So weit war ich in meinen Gedanken und konnte eine befriedigende Übereinstimmung des Gesagten mit mit meiner alltäglichen Lebensgestaltung feststellen
Dann dachte ich weiter und und merkte allerdings, dass es sich bei Fahrrad-Lackierungen doch ein bisschen differenzierter verhält.
Ich glaube, Schuld daran waren
Jägermeister und (später)
Dolomiti
Ich bin in den 70ern groß geworden.
Das war eine seltsame Zeit, man konnte noch Reste aus den wilden 60ern spüren, war aber seltsam indifferent.
Vorherrschende Farbe war orange.
Irgendwann waren sogar auch Telefone orange.
(amtlich hießen die FeTAp, Fernsprechtischapparat
elektrisch montiert wurden die an der ADo. Das ist keine Gardine mit Goldkante, sondern eine Anschlussdose. Durfte nur die Post machen!
Protoyp in orange war für uns Jungs immer ein Porsche in Jägermeister-Lackierung
Dazu kam ja die omnipräsente Jägermeister-Werbung. In Zeitschriften, auf Plakatwänden, überall: "Ich trinke Jägermeister, weil ..."
Und die böse Verballhornung in der Satirezeitschrift "Pardon", die zu mehreren Verfahren führte.
(Ich hielt in der Zeit die "Pardon" für Schweinkram - vermutlich, weil ich Satire noch nicht verstand und weil es so herrlich anrüchig französisch klang
Also dieses Orange brannte sich gleichsam auf der Netzhaut ein und hinterließ ein ewiges Geisterbild
Anfang der Siebziger brachte Ralaigh seinen "Chopper" in orange-rot auf den Markt.
Der erste Chopper war bei Markteinführung noch als "THE HoT oNE" betitelt.
Und was war das für uns Jungs ein heißes Gerät. Cool wie ein Dragster, dem er durch das kleine Vorderrad nachempfunden war. Und von den Dragstern wussten wir natürlich alles aus unseren Quartett-Spielen: die Geschwindigkeitsrekorde in den Salzwüsten von Utah, PS, Zylinder, Gewicht, Länge, Beschleunigung und und und.
Die Chopper-Welle schwappte dann ein paar Jahre später auch zu uns nach Deutschland. Seltsamerweise hieß der Chopper bei uns "Bonanza-Rad".
Warum auch immer. Eigentlich ja ein irreführende Bezeichnung, weil ja das Bonanza-Verhalten genau umgekehrt zum kleinen Vorderrad war: Ein Pferd steigt vorne hoch.
Für alle, die zu jung sind: Bonanza war in den 70ern ein Western-Familien-Serie. Mit den Cartwrights auf der Ponderosa.
Vater Ben, der etwas blasse Adam, der dicke Hoss und Little Joe. Und Hop Sing, der chinesische Koch.
Den Bonanza-Effekt kultivierte Mercedes bei seiner E-Klasse bis zum W-210 Modell. Beim Anfahren schob sich der gesamte Vorderwagen nach oben. Wunderbar.
Einerlei.
Egal oder Chopper oder Bonanza: Die Teile waren der Hammer!
Mein erstes "richtiges" Rad war ein Bonanza von Hercules:
Nutzlose Federelement-Imitate vorne und hinten, gelochter Kettenkasten, auch auf der Nichtantriebsseite war ein Gegenstück zum Kettenkasten um das Tretlager herum und mit einem schwarzen Lochblech als "Antriebsraum" gekapselt. Verchromte Gartenstuhl-Blechrohre zur Sitzhöhenverstellung
Und was haben wir alles drangeschraubt: Spiegel rechts und links, Girlanden-Hüllen für die Züge, Pfeifenreiniger-Bürstchen in die Naben, damit die immer schön blinken ... mechanische Tachos mit einer sperrigen Welle ... Hauptsache Chromlametta
und einen Fuchsschwanz an der "Lehne".
Ein Kumpel hatte sogar eine Lederjacke mit Fransen an den Ärmeln. Die durfte ich mir mal ausleihen. Ein unvergleichliches Gefühl, wenn ich als Dreikäsehoch auf dem Bock saß, die Arme auf den hohen Lenkerenden ruhten und die Fransen herabbaumelten.
Man kann dieses Lebensgefühl nicht beschreiben, das musste man
erlebt haben.
Wir fühlten uns nicht nur wie John Wayne, Peter Fonda oder Dennis Hopper. Nein, wir
waren die schweren Jungs auf Harleys in "Easy Rider".
Die eine Harley hatte sogar ein ultra-coole Stars&Stripes Lackierung auf Tank und
Helm. Ganz großes Kino.
Bevor es für uns auf die Straße ging, gab's natürlich zu Hause ordentlich die Titelmusik "Born to be wild" auf die Ohren. Von
Steppenwolf. Das ist bis heute nachhaltig.
Ich habe das wirklich nicht häufig, gegenwärtig, mit fast 50: Aber bei "Born to be wild" und natürlich bei Golden Earrings "Radar Love" bekomme ich heute noch eine Gänsehaut! Es gibt nur wenige Songs, die den satten Road-Groove so endlos cool rüberbringen.
Noch ein unnützer Nebengedanke:
2008 brachte Jazzkantine die "Hell's Kitchen" heraus. Machte Jazzkantine Mitte der 90er auf "Heiß und fettig" eher deutschen Funky-Groovy-Hiphip-Jazz, so bietet diese Scheibe "traditionelle", schön verjazzte Rock-Klassiker. Born to be wild ist natürlich dabei und auch eine der wenigen hörenswerten Versionen (das Original eingeschlossen) von "I was made for loving you". Das Original war von KISS, richtig böse harte Jungs, schwarz-weiß (!) geschminkt mit 20 cm hohen silbernen Plateau-Stiefeln.
Der Song war damals reine Ironie, dass eben auch echte Hard-Rocker soften Disco-Brit-Kommerz-Pop-Müll machen konnten. Hat aber damals keiner als Ironie begriffen, und ebenso unbegreiflich wurde "I was made for loving you" ein Hit.
Edit: auf der Scheibe ist nicht
Born to be wild, sondern
Highway to hell
Ist ja fast das gleiche
Ich merke mir schon mal für den nächsten Aufbau-Fred: zu jedem angeschraubten Teil einen passenden Rock-Klassiker heraussuchen
Rückblickend ist es völlig seltsam, das für "den" amerikanischen Road Movie "Easy Rider" der Song einer deutschen Gruppe gewählt wurde.
Bis heute hat dadurch die Radmarke
Steppenwolf in meinem Ansehen ein ausgesprochen hohen Sympathiewert. Ganz im Gegenteil zu den neuen, etwas müde deutschtümelnd daherkommenden
Leitwölfen,
Falkenjagd oder gar
Tannenwald.
Rotwild geht gerade noch, aber vermutlich auch nur, weil es sie schon länger gibt ...
Natürlich war dieses Rocker-Gehabe unseren Eltern ein Greuel. Trotzdem haben sie uns gewähren lassen. Wirklich erstaunlich. Rückblickend zolle ich Ihnen dafür Respekt.
Denn "Rocker" waren dem deutschen Spießbürgertum ein Dorn im Auge. Die waren frech, laut, umgestüm, unhöflich usw. Eine Subkultur. Und Rocker fuhren rücksichtslose, "gefährliche Rennen".
Wir fuhren die Rennen mit unseren lächerlichen Bonanzas, unsere Vorbilder mit chromblitzenden Maschinen.
Die amerikanischen Chopper sind natürlich keine Rennen gefahren. Berühmt berüchtigt dafür waren in England die Coffee-Racer.
Das war uns Jungs aber egal. Chopper, Dragster, Coffee-Racer. Eins wie das andere, Hauptsache Motorrad, laut, schnell und Chrom. Die Coffee- oder Cafe-Racer waren getunte, geduckte britische Rennmaschinen mit Stummel-Lenker. Die Fahrer (Rocker) trafen sich in einer Kneipe oder einem Cafe zu einem schnellen Rennen im Straßenverkehr.
Daher stammt auch der Name des netten Stahlcrossers bei Planet-X: Kaffenback. Klingt nach Afrikaans, ist aber die Anlehnung des "Coffee an' back (to Race)". You've got it?
Was allerdings der neue Planet-X Titan-Disc-Crosser mit "Pickenflick" bezeichnet, weiß ich nicht sicher.
Ich vermute, "Pick" ist eine Anlehnung an den größten und "toughest" Cyclocross Event in GB: Three Peaks Cyclocross. Dann ist es wohl im Sinne von "Peaks an' flick", also Three Peaks anknipsen und losschnellen.
Mit 999 GBP für das Rahmenset auch noch erschwinglich, eine Alternative zum Rewel oben
Ich schweife ab. Wo war ich?
Ja richtig, Farben. Orange.
Jahre später, Ende der 80er, Anfang 90er zeigte uns dann v.a. Klein, was Lackierungen sein können und wie Farben aussehen können.
Das war wirklich weit jenseits von dem bewährten rot-gelb-blau.
Klar, Flip-Flop Lackierungen gab es auch schon von anderen, aber nicht in dieser Qualität. Eine unglaubliche Intensität und hochfeine Verarbeitung. Farben,
die es vorher einfach nicht gab! Neue Farben!
Es waren natürliche Motive, Landschaftimpression und anderes einmalig in Rahmenlackierungen umgesetzt:
Paintbrush mit atemberaubender Authentizität. Die Blitze waren wirklich echt. Die sahen so aus, als wollten sie jeden Augenblick loszucken.
In einem US Forum hat sich jemand die Mühe gemacht, zu den Lackierungen zu "Vorlagen" zusammenzutragen:
http://www.retrobike.co.uk/forum/viewtopic.php?f=1&t=74814
Die Rennradlackierung von Klein waren nicht ganz so spektakulär, aber ebenso von ganz hoher Qualität.
Jahrzehnte war so etwas einmalig und unerreicht.
Bei ETOE kann man mittlerweile solche Lackierungen machen lassen. Die haben tatsächlich auch eine eigene Titan-Galerie. Im Moment nicht meine Preisklasse. So was mache ich mal, wenn ich groß bin
http://www.etoe.de/galerie/titan/
Am bekanntesten war sicher Kleins Lackierung für das US Racing Team. Die wurde sehr schnell wegen der Tricolore "Dolomiti" genannt, wie das gleichfarbige beliebte Langnese-Stieleis in den 80ern.
Gute Botschaft für alle, die es noch kennen: Ab Februar 2014, also quasi ab sofort, kommt das Dolomiti-Eis zurück!
Ebenso beeindruckend die Lackierungen von Fat Chance. Unvergesslich das Yo Eddy! in "Grello"
Grello ist aus mehreren Schichten besprüht, von 1-teilig Grün fluoreszierend plus 3-Teile Leuchtgelb über einer weißen Grundierung (die weiße Grundierungsfarbe ist notwendig, um die ordnungsgemäße fluoreszierende "Glow" herzustellen).
Irgendwo im MTB steht: "
Jeder, der schon mal ein eigenes Grello besessen hat, weiß, dass die Farbe auf 100 Fotos bei 100 unterschiedlichen Lichtverhältnissen 100 mal anders wirkt. In der Sonne brennt es einem fast die Netzhaut weg, im Schatten sieht es normal grün aus"
Dagegen wirkt ein Gleiss Monobox geradezu zahm: