Viele Favoriten hatten sich bei den Rennen im Vorfeld der Flandernrundfahrt herauskristallisiert. Das zweite Radsportmonument des Frühjahrs mit seinen rennentscheidenden „Hellingen“ am Ende von 267 Kilometer Renndistanz ließ einen spannenden Rennverlauf erwarten. Tatsächlich lieferten sich die großen Namen einen offenen Schlagabtausch, den der Niederländer Terpstra gewann.
Der neutralisierte Start der Flandernrundfahrt in Antwerpen erfolgte um 10.30 Uhr unter grauem Himmel, und erst während der zweiten Runde über die Schluss-Hellingen des Klassikers über 267 km Renndistanz riss die Wolkendecke auf.
25 Mannschaften mit 175 Fahrern rollen in der Diamantenstadt los. Die 1913 gegründete Ronde, wie das Rennen in Belgien heißt, geht damit in ihre 102. Austragung. Auf dem „Speiseplan“ stehen fünf Kopfsteinpflastersektoren und 18 sogennannte „Hellinge. Das sind extrem steile, meist nicht mehr als 1 km lange Anstiege, die oft noch mit Kopfsteinpflaster garniert sind. Ihre Namen, die in Flandern regelrecht berühmt sind, lauten Tenbosse, Muur-Kapelmuur, Koppenberg, Taaienberg oder die schwere Kombi Oude Kwaremont – Paterberg, die zum letzten Mal innerhalb der letzten 20 Kilometer zu sehen ist.
Degenkolbs erstes Radsportmonument 2018
Spannend aus deutscher Sicht ist, dass sich im Fahrerfeld auch erstmals John Degenkolb befindet. Der deutsche Klassikerspezialist musste wegen einer Krankheit länger pausieren, nimmt jetzt sein erstes Radsportmonument 2018 in Angriff und zählt zum engeren Favoritenkreis. In dem gruppieren sich natürlich auch der Weltmeister Peter Sagan vom deutschen Team Bora-Hansgrohe, der die Ronde schon in seinen Palmarès hat, sowie einige Fahrer aus dem Klassiker-Team Quick-Step, aus dem mit Stybar, Gilbert oder Terpstra gleich drei Siegesaspiranten dabei sind. Sepp Vanmarcke von EF-First Drapac zeigte bei den belgischen Frühjahrsrennen bereits eine starke Leistung. Auch Tiesj Benoot und Cyclocross Weltmeister Wout Van Aert, die bei den Strade Bianche im März beeindruckten, rollen mit. Weitere Podiumskandidaten im Feld sind Arnaud Demare (FdJ), Jasper Stuyven (Trek Segafredo), aber auch Zeitfahrspezialist Tony Martin von Katusha-Alpecin ist auf einem solchen Kurs nicht chancenlos.
Auf dem langen Weg Richtung Finale dezimieren einige Stürze das Peloton. Unter anderem fällt EF Education First-Drapac-Fahrer Mitchell Docker bei einem Stau im Feld in einen Stacheldrahtzaun. Tony Martin scheidet mit einem Kettenriss aus.
Die legendäre Muur van Geraardsbergen bringt keine Vorentscheidung. Die Fahrer passieren weitgehend geschlossen das bis zu 20% steile Kopfsteinpflastersträßchen am Fuße einer Kapelle. Als es noch 57 km bis zum Ziel sind, scheint das Rennen richtig Fahrt aufzunehmen. Das Feld verfolgt eine dreiköpfige Spitzengruppe, die 55 sek. Vorsprung hat. Hinten ist es Nils Politt (Katusha-Alpecin) aus Hürth, der die Fahrer in den ersten Anstieg zum Oude Kwaremont führt. Der 2.200 m lange Anstieg wird als erster Test genutzt. Degenkolb und Demare können sich leicht absetzen, auch der deutsche Bora-Hansgrohe-Fahrer Markus Burghardt ist weit vorne zu sehen. Auf dem Asphaltstück nach dem Pflaster bildet sich dann eine Windstaffel um den Cyclocross-Weltmeister Wout van Aert. Das Peloton reißt auseinander, Sagan wird in einer dritten Gruppe abgehängt, kann aber wieder Anschluss finden.
Es folgt auf dem Fuße der nur 360 m lange Paterberg mit maximal 20,3% Steigung. Hier übernimmt Team Sky die Tempoarbeit ganz vorne mit 2 Fahrern. Bei Kilometer 49 vor dem Ziel ist der Vorsprung der Spitzengruppe dann bereits auf 17 sek. gesunken. In dieser Situation geht Dylan Van Barlee im Schlepptau von Sebastian Langeveld (EF-Drapac) nach vorne, und beide können sich absetzen.
Vor dem schweren Koppenberg (600 m/max. 22,6% Steigung) bringt dann die Mannschaft BMC Greg van Avermaet aus dem Favoritenkreis in Stellung, er kommt aber nicht weg. Terpstra zeigt sich am Ende des Anstiegs erstmals weit vorne. An der nächste Helling, dem Steenbeekdries, übernimmt wiederum FdJ für Demare das Regime, auch Sagan kommt aus seiner Deckung hervor. Aber es kann erneut niemand entscheidend wegspringen. Langeveld, Van Barlee und Mads Petersen bilden derweil die neue dreiköpfige Spitzengruppe. Die nächste Verschärfung erfolgt am Taaienberg. An dieser mit max. 15,7% eher „harmlosen“ Helling sind die Protagonisten Greg Van Avermaet, Wout Van Aert und Tiesj Benoot. Stybar setzt später noch etwas obendrauf. Aber alle werden von Daniel Oss wieder gestellt, der in der Verfolgergruppe für Sagan das Tempo macht.
Die entscheidende Attacke
Dei entscheidende Serie von Attacken eröffnet Sonny Kolbrelli am Kruisberg, Sky setzt hier bei allen Angriffen nach. Dann platziert Nibali direkt nach dem Ende der Steigung eine Konter-Attacke mit Terpstra am Hinterrad, der sich dann wenig später, circa 25 km vor dem Ziel wiederum absetzt und schnell einen Vorsprung von 14 sek. herausfährt. Politt mischt beim Nachsetzen erneut mit. Terpstra – unterwegs auf einem Specialized S-Works Tarmac mit Dual-Pivot-Bremsen – fährt 22 km vor dem Ziel schon auf 14 sek. an die dreiköpfige Spitze heran.
In der verfolgenden Favoritengruppe zeigt sich Van Aert für eine erste Flandernrundfahrt bei den World Tour besonders wachsam und fährt bei der zweiten Anfahrt auf den Kwaremont an vorderer Stelle mit rein. Terpstra zieht souverän an den bisher führenden vorbei. Hinten drückt Tiesj Benmoot aufs Tempo und zieht das Feld am Kwaremont in die Länge. Sepp Vanmarcke übernimmt und dünnt die Gruppe auf 10 Fahrer aus, die in langer Reihe über den Dreckstreifen neben dem Pflaster brettern.
Sagan versucht alleine den Anschluss
Bei Kilometer 16 versucht Sagan nachzusetzen, mit Philippe Gilbert und Wout van Aert am Hinterrad. In der Folge macht Sagan selbst das Tempo. Weitere Fahrer kommen hinzu. Am Paterberg, 13 km vor dem Ziel, schafft es Sagan mit einer scharfen Attacke, sich aus der Verfolgergruppe abzusetzen, indem er am steilsten Stück angreift. 8,5 km vor dem Finish ist er bereits wieder gestellt. Zu dem Zeitpunkt sieht schon alles nach einem Sieg für Niki Terpstra aus, der mit einer langen Solo-Flucht auch bereits einmal Paris-Roubaix gewann. Mads Petersen kann sich derweil glänzend noch zwischen den Verfolgern und Terpstra halten, weil die Nachrückenden wieder die Beine hängen lassen.
Nach 6:21:21 Stunden fährt Terpstra als erster über die Ziellinie in Oudenaarde. Auch der Däne Petersen schafft es, seinen zweiten Platz zu verteidigen. Den weit auseinander gezogenen Sprint der ehemaligen Favoritengruppe gewinnt Philippe Gilbert. „Ich kann nicht beschreiben, wie glücklich ich bin“, sagt Terpstra beim anschließenden TV-Interview.
Die Top10 der Flandernrundfahrt 2018
- Niki Terpstra – Quick-Step Floors
- Mads Petersen – Trek-Segafredo
- Philippe Gilbert – Quick-Step-Floors
- Michael Valgren Andersen – Astana Pro Team
- Greg Van Avermaet – BMC
- Peter Sagan – Bora-Hansgrohe
- Jasper Stuyven – Trek-Segafredo
- Tiesj Benoot – Lotto-Soudal
- Wout Van Aert – Willems Verandas-Crelan
- Zdenek Stybar – Quick-Step-Floors
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