Fazit
Also, kann ich mit dem Gravel Bike mit einem Rennrad mithalten? Ja, wenn Du fit bist. Mit schmaleren, leichter profilierten Reifen kannst Du den Unterschied noch weiter verkleinern. Aber überleg Dir doch gleich, ob Du überhaupt ein Gravel Bike brauchst – oder ob nicht vielleicht ein Allroadbike die sinnvollere Wahl sein könnte. Denn auch damit lässt sich mal ein bisschen Schotter fahren; aber auf der Straße bist Du einfach nochmal ein spürbares Stück schneller.
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