Die Nova Eroica Prosecco Hills ist eine Variante des legendären Klassik-Rennradevents in der Toskana, aber für moderne Gravel Bikes und im Veneto beheimatet. Das macht sie nicht einfacher. Und Prosecco mundet genauso gut zu Wadenkrämpfen wie Chianti, wie wir bei einer Teilnahme erfahren durften.
Alessandro Ballan fährt Rennrad nur zum Vergnügen, am liebsten mit Freunden und sehr gerne mit einem Stop im Café unterwegs, sagt er. Wie er da so entspannt und gebräunt vor dem Start der Nova Eroica Prosecco Hills steht und lächelt, mag man dem Ex-Straßenrad-Weltmeister und Sieger der Flandernrundfahrt das glauben. Wäre da nicht ein blitzblank in der Sonne strahlendes BMC Kaius Race Gravel Bike und der Körper, der aussieht, als sei der WM-Gewinn nicht 15 Jahre her, sondern bestenfalls zwei. Auf die Frage, wie lange er heute noch genussvoll 400 Watt treten kann, weicht er diplomatisch aus.
Genießen ja, aber wehtun muss es auch. Das ist das traditionelle Rezept einer Eroica. Das Salz in der Suppe ist der nachlassende Schmerz. Das ist das, was Giancarlo Brocci vorschwebte, als er 1997 mit Freunden in seiner Heimat Gaiole zur ersten Eroica aufbrach. Wie er es ausdrückt: Den Radsport zu seinen Wurzeln zurückzuführen und die Schönheit des Leidens wieder erfahrbar zu machen.
Deshalb wird die lange Route der Eroica Gaiole bis heute mit klassischen Rennrädern gefahren. Sie führt über 209 km mit fast 3.900 Höhenmetern und beinhaltet 145 km Schotterstraßen. Heldenhaft darf man sich schon fühlen, wenn man das geschafft hat.
Zusammen Leiden und zusammen Feiern ist das Motto. Und die Idee ging bekanntlich auf. Heute zählt die Eroica Gaiole um die 8.000 Teilnehmer*innen. Legendär sind ihre Verpflegungsstellen. Sie hätten eher den Namen Open Air-Osteria verdient. Herzhafte Speisen und Dolce werden gereicht. Dazu gibt es wahlweise Iso-Getränke oder (guten) Wein sowie Live-Musik. Weltweit zählen die Veranstalter inzwischen 15 Eroica-Rennrad-Events. Die meisten davon, wie auch die Eroica Germania sind für klassische Rennräder gedacht.
Für „normale“ Rennräder oder Gravel Bikes mit moderner Technik gibt es die Nova Eroica: mit gleichen Zutaten, aber anderen Bikes könnte man verkürzt sagen. Das Reglement ist hier weit weniger streng. Einige wenige Teilnehmer:innen nehmen dennoch den Rennrad-Klassiker. Auch E-Rennräder haben wir auf der Strecke der Nova Eroica Prosecco Hills gesehen. Die meisten kommen aber mit dem Gravel Bike (Fotostory über die Bikes der Eroica Prosecco Hills folgt).
In gewisser Weise fiel der Aufschwung der Nova Eroica auch mit dem Aufkommen des Gravel-Trends zusammen und belebt auch dieselben Werte. Auf Gravel gilt das Bewältigen extrem langer und schwerer Strecken – und nichts anderes sind die weißen Straßen der Toskana – inzwischen zum guten Ton. Tausende nehmen jedes Jahr Gravel Rides mit 360 km und mehr wie Unbound in den USA oder La Traka in Spanien in Angriff.
Wie heroisch ist dann noch eine 140 km lange Tour durch eine liebliche Weinbergregion mit rund 50 % Schotterstraßen-Anteil mag man sich fragen? Denn das ist die längste Strecke der Nova Eroica Prosecco Hills. Oder gar 110 km mit 1.800 Höhenmetern oder der kurze Kurs mit 50 km?
Ziemlich heroisch, kann ich nach absolviertem Medium-Kurs sagen. Es kommt eben auf die Ausgangslage an. Den ehemaligen Klassikerspezialist Ballan, der dreimal auf dem Podium von Paris-Roubaix stand, bringen die paar Hügel des Veneto auf der Strecke auch in seinem Ruhestand nicht annähernd an seine Grenzen. Andere schon.
Und das kommt so. Gleich nach dem Start um acht Uhr zeigt die Nova Eroica zunächst ihr liebliches Gesicht. Zusammen mit 1.300 Teilnehmer:innen (laut Veranstaltern) rolle ich auf ein Panorama zu, wie es auch ein Landschaftsmaler hätte zeichnen können. Eine Hügelkette, darauf thront ein Kastell, dahinter recken sich hohe Berge in den Himmel, alle jubeln oder lächeln in sich hinein, niemand rast los, ein Traumstart.
Dann eine Ortsdurchfahrt – die Straßen sind übrigens nicht gesperrt, aber werden von vielen Helfer:innen an fast jeder Kreuzung sehr gut gesichtert. Achtet man auf ihre Zeichen, kann man beinahe die ganze Strecke durchkurbeln. Dann ein kleiner Hügel, nach einer Kurve geht es weiter nach oben, nach der nächsten wieder und ehe ich mich versehe teste ich im ersten kapitaleren Anstieg die Beine an.
Weiter vorne schallt Opern ähnliche Musik aus einem Bluetooth Lautsprecher. Es wird mitgesungen. Mit meiner Frage, was wir hören, trete ich ins Fettnäpfchen: „Die italienische Nationalhymne“. Was sonst. Woher ich komme? „Germania“. „Ah“. Handy raus, bisschen gesucht und schon klingt die Deutsche Nationalhymne aus der Trikot-Tasche. Bis wir den höchsten Punkt erreicht haben, kommt noch Frankreich an die Reihe, gleich 2x. Ich singe mit, andere auch, die Stimmung ist freundschaftlich.
Und bis ins Ziel bleibt das so. Keine Ermahnungen, keine Belehrungen über Handzeichen, kein „dranhängen, angucken und aus den Schuhen fahren“. Alle fahren, wie sie mögen, geben viel, aber nicht alles und man fährt zusammen, aber auch sein eigenes Tempo im stetigen Strom wechselnder kleiner Gruppen.
Die Gravel-Anteile könnten nicht schöner sein. Weiße Straßen schlängeln sich durch grüne Rebenreihen. Die Begegnungen mit Autos lassen sich an einer Hand abzählen und sind genauso häufig wie die mit Landwirtschaftsfahrzeugen. Die Gravel-Größe und Wegbeschaffenheit ist auch für klassische Rennrad-Reifen kein Todesurteil, aber eine deutliche Herausforderung an die Fahrtechnik.
Das Gravel Bike ist hier die Idealbesetzung. Es rollt. Bis zum ersten Weckruf. Das Gravel Bike mit der passenden Übersetzung möchte man danach ergänzen. Denn dafür, dass das Leiden nicht zu kurz kommt, sorgen bei der Nova Eroica Prosecco Hills steile Anstiege in den Weinbergen. Die Bergs der Flandernrundfahrt mit Gravel-Belag oder Beton mit Regenrillen und der Länge der Lüttich-Bastogne-Lüttich Anstiege – so in etwa muss man sich das vorstellen.
Um es weiter zu illustrieren: Männer in Wolltrikots auf klassischen Rennrädern fahren Schlangenlinien, der Atem geht schwer, die Beine brennen auf jeden Fall, es sei denn, man fährt eine MTB-Übersetzung. Und je weiter hinten der Anstieg im Kurs liegt, desto mehr Heroen schieben.
Manchmal liegen auf den fiesen Anstiegen auch Segmente mit offizieller Zeitnahme. Ähnlich wie bei einer Rallye oder einem MTB Enduro-Rennen wird bei der Nova Eroica die Zeit nur an (besonders herausfordernden) Streckenabschnitten gewertet. So kann man sich einerseits wettkampfmäßig die Lunge aus dem Leib fahren, andererseits aber auch dazwischen eine gute Zeit haben. Am Ende gilt für die Wertung die addierte Zeit in allen Segmenten.
Aber auch ohne Klassement-Ambitionen ist die Art, wie die rund 1.800 Höhenmeter zusammen kommen Herausforderung genug. An der zweiten Härteprüfung treffe ich Paolo. Er wuchtet vor mir ein historisches Rennrad im Eroica-Stil den Berg hoch und fährt in etwa das gleiche Tempo wie ich. Aber er ist sichtlich angeschlagen und muss schließlich dem Berg und vor allem der Übersetzung (44-22, wie ich erfahre, als ich vor ihm den Hut ziehe) Tribut zollen und schieben.
Mit meinem Testrad mit SRAM Rival AXS Wide-Gruppe bin ich für das Terrain und meine Fitness gut bedient. Mit 43-30 zu 10-36 reicht die Kraft bis zum Ende, aber das größte Ritzel und das kleinste Blatt liegen gegen Ende der Strecke sehr oft auf.
Am letzten Anstieg führt gefühlt die Hälfte der Fahrer:innen, denen ich begegne, ihr Rad an der Hand den Berg hinauf. Später im Ziel höre ich, dass einige auch aufgegeben haben.
Eventuell hatten die Bilder vergnügter Rennradfahrer:innen an reich und gut mit lokalen Spezialitäten gedeckten Verpflegungstischen und der spritzige Beiname Prosecco Hills sie in die Irre geführt über den traditionellen Leidensteil der Nova Eroica.
Die Versorgungs-Stopps verdienen dennoch eine eigene Erwähnung. Dass an jedem der drei Halte (sehr guter) Prosecco des Veranstalters Borgoluce ausgeschenkt wird, versteht sich. Man schnappt sich auch nicht einfach einen Energieriegel, füllt die Flasche auf und rast weiter. Man stößt an, bedient sich an Früchten, Süßem oder Herzhaftem aus der Region und erholt sich – die Temperaturen im April erlauben es. Mein Favorit wird die Salame Di Cioccolato, eine Art „Kalte Schnauze“ in der Gestalt einer Salami. Aber auch belegte Panini-Scheiben mit echter Salami oder regionalem Käse füllen die Energiespeicher auf und befriedigen den Gaumen zugleich. An der letzten Station gibt es sogar warme, gefüllte Gnocchi.
Es ist leicht, bei der Nova Eroica Prosecco Hills, mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als man verbraucht hat.
Trotz aller Strapazen ist es bei der Nova Eroica Prosecco Hills leicht, mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als man verbraucht hat. Denn nach den 3 Verpflegungs-Stopps kommt ja noch das Festival (das nebenbei schon am Vortag startet). Und da tischen die Italiener nach guter Eroica-Sitte regionale Spezialitäten auf. Bei der Nova Eroica Prosecco Hills kümmert sich die Congrega dei Radici e Fasioi um das passende Menu. Sie hat sich dem Erhalt des traditionellen Bohnen-Gerichts aus dem Veneto gewidmet. Es gibt köstliches Bohnenpüree an Radicchio mit gerösteten Speckwürfeln und Zwiebeln. Außerdem darf ich mir für einen der handgeschriebenen Bons den Teller mit Grillgut vollpacken, garniert mit zwei Scheiben Polenta und für einen weiteren Bon wahlweise noch eine Schale frittierte Kartoffelecken zum Dahinschmelzen addieren. Wer keine Lust auf Prosecco hat, kann dazu auch ein Craftbeer nehmen, das interessanterweise aus dem gleichen Haus kommt wie der Schaumwein.
Nova Eroica Prosecco Hills Infos
Termin, Strecke, Preise
Datum: letztes April-Wochenende, 2024 steht noch nicht fest
Ort: Conegliano, Italien
Strecken: 50 km, 100 km, 140 km
Teilnehmer: circa 1.500
Preis: zwischen 70 € und 90 € je nach Route und Paket
Charakter: Gravel Ride mit circa 70 km Gravel-Anteil auf der 140 km Route und vielen sehr steilen Anstiegen. Erfordert Kondition und Kraft.
Info: www.eroica.cc
Anreise
Der Flughafen Venedig liegt nah am Startort und ist hervorragend an die deutschen Flughäfen angebunden. Außerdem ist Venedig mit dem Nachtzug von München aus zu erreichen.
Ausrüstung
Eine normale Rennrad Frühlings-Bekleidung passt. Wir konnten kurz-kurz fahren, benötigten aber am Morgen und Abend Weste und Armlinge. Eine Regenjacke gehört auf jeden Fall ins Gepäck.
Das passende Rennrad kann sowohl ein Allroad-Rennrad, als auch ein Gravel Bike sein. Gut fahrbar sind die Wege schon mit Reifen in 32 mm, aber auch mit 25-mm-Reifen kommt man zu Not klar, wie wir gesehen haben. Nicht zu empfehlen ist zu hoher Ehrgeiz bei der Übersetzung. Ein 1:1 Gang als einfachster Gang ist angesichts der steilen Anstiege bei mittlerer Fitness das Minimum. Aber Schieben ist hier auch keine Schande.
Ihr habt auch ein tolles oder besonders übles Erlebnis bei einem Rennrad-Event gehabt? Hier könnt ihr eure Erfahrung mit vielen anderen Rennradfahrern teilen. Schreibt uns eine Mail an redaktion [at] rennrad-news.de mit dem Event, über das ihr gerne berichten wollt.
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