AW: ebäh: Ganna 1935 - Vittoria Margherita gear
Dann würde aber kaum jemand sich die Mühe machen es neuzulackieren, oder?
Doch, leider. Entweder, es sind dies die Sammler selbst, die immer noch dem "NOS-NIB"-Wahn (new old stock - new in box) verfallen sind und ein absolut neuwertiges Erscheinungsbild anstreben, wobei allerdings immer mehr Sammler dazulernen und das Lager wechseln, oder es sind diejenigen, die, der Materie völlig unkundig, eine Firma mit der Restauration beauftragen, beispielsweise, weil sie das Rad geerbt und es nicht verkaufen möchten. Die andere Gruppe ist die der Verkäufer, die ein solches Rad extra für die Käufergruppe der fachlich Unkundigen "fertigmachen" wollen , die erwartet, daß selbst ein Rad von 1896 noch so neu erscheint wie eines aus dem
Rose-Katalog. Restaurationen, die nicht die Begründung des Substanzschutzes vorweisen können, wurden also entweder von unkundigen Sammlern, unkundigen Erben oder Neulingen (Anfängerfehler) oder Verkäufen in Auftrag gegeben worden.
Dasselbe Problem gibt's doch auch mit alten Motorrädern, Autos, Cameras, sogar Häusern. Auch da zählt ein unrestaurierter, guter Originalzustand mitunter mehr - für den Kenner. Nicht immer auch für den Markt- Und mancher will eben auch einen Zustand "besser als neu", wirft alle rostigen Schrauben weg und ersetzt sie durch V2A, ersetzt Splinte und Nieten durch Schraub- und Schweißverbindungen. Dann bekommt der Motor noch moderne Alu-Kolben, Elektronikzündung, baut eine modernere Schmierung ein und was weiss ich. Bei Fahrrädern sind Überrestaurationen in dieser krassen Form eher selten. Die Technikteile sind ja auch alle sichtbar.
Das Internet ist überflutet von Bildergalerien von Vorkriegsrädern, die besser aussehen als neu. Die Sammler in den USA und Asien sind auf der Hatz nach NOS-NIB Teilen und haben keine Skrupel, nach einer Neulackierung auch alle Anbauteile gegen NOS-NIB auszuwechseln, nur, damit die alten Teile mit ihren Gebrauchs- oder Alterungsspuren nicht gegen den neuen Lack hervorstechen. Darin liegt ein weiteres Problem: Eine Neulackierung löst eine Kette von Erneuerungen aus; wer einmal den rahmnen neulackiert hat, wird auch die leicht berosteten Teile nicht mehr dulden wollen, weil sie das Gesamtbild irritieren (oder ist es vielleicht doch der neue Lack?)
Bei mir ist die Grenze bei Verchromungen. Verchromt werden darf nur, was ursprünglich mal verchromt war.
Lenker und Gabeln können nicht neuverchromt werden, ohne strukturell zu leiden, sei es nun durch die Wasserstoffversprödung oder den Materialverlust beim Schleifen und Polieren vor dem Verchromen, wovon natürlich besonders Gabeln betroffen wären. Ein Metallteil muß vor dem Verchromen so stark poliert werden, daß es glänzt, als wäre es schon verchromt. Mag das Ergebnis auch perfekt aussehen, ein solches Teil ist nicht mehr belastbar, sondern nur noch für ein "Show Bike" geeignet. Und dann: Wenn es nur kosmetisch begründet ist, warum es dann nicht einfach mit der Messingbürste oder Bronzewolle behandeln und wachsen? Material entfernen, nur um es wohnzimmertauglich zu machen?
Ich finde auch, man darf erst neulackieren, wenn die Erstlackierung nicht mehr zu retten ist und das Rad andernfalls dahinrottet.
Die Frage ist nur, ab wann ein, den Einkauf von Neuware gewohnter Konsument, auf diesen Zustand erkennt. Ich kenne Leute, die, wenn sie einen Stein überfahren und das verhängnisvolle "Kling Klang" am Unterrohr gehört haben, am liebsten gleich links zum Lackierer abbiegen und das Rad aus 10 Metern Entfernung in das Entlackerbad werfen würden.
Selbst, wenn kaum noch Farbe vorhanden ist, kann man durchaus vorhanden Rost durch Tannin "ausschalten" und das Metall durch Wachsen vor weiterem Kontakt mit Sauerstoff bewahren. Ohne Sauerstoff kein Weiterrosten. Kann unter Farbe der Rost problemlos weiterblühen, so ist dies bei einer Schutzschicht aus Wachs nicht möglich.