Das neue Orbea Gain E-Rennrad im ersten Test: Das Orbea Gain der dritten Generation wird mit dem Nabenmotor X20 von Mahle angetrieben und will ein ganz besonderes E-Rennrad sein. Orbea hat deshalb umfangreiche Änderungen an der Motorsteuerung vorgenommen, um das Gain ganz besonders sportlich abzustimmen. So kann man auch mit dem E-Rennrad richtig ins Schwitzen kommen. Wir waren schon vor der offiziellen Vorstellung zwei Tage mit dem neuen Gain rund um Girona unterwegs und liefern euch in diesem ersten Test alles Wissenswerte zu dem neuen E-Rennrad der Spanier.
Video: Orbea Gain 2023 Test
Orbea Gain 2023 Infos und Preise
- Als Carbon-Modell (Test) und Alu-Modell
- Motorunterstützung bis 25 km/h
- Mahle Antriebssystem, von Orbea angepasste Motorsteuerung
- Unterstützungsleistung unabhängig von Trittfrequenz
- Reichweite bis zu 4.000 Höhenmeter bei 70 kg Fahrergewicht
- Integrierte Beleuchtung
- Optionaler Range Extender
- Rahmengrößen XS, S, M, L, XL, XXL (nur Carbon-Modelle)
- Gewicht ab 11,5 kg (Gain M10i, Gr. M, Werksangabe)
- Motor/Akku Carbon-Modelle Mahle X20/ 353 Wh
- Motor/Akku Alu-Modelle Mahle X35 Plus / 248 Wh
- Ausstattung von Shimano 105 2×11 bis zu Dura Ace Di2 2×12
- Reifenfreiheit 35 mm bei 700c
- Verfügbar ab sofort
Preise
Carbon-Modelle 5.499 – 9.999 €
Aluminium-Modelle 2.999 – 4.499 €
Steckbrief
Einsatzbereich | Tour, Gravel, Commute, Reise |
---|---|
Rahmenmaterial | Carbon |
Gabel | Carbon |
Gewicht (o. Pedale) | 11,5 kg |
Stack | 569 mm |
Rahmengrößen | XS, S, M, L, XL, XXL (im Test: M) |
Website | www.orbea.com |
Preisspanne | 5.499 - 9.999 Euro |
Das neue Orbea Gain ist auf den ersten Blick nicht auf Anhieb als E-Rennrad zu erkennen. Der längliche Akku versteckt sich gekonnt im Unterrohr, das auch im direkten Vergleich zu Rennrädern ohne E-Unterstützung nicht unbedingt überdimensioniert erscheint. Der Motor ist in der Hinterradnabe platziert und nur zu erkennen, wenn man einen Blick hinter die Kassette oder die Bremsscheibe wirft. Ansonsten wirkt das Orbea Gain wie ein ganz normales Rennrad, lediglich die dezente Bedieneinheit mit LED-Display im Oberrohr und der Ladeanschluss über dem Tretlager deuten auf den E-Antrieb hin.
Orbea sagt, dass man die Elektrifizierung keinesfalls bewusst verstecken wollte, aber auch keine Notwendigkeit sah, das Design so zu verändern, dass man das Rad sofort als E-Rennrad erkennt. Das Gain soll in erster Linie ein Rennrad sein, die Unterstützung durch den E-Motor sei nur eine Zugabe, die den Spaß auf dem Rad deutlich erhöhen könne. Die Basken wollten ein Bike schaffen, das optisch ansprechend auftritt und nicht nur ältere Menschen anspricht, sondern für eine sehr breite Zielgruppe ein attraktives Erlebnis bietet.
Die Innovationen
Mahle X20 Nabenmotor
Die neueste Generation des Mahle Nabenantriebs mit der Bezeichnung X20 wirbt nicht mit maximaler Leistungsabgabe, sondern mit einem geringen Systemgewicht von nur 3,2 kg inklusive 350 Wh-Akku und einer intelligenten Steuerung, die sich zudem individuell anpassen lässt. Außerdem ist das deutsche Unternehmen Herstellern gegenüber offen, die eine eigene Motorsteuerung nach ihren Vorgaben umsetzen möchten.
Leistungsdaten des Mahle X20-Systems:
- Motor Mahle X20
- Max. Drehmoment 55 Nm
- Max. Leistung 250 Watt
- Max. Geschwindigkeit mit Unterstützung 25 km/h +10 %
- Gewicht 1.399 Gramm
- Q-Faktor Standard
- Akku Standard 353 Wh
- Optionaler Range Extender Mahle 171 Wh
- Unterstützungsstufen 3, wählbar über Display oder Lenkerschalter (Option)
- Bedienung Smartphone APP / Display-Einheit
Motortuning durch Orbea
Orbea hat nach eigenen Angaben sehr viel Arbeit in die Feinabstimmung der Motorsteuerung investiert. Den Basken ging es darum, das Tretgefühl so natürlich wie möglich zu erhalten, sprich die Kraft des Motors nur sehr dezent zur Wirkung kommen zu lassen. Dazu hat man in ständigem Austausch mit den Technikern von Mahle den Algorithmus der Motorsteuerung so lange angepasst, bis das gewünschte Unterstützungsverhalten gefunden war.
Sportives Fahren möglich
„Wir wollten ein leichtes Bike und wussten genau, dass es bei einem E-Rennrad nicht auf die maximale Power ankommt“, erklärt Joseba Arizaga, Road Production Manager bei Orbea, den Leitgedanken, der die Entwicklung des neuen Gain maßgeblich bestimmte.
Weil die werksseitige Mahle-Motorsteuerung nach Meinung von Arizaga und seinen Kollegen für wirklich sportives Fahren oft zu viel Power freisetzt, hat Orbea zusammen mit Mahle einen eigenen Algorithmus entwickelt und die Leistungsabgabe des Motors nach eigenen Vorstellungen abgestimmt. Und zwar mit dem Leitsatz „Enough Power“ – auf Wunsch genügend Leistung bereitstellen, aber eben auch nicht zu viel Power aufzwingen.
Ausstattung: breites Angebot mit 11 Modellen
Spätestens beim Blick auf die Liste mit den angebotenen Modell-Varianten wird endgültig klar, wie ernst Orbea das Thema E-Rennrad nimmt. Die Basken haben eine umfangreiche Modellpalette aufgestellt und bieten das Gain Carbon in sechs unterschiedlichen Konfigurationen von 5.499 – 9.999 Euro an. Die günstigere Version mit Aluminium-Rahmen verzichtet aus Kostengründen auf die neueste Antriebseinheit von Mahle und kommt noch mit dem X35 Antrieb. Das sogenannte Gain Hydro ist in fünf Konfigurationen mit einer Preisspanne von 2.999 – 4.499 Euro erhältlich.
Nur die Carbon-Modelle ab 5.499 Euro kommen also in den Genuss der neuesten Antriebseinheit, die mit einem Leistungsmesser und einer feinfühligen Motorsteuerung ausgestattet ist. Nur in diesen Modellen kommt auch der spezielle Algorithmus von Orbea zum Einsatz, mit dem die Spanier die sportliche Abstimmung des neuen Gain erreichen. Alles hier im Test Gesagte, bezieht sich auf diese Modelle.
Interessant ist, dass Orbea auch drei Modelle mit Gravel-Konfiguration anbietet, obwohl sie das Gain ganz klar auf den Einsatz auf der Straße abgestimmt haben. Die Varianten mit dem X in der Modellbezeichnung rollen allesamt auf Gravel-Reifen zum Kunden und setzen auf 1x-Schaltungen von SRAM. Beim Gain Carbon kommen Pirelli Cinturato Gravel-Reifen mit einer Breite von 35 mm zum Einsatz. Der Aluminium-Rahmen des Gain Hydro bietet etwas mehr Reifenfreiheit und rollt auf 38 mm breiten Schwalbe G-One Bite.
Hier eine Übersicht aller aktuell erhältlichen Orbea Gain Modelle:
Modell | Rahmen/Gabel | Schaltgruppe | Laufräder | Reifen | Motor | Batterie | Preis |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Gain M10i | Orbea Gain Carbon/Gain OMR Carbon | Shimano Dura Ace Di2 2x12 | Carbon-Laufräder, 42 mm Felgenhöhe, tubeless ready, 21c | Pirelli Race TLR 30c | Mahle X20 tuned | Mahle 350 Wh | 9.999,- Euro |
Gain M21e 1X | Orbea Gain Carbon/Gain OMR Carbon | SRAM Force AXS XPLR 1x12 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Pirelli Cinturato Gravel TLR 35c | Mahle X20 tuned | Mahle 350 Wh | 7.599,- Euro |
Gain M20i | Orbea Gain Carbon/Gain OMR Carbon | Shimano Ultegra Di2 2x12 | Carbon-Laufräder, 42 mm Felgenhöhe, tubeless ready, 21c | Pirelli Race TLR 30c | Mahle X20 tuned | Mahle 350 Wh | 7.499,- Euro |
Gain M31e 1X | Orbea Gain Carbon/Gain OMR Carbon | SRAM Rival AXS XPLR 1x12 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Pirelli Cinturato Gravel TLR 35c | Mahle X20 tuned | Mahle 350 Wh | 6.599,- Euro |
Gain M30i | Orbea Gain Carbon/Gain OMR Carbon | Shimano 105 Di2 2x12 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Pirelli Race TLR 30c | Mahle X20 tuned | Mahle 350 Wh | 6.299,- Euro |
Gain M30 | Orbea Gain Carbon/Gain OMR Carbon | Shimano 105 mechanisch 2x11 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Pirelli Race TLR 30c | Mahle X20 tuned | Mahle 350 Wh | 5.499,- Euro |
Gain D30i | Orbea Gain Hydro 6061 Hydroform Aluminium 2021/Gain Hydro Carbon | Shimano 105 Di2 2x12 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Hutchinson Fusion TLR 30c | Mahle X35+ tuned | Mahle 250 Wh | 4.499,- Euro |
Gain D30 1X | Orbea Gain Hydro 6061 Hydroform Aluminium 2021/Gain Hydro Carbon | Shimano GRX 1x11 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Schwalbe G-One TLR 40c | Mahle X35+ tuned | Mahle 250 Wh | 3.999,- Euro |
Gain D30 | Orbea Gain Hydro 6061 Hydroform Aluminium 2021/Gain Hydro Carbon | Shimano 105 mechanisch 2x11 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Hutchinson Fusion TLR 30c | Mahle X35+ tuned | Mahle 250 Wh | 3.799,- Euro |
Gain D40 | Orbea Gain Hydro 6061 Hydroform Aluminium 2021/Gain Hydro Carbon | Shimano Tiagra 2x10 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Hutchinson Fusion TLR 30c | Mahle X35+ tuned | Mahle 250 Wh | 3.399,- Euro |
Gain D50 | Orbea Gain Hydro 6061 Hydroform Aluminium 2021/Gain Hydro Carbon | Shimano Claris 2x8 | Aluminium-Laufräder, tubeless ready, 21c | Hutchinson Fusion TLR 30c | Mahle X35+ tuned | Mahle 250 Wh | 2.999,- Euro |
Ausstattung Testräder
Zum Test hat uns Orbea jeweils auf die Top-Modelle Gain M10i und Gain M21e 1X gesetzt. Das M10i ist das Spitzenmodell mit Straßen-Konfiguration und kommt mit einer Dura Ace Di2 2×12-Gruppe, sowie einem Carbon-Laufradsatz mit 42 mm hohen OC-Felgen und 30 mm breiten Pirelli P Zero Race Reifen in Tubeless-Version. Der Lenker mit 15 mm Rise ist aus Carbon und rundet die hochwertige Ausstattung ab.
Auch im Gravel-Setup sind wir mit dem Top-Modell mit einer kompletten SRAM Force-Gruppe gefahren. Hier kommt ein Aluminium Laufradsatz und ein Alu-Gravel-Lenker zum Einsatz. Die Übersetzung mit 40er-Kettenblatt an der Kurbel und einer XPLR-Kassette mit 10–44 Zähnen bietet eine ausreichende Bandbreite.
Geometrie: Endurance Geometrie mit stabilem Fahrverhalten
Hinsichtlich der Geometrie gilt es zu beachten, dass sich die Werte des Gain Carbon und das Gain Hydro mit Aluminiumrahmen ein wenig unterscheiden Die Aluminium-Variante Gain Hydro hat in Größe M einen um 6 mm erhöhten Stack und 2 mm längeren Reach. Zudem sind die Kettenstreben 5 mm länger und der Radstand erhöht sich um 10 mm. Damit dürfte das Aluminium-Modell etwas stabiler und von der Sitzposition her auch etwas komfortabler ausgelegt sein, die Carbon-Variante ist also etwas sportlicher konstruiert.
Wir sind beim Test ausschließlich mit dem Gain Carbon gefahren. Die Sitzposition ist nicht unsportlich, aber im Vergleich zu Competition-Rennrädern natürlich deutlich entspannter. Der Reach des Orbea Gain Carbon ist dabei jedoch sportlich lang und bewegt sich in den gleichen Regionen wie beim Race-Bike Orbea Orca Aero. Dafür ist jedoch der Stack fast 3 cm höher. Somit sitzt man deutlich entspannter, aber nicht gänzlich unsportlich auf dem Gain Carbon. Zudem ist am Gain Carbon standardmäßig ein Riser-Lenker verbaut, der den Stack um 15 mm erhöht.
Nachfolgend die detaillierten Geometrien beider Versionen zum Ausklappen und zum Vergleichen in unserem Geometrics-Tool.
Gain Carbon Geometrie:
Rahmengröße | XS | S | M | L | XL | XXL |
---|---|---|---|---|---|---|
Laufradgröße | 28″ / 700C | 28″ / 700C | 28″ / 700C | 28″ / 700C | 28″ / 700C | 28″ / 700C |
Reach | 370 mm | 378 mm | 386 mm | 394 mm | 402 mm | 410 mm |
Stack | 525 mm | 547 mm | 569 mm | 591 mm | 613 mm | 635 mm |
STR | 1,42 | 1,45 | 1,47 | 1,50 | 1,52 | 1,55 |
Lenkwinkel | 71° | 71,2° | 71,5° | 72° | 72,2° | 72,5° |
Sitzwinkel, real | 74,5° | 74° | 73,5° | 73,5° | 73,3° | 73,2° |
Oberrohr (horiz.) | 516 mm | 535 mm | 555 mm | 569 mm | 587 mm | 602 mm |
Steuerrohr | 113 mm | 136 mm | 158 mm | 181 mm | 203 mm | 225 mm |
Sitzrohr | 430 mm | 460 mm | 490 mm | 515 mm | 540 mm | 570 mm |
Kettenstreben | 415 mm | 415 mm | 415 mm | 415 mm | 415 mm | 415 mm |
Radstand | 984 mm | 998 mm | 1.011 mm | 1.022 mm | 1.035 mm | 1.047 mm |
Tretlagerabsenkung | 78 mm | 78 mm | 78 mm | 76 mm | 76 mm | 76 mm |
Tretlagerhöhe | 263 mm | 263 mm | 263 mm | 265 mm | 265 mm | 265 mm |
Einbauhöhe Gabel | 380 mm | 380 mm | 380 mm | 380 mm | 380 mm | 380 mm |
Gabel-Offset | 50 mm | 50 mm | 50 mm | 50 mm | 50 mm |
Gain Hydro Geometrie:
Rahmengröße | XS | S | M | L | XL |
---|---|---|---|---|---|
Laufradgröße | 28″ / 700C | 28″ / 700C | 28″ / 700C | 28″ / 700C | 28″ / 700C |
Reach | 366 mm | 377 mm | 388 mm | 399 mm | 410 mm |
Stack | 525 mm | 550 mm | 575 mm | 600 mm | 625 mm |
STR | 1,43 | 1,46 | 1,48 | 1,50 | 1,52 |
Lenkwinkel | 71° | 71,5° | 72° | 72° | 72,5° |
Sitzwinkel, real | 75° | 74,5° | 74,5° | 74° | 74° |
Oberrohr (horiz.) | 507 mm | 530 mm | 547 mm | 571 mm | 589 mm |
Steuerrohr | 97 mm | 122 mm | 146 mm | 172 mm | 196 mm |
Sitzrohr | 460 mm | 485 mm | 515 mm | 545 mm | 575 mm |
Kettenstreben | 420 mm | 420 mm | 420 mm | 420 mm | 420 mm |
Radstand | 986 mm | 1.001 mm | 1.021,5 mm | 1.040,5 mm | 1.049 mm |
Tretlagerabsenkung | 74 mm | 74 mm | 74 mm | 74 mm | 74 mm |
Tretlagerhöhe | 267 mm | 267 mm | 267 mm | 267 mm | 267 mm |
Einbauhöhe Gabel | 400 mm | 400 mm | 400 mm | 400 mm | 400 mm |
Gabel-Offset | 50 mm | 50 mm | 50 mm | 50 mm | 50 mm |
Orbea Gain auf dem Kurs
Bei der ersten Begegnung mit dem Orbea Gain M10i wirkt das Bike wie ein ganz normales Rennrad. Optik und Sitzposition verraten zunächst nicht, dass man es hier mit einem E-Rennrad zu tun hat. Die Position auf dem Rad ist sportlich lang, die Überhöhung fällt jedoch eher wie bei einem komfortablen Endurance-Rennrad aus. Der Fizik Antares R5 Sattel ist sportlich straff gepolstert und deutet ebenfalls darauf hin, dass es auf dem Gain trotz Motorunterstützung sportlich zugehen soll.
Mit einem kurzen Druck auf den Einschaltknopf auf dem Oberrohr direkt hinter dem Vorbau, erwacht die Elektronik von Mahle zum Leben. Das Display besteht lediglich aus einigen LED-Elementen, die mit ihrer Länge den Ladezustand der Batterie symbolisieren und mit ihrer Farbe die Stufe der Unterstützung anzeigen. Weiß bedeutet keine Unterstützung, grün steht für Stufe 1, rot für Level 2 und violett schließlich für Stufe 3, mit der sich die volle Kraft des Nabenmotors schon relativ leicht aktivieren lässt.
Los geht unsere Fahrt auf Stufe 1. Hier fällt schon nach den ersten Metern auf, dass sich das Pedalieren sehr natürlich anfühlt. Das Tretgefühl ist komplett anders, als zum Beispiel bei einem typischen E-MTB, bei dem der Motor gerne schon bei leichtem Druck auf dem Pedal mit voller Kraft anschiebt. Der Nabenmotor des Gain geht viel subtiler zu Werke. Dass er wirklich anschiebt, ist eher zu hören als zu fühlen, denn der Motor erzeugt ein leichtes Betriebsgeräusch, das jedoch so leise ist, dass es nie störend wirkt.
Gut abgestimmte Unterstützungs-Level
Stufe 1
Die Unterstützung in Stufe 1 erfolgt eher unterschwellig und ausgezeichnet dosiert, man hat nie das Gefühl, dass etwas Merkwürdiges passiert. Auch wenn man aus dem Sattel geht und hart antritt, bleibt die Unterstützung des Motors gefühlt sehr dezent, obwohl sie von den reinen Zahlen her betrachtet natürlich anwächst. Denn die Unterstützung erfolgt komplett linear. Je mehr Kraft aufs Pedal gebracht wird, desto mehr Leistung steuert der Motor bei. In Stufe eins ist das Kräfte-Verhältnis auf etwas mehr als 3:1 programmiert. Tritt man 150 Watt, packt der Motor rund 45 Watt dazu, bringt man 300 Watt aufs Pedal, kommen roundabout 90 Watt aus elektrischer Energie dazu. Das sind jedoch nur stark vereinfachte Richtwerte. In der Praxis funktioniert der Algorithmus zur Leistungssteuerung natürlich viel komplexer und ist so programmiert, keine unnatürlichen Leistungsspitzen zu produzieren.
Das Gain fährt nicht allein den Berg hoch, ohne eigene Leistung sinkt das Tempo auf Schneckenniveau.
Die Steuerung funktioniert reibungslos, man spürt schon nach wenigen Kilometern, dass Orbea viel Arbeit in die Feinabstimmung des Systems gesteckt hat. Das Tretgefühl bleibt auf dem kompletten Pedalweg sehr rund und natürlich. Mitunter vergisst man gar auf einem E-Rennrad zu sitzen, und hat das Gefühl einfach wahnsinnig gut in Form zu sein. Sobald es in die Berge geht, wird die Unterstützung deutlicher spürbar, aber nur deshalb, weil man eigentlich erwartet, stärker treten zu müssen. Dennoch bleibt der Aufwand, den man selbst erbringen muss, mehr als spürbar. Werden die Berge steiler, wächst auch die Anstrengung und der Puls steigt. Das Gain fährt nicht allein den Berg hoch, ohne eigene Leistung sinkt das Tempo auf Schneckenniveau.
Stufe 2
Wird die Anstrengung zu hoch, wechselt man am Orbea Gain schnell die Unterstützung. Um das zu ermöglichen, verbaut Orbea am Gain die optionalen Lenkerschalter von Mahle. So kann man mit einem Druck auf den rechten Knopf die Unterstützung eine Stufe nach unten und mit Betätigen des linken Schalters die Power nach oben regeln. Das ist so praktisch, dass man es mitunter zum Überbrücken kurzer Steilpassagen nutzt, anstatt den Gang zu wechseln. An einer steilen Rampe kurz die Unterstützung auf Stufe 2 oder gar 3 erhöhen und danach wieder auf 1 reduzieren, funktioniert mit den Blipschaltern am Lenker äußerst komfortabel.
Die intuitive Unterstützungswahl ist übrigens kein Standard-Merkmal bei Mahle. Bei puristischer Mahle-Konfiguration wählt man mit einem Druck auf den Schaltknopf am Display die Unterstützungsstufe. Dabei ist das Schaltschema festgelegt: Es lautet „0-1-2-3-2-1-0“. Bedeutet: kein schnelles Hin- und Zurückschalten über das Display, sondern häufiges Drücken und Nachdenken.
Aber wie fühlt sich denn nun das Fahren auf Stufe 2 an? Die Antwort ist kurz: genauso natürlich wie auf Stufe 1, nur deutlich kraftvoller. Denn jetzt wird das Kräfteverhältnis auf rund 2:1 erhöht. Tritt man also 100 Watt, addiert der Motor 50 Watt. Kommen 200 Watt auf die Pedale, steuert der kompakte E-Motor in der Hinterradnabe rund 100 Watt obendrauf. Damit kann man sehr zügig den Berg nach oben fliegen. Begleiter mit einem Rennrad ohne Motor sollten jetzt schon auf Profi-Niveau unterwegs sein, um dauerhaft mithalten zu können. Aber auch hier gilt uneingeschränkt: Die Unterstützung läuft subtil, das Tretgefühl ist immer noch sehr natürlich, interessanterweise auch im Wiegetritt.
Und noch etwas fällt positiv auf: Die Unterstützung des Motors erfolgt komplett unabhängig von der Trittfrequenz. Das schafft nicht jeder E-Antrieb, oftmals ist eine gewisse Mindest-Kadenz gefragt, um in den vollen Genuss der elektrischen Unterstützung zu kommen. Nicht so beim Orbea Gain, der Motor schiebt auch beim langsamen Pedalieren gleichmäßig und ohne spürbare Schwankungen tapfer an.
Stufe 3
Last but not least bleibt noch Unterstützungsstufe 3. Sie liefert am ehesten die spontane und unbändige Power, die man von E-MTBs kennen mag. Hier erfolgt die Unterstützung im Verhältnis 1:1 und wesentlich spontaner und aggressiver als in den beiden Leveln zuvor. Damit schwindet auch das natürliche Trittgefühl. Das Gefühl, dass man auf wundersame Weise weit über seinem normalen Leistungsniveau auf einem „normalen“ Rennrad fährt verabschiedet sich. Jetzt wird bei jeder Pedalumdrehung sofort und unmittelbar klar, dass man es mit einem E-Bike zu tun hat.
Die beigesteuerte Power ist enorm und bestimmt das Geschehen zu jeder Zeit. Jetzt kann man sich zurücklehnen, leicht die Beine bewegen und sich vom Motor den Berg hinauf tragen lassen. Ob das noch etwas mit Rennradfahren zu tun hat, muss jeder selbst entscheiden, dennoch gehört auch diese Unterstützungsstufe natürlich in jedes E-Rennrad. Philosophie-Fragen sollen an dieser Stelle ohnehin keine Rolle spielen. Level 3 kommt dann zum Einsatz, wenn eigentlich nichts mehr geht, am Ende des Tages der Berg immer steiler wird oder man sich einfach an der beeindruckenden Kraft des Motors erfreuen möchte.
Der 25-km/h-Elefant im Raum
Bleibt zu guter Letzt nur noch der große weiße Elefant im Raum: die 25 km/h-Schwelle. Am Berg funktioniert das Orbea Gain einwandfrei und bereitet viel Freude, egal wie fit man auch sein mag. Für die meisten E-Rennrad Skeptiker ist jedoch die maximale Geschwindigkeit, bis zu der ein E-Motor in Europa anschieben darf, das eigentliche Problem. Was nützt all die Power am Berg, wenn man in der Ebene mit jämmerlichen 25 km/h rumzuckeln muss. Ein Tempo, das den gemeinen Rennradfahrer sicher nicht zu Begeisterungsstürmen reißt.
Manchmal beim Blick auf den Radcomputer ist man überrascht, dass man schon mit 30 km/h oder mehr unterwegs ist.
Hier hängt alles davon ab, wie die Abschaltung gestaltet ist. Und beim Orbea Gain ist dieser kritische Übergang einwandfrei gelungen. Man muss dazu wissen, dass der Schnitt nicht hart erfolgen muss, sondern das Gesetz eine Toleranz von 10 % einräumt. Diese wird beim Gain Carbon sehr geschickt genutzt und damit das Problem recht gut entschärft. Die Abschaltung der Motorunterstützung erfolgt so subtil und fein geregelt, dass man manchmal beim Blick auf den Radcomputer überrascht ist, dass man schon mit 30 km/h oder mehr unterwegs ist und gar nicht gespürt hat, dass man die Schwelle überschritten hat. Richtig spürbar ist der Übergang nur dann, wenn man auf einer leicht ansteigenden Route unterwegs ist. Dann spürt man schon, dass der Motor ab einem gewissen Tempo nicht mehr mitarbeitet und dass man mehr leisten muss, um die Geschwindigkeit zu erhöhen.
Auch in umgekehrter Reihenfolge setzt die Power sehr feinfühlig und kaum spürbar ein. Fährt man mit hohem Tempo in eine Steigung und wird zunehmend langsamer, setzt der Motor sehr weich über eine Spanne von 2-3 km/h ein und fährt die Unterstützung sehr fein nach oben. Wobei sich diese Schilderungen vorwiegend auf Level 1 und bedingt auch 2 beziehen. In Unterstützungsstufe 3 sind die Übergänge natürlich deutlicher zu spüren.
Im Bereich über 25-27 km/h fährt sich das Orbea Gain wie ein normales Rennrad. Freilich wie ein sehr schweres Rennrad, aber nicht wie mit einer eingebauten Bremse. Ein spanischer Mitarbeiter von Mahle hat mir im Gespräch während einer Ausfahrt erklärt, dass ein Mehraufwand beim Treten durch den Motor kaum messbar sei und im Bereich von 1-3 Watt liegen dürfte. Das erscheint absolut glaubhaft und deckt sich mit dem Gefühl auf dem Rad bei 30 km/h und mehr. In einer Gruppe mit hoher Geschwindigkeit mitzufahren ist jedenfalls kein Problem, zumindest so lange es nicht leicht bergauf geht und mit 35 km/h oder mehr gefahren wird.
Fahrverhalten
Da es bisher hauptsächlich um den Motor und dessen Unterstützung ging, abschließend in diesem Kapitel noch ein paar Worte zum Fahrverhalten des Orbea Gain Carbon. Es ist vertrauenerweckend und stabil. Hier hat man es nicht mit einem nervösen Rennpferd zu tun, sondern mit einem soliden und zuverlässigen Begleiter auf allen Wegen. Auch auf schnellen Abfahrten zieht das spanische E-Rennrad zuverlässig und ohne Überraschungen durch schnelle Kurven. Die recht hohen Laufräder reagieren durchaus auf Seitenwind, jedoch keineswegs in einem beängstigenden Ausmaß. Durch die Tubeless-Reifen mit 30 mm Breite ist zudem der Komfort recht hoch, sodass langen Touren auf dem Gain nichts im Wege steht.
Die verbauten Dura Ace Bremsen sind über jeden Zweifel erhaben und funktionieren auch mit den verbauten Bremsscheiben von Galfer herausragend. Die Original-Scheiben der Dura Ace sind nicht mit der Hinterradnabe kompatibel, deshalb kommen die Alternativen des spanischen Herstellers zum Einsatz. Die benötigten Handkräfte sind gering, die Dosierung der Bremsleistung hervorragend. Ebenso fällt auf, dass die Bremsklötze auch nach langen Passabfahrten nicht an den Scheiben schleifen. Kurzum, es gibt keinerlei Kritik an der Bremsleistung des Gain M10i
Das ist uns aufgefallen
- Schaltgruppe Ob eine Dura Ace Gruppe an einem E-Rennrad Sinn macht, muss letztlich jeder für sich entscheiden. Aber ein paar hundert Gramm Gewichstunterschied spielen in dieser Kategorie keine große Rolle und Ultegra und 105 Di2 bringen gemeinhin keine gravierenden Performance-Abstriche mit.
- Allroad- oder Road-Antrieb? Der Antrieb des Orbea Gain ist sehr gut abgestimmt für den Straßeneinsatz. Auf eng verwinkelten Offroad-Kursen mit vielen kleinen Anstiegen und Abfahrten passt die Motorcharakteristik hingegen nicht ideal. Gravel-Fans sollten deshalb besser auf das E-Gravel-Bike von Orbea warten.
- Individualisierung Wie bei Orbea üblich, kann auch das Gain in vielen individuellen Farben bestellt werden. Zusätzlich lassen sich Komponenten auswählen und die Maße von Lenker und Vorbau anpassen. Ein solch individuell zusammengestelltes Bike sollte in der Regel vier Wochen später beim Händler ankommen.
- Für wen? Alle, die Rennrad fahren möchten, ohne sich zu wirklich anzustrengen. Sportler, die Grundlagentraining im Gebirge machen möchten (oder müssen, weil sie zum Beispiel dort wohnen). Rennradfahrer, die ihren Freunden am Berg immer hinterherhecheln und mit stärkeren Fahrern auf Tour gehen möchten.
- Für wen besser nicht? Alle, die beim Rennradfahren noch nie die Sehnsucht nach einem Motor hatten.
Aktuelle E-Rennräder und E-Gravel-Bikes im Marktumfeld
- Trek Domane+ SLR Hierbei handelt es sich um ein ebenfalls voll auf den Straßen-Einsatz optimiertes E-Rennrad mit dem TQ HPR50-Motor.
- BMC Roadmachine AMP Auch das BMC ist ein reinrassiges Rennrad und wird mit Muskelkraft und dem Mahle X20-Nabenmotor angetrieben. Wir konnten es bereits testen.
- Ducati Futa AXS Der Motorrad-Hersteller hat ein leichtes E-Rennrad mit 42 Nm-Nabenmotor im Angebot.
- Pivot E-Vault Ein E-Gravel-Bike mit dem bekannten Fazua 2.0-Mittelmotor.
- Specialized Creo SL Ein absoluter Vorreiter auf dem Gebiet der E-Gravel-Bikes mit leichtem Mittelmotor. Klickt auf die Modellbezeichnung, um zu unserem Test zu gelangen.
Fazit – Orbea Gain
Wer ein E-Rennrad auf seiner Einkaufsliste stehen hat und sich trotz elektrischer Unterstützung sportlich betätigen möchte, sollte das neue Orbea Gain mit in den Favoritenkreis aufnehmen. Die Basken betonen, dass sie ihr E-Rennrad sportlich positionieren möchten und das ist ihnen auch gut gelungen. In Level 1 und 2 fühlt sich das Pedalieren sehr natürlich an und der Nabenmotor geht wirklich feinfühlig und sensibel ans Werk. So lässt sich die eigene Fitness verbessern, während man an Anstiegen endlich mit einer stärkeren Gruppe mithalten kann. Zudem ist das Gain ein ideales Rennrad für Menschen, die sich nicht fit genug zum Rennradfahren fühlen oder aufgrund gesundheitlicher Beschwerden etwas kürzertreten müssen. Die Unterstützung des Motors ist sehr subtil, aber auf Knopfdruck auch sehr kraftvoll vorhanden, wenn sie benötigt wird. Erfreulich sind die günstigen Einstiegspreise und der – gemessen an Top-Rennrädern ohne Motor– noch moderate Preis des Spitzenmodells von 9.999 Euro. Das Gain ist durchaus auch für unspektakuläre Schottertouren geeignet, richtige Gravel-Fans mit Hang zum E-Motor sollten jedoch auf das Orbea-E-Gravel-Bike warten.
Pro / Contra
Stärken
- Sehr feinfühlig abgestimmter Motor
- Motor nicht zu dominant
- Günstige Einstiegspreise
- Große Modellvielfalt
- Individuelle Ausstattungswünsche und Farben möglich
- Vertrauenerweckendes Fahrverhalten
- Große Reichweite
- Integrierte Beleuchtung
Schwächen
- Aufgrund des Nabenmotors kein einfacher Laufradtausch möglich
- Keine perfekte Abstimmung für Gravel-Einsatz
Was sagst du zum neuen Orbea Gain?
Testablauf
Das getestete Fahrrad-Modell wurde während einer Präsentation gefahren. Die Dauer und Länge sowie die Umstände der Testfahrten sind im Testbericht vermerkt. Der Anlass kann eine Fahrradmesse, eine Vorstellung eines einzelnen Fahrrades durch einen Hersteller während eines Presse-Events oder ein Händler-Event sein. Das Testrad stand zunächst nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung – hier 2 Tage. Das Rad wurde in der Größe passend zum Tester gewählt, alle nötigen Anpassungen wie Luftdruck, Bremseinstellungen werden durch die Tester vorgenommen.
Körpergröße | 176 cm |
Schrittlänge | 85 cm |
Oberkörperlänge | 65 cm |
Armlänge | 56 cm |
Gewicht | 66 kg |
- Ich fahre hauptsächlich
- Rennradtouren, Triathlon-Rennen, Trainings-Einheiten auf dem Rollentrainer
- Vorlieben bei der Geometrie
- Sportlich, nicht zu lang
Noch mehr zum Thema E-Rennrad auf Rennrad-News:
- Neues Coboc Torino GRV: 15 kg-E-Gravel-Bike mit viel Reifenfreiheit
- Neues Giant Defy Advanced E+ im Test: Natürlich E-Rennrad fahren?
- BH iGravelX Artists-Edition: Auffälliges E-Gravel-Bike
- Cicli Bonanno Futomaki Disc ICR: Schlanker Stahl Competition-Renner
- Prophete Graveler 1.0 Speed: Aldi E-Gravel-Bike für 1.599€
- Eurobike 2024: Der E-Gravel-Boom auf der Eurobike
- Eurobike 2024: Neues Conway Nyvon E-Gravel-Bike
- Neues Bianchi E-Oltre: E-Rennrad mit neuem Mahle X30 Motor
- Neuer Mahle X30 E-Rennrad-Motor im Test: Mehr Kraft aus der Mitte
- Ariel Dash E-Rennrad: Titan-Carbon-E-Bike mit Hypercar-DNS