Der Alpe-Adria Giro 2015
(aus subjektiver Sicht)
Die Kärntner sind ja sehr human. In Kärnten menschelt‘s an allen Ecken und Enden. Das weiß man. Und so sorgt es bei den radmarathonerprobten Athleten, die in der Villacher Altstadt den Alpe-Adria Giro in Angriff nehmen wollen und deren ganzer Organismus sich präzise eingetaktet hat auf den vom Hrn. Bürgermeister abzufeuernden Startschuss, auch nur für ein resignatives Aufseufzen, als die Rennleitung bekanntgibt, dass der Start um eine halbe Stunde nach hinten verschoben wird. Man will Nachzüglern die Chance nicht nehmen, ihr Startsackerl noch abzuholen, heißt es. Wie gesagt, in Kärnten da kommt man den Leuten entgegen. Selbst dann, wenn diese Leute nur den Wetterbericht studiert haben und daher nicht zurück entgegenkommen, sondern im Bett bleiben.
Radcore hat auch einen Wetterbericht überflogen. Wir rechnen mit einem sonnigen Tag, durchzogen von leichten Schauern (bei denen die Regentropfen in der Sonne tanzen).
Ich fühle mich förmig und gehe mit einem weisen Ratschlag ans Werk. Nils hat ihn mir nach dem St Pöltner Radmarathon mitgegeben: Fahre jedes Rennen so, als ob du es gewinnen könntest! Als ob du es gewinnen könntest!!
Nun gut.
Aber ja, es läuft nicht schlecht. Ich kämpfe mich von den hinteren Plätzen nach vorne. Bis zum ersten ernsten Anstieg, dem Predilpass, mäandert es stetig in Wellen bergauf. Die bekannte gespannte Nervosität im großen Feld. Aufgeregtes Winken vor jedem Kreisverkehr, harte Beschleunigungen an jeder Kuppe. Schräg rechts von mir knallts. "Du Wichsa!!" hör ich. Die Welle der Ausweichbewegung im Feld erreicht mich zum Glück nur tangential. Zum Glück wird es heute nicht heiß werden, Hitze vertrage ich schlecht.
Am Predilpass zerreißt es erwartungsgemäß das Feld, die Gruppen werden eingeteilt. Aber das Rennen ist noch lang, es wird sich erst erweisen, ob die Gruppe die richtige war. Ein Wörtchen mitzureden hat da ganz sicher auch der Vrsic, der steile Berg in Slowenien. Den haben sie da mit seinen 9% Durchschnittssteigung und seinen 50 Kehren hingestellt, auf dass sich die Spreu vom Weizen trenne. Was sie dann auch tut, nachdem es über komplett gesperrte Straßen gut durch das Soca-Tal gerollt ist. Einige aus der Gruppe werden verabschiedet, einige verabschieden sich.
Dann spinnt der Berg jeden einzelnen in sein stilles Leiden ein. Es ist aber dosiert, überschaubar. Nach knapp 9 Kilometern wird der Spuk vorbei sein. Nach, in meinem Fall, 46 Minuten. Der Vordermann vom Team Kirchmair bleibt im Blickfeld. Von hinten rückt nichts nach, nur ganz am Schluss ein zäher Senior mit Stützstrümpfen. Scheint so, als ob ich meine Gruppe gefunden hätte. Nach der Abfahrt vom Vrsic mit seinen unguten, gepflasterten Kehren, schiebt sich wieder was zusammen. Mit dabei auch frische Kräfte aus dem Medio Fondo. Mit denen gemeinsam wird ordentlich Tempo gemacht.
Schön langsam beginnt es zu tröpfeln. Die angekündigten leichten Schauer gehen nieder. Sie tun es in Form sintflutartiger, dichter Regenfälle, die bis kurz vor dem Ziel nicht an Heftigkeit einbüßen werden. Es geht jetzt fast immer leicht bergab, die längste Zeit über einen gut ausgebauten Radweg. Die Gruppe pflügt in bester Orientexpressmanier durch die links und rechts aufspritzenden Fontänen. Ich sehe durch den Schleier aus Wassertropfen und Dunst recht wenig, aber es fängt an, mir richtig zu taugen. Die frische Luft tut den Beinen gut.
25 km vor dem Ziel scheint Friede in die Gruppe eingekehrt zu sein. Ein Waffenstillstand der Abgehängten scheint geschlossen. Unter herabstürzenden Fluten fantasiert man schon den wohligen Moment herbei, wo man das Wasser aus den
Felgen schüttelt, das sich durch die Ventilöffnung hineingeschlichen hat (kein Witz!), und dabei den Kindern von Heldentaten erzählt.
Doch ich erinnere mich an Nils' Worte! Die Beine sind ja gut.
An einer leichten Kuppe attackiere ich aus der zweiten Position heraus. Hätte ich einen Wattmesser, würde ich mir die Dokumentation dieser Aktion ausdrucken und als Masturbationsbehelf unters Nachtkastl legen können.
Die Reaktion der Gruppe ist gleich Null. Ich ziehe davon durch den Regen, in Sekunden reißt ein Riesenloch, nichts mehr hinter mir, außer geflutete Straßen. Es fühlt sich nach Paris Roubaix an, nach Cancellara. Es hält zwar nicht 50 Kilometer, sondern nur 5, aber es hat sich gelohnt! Die Gruppe zerfleddert und zerrupft, ein wunderbares Werk der Irritation.
Ich habe mir die lätschaten Bolognesenudeln und die Plastikmedaille diesmal wirklich verdient!
PS: Halb so lustig wäre alles ohne Alfonsina Stradas Familie gewesen, die uns beherbergt, verköstigt und nach dem Ziel gleich unter die heiße Dusche gelotst hat – wirklich lebensrettend. Ganz großes Dankeschön!!