Über 2.500 Strandrennen-Verrückte stürzen sich jedes Jahr im Januar mit ihren Gravel- und Mountainbikes auf den Beach in Egmond aan Zee in Holland. Strandrennen sind in den Niederlanden und Belgien populär und laufen im TV. In Egmond findet das Bedeutendste statt: Es geht über 38 km auf dem Sand am Meeressaum und durch die Dünen. Wind peitscht und von unten sprühen Salz und Sand. Das mussten wir ausprobieren. Hier kommt die Fotostory von Groot Egmond Pier Egmond 2023 und eine kleine Galerie von Strandfietsen, also Mountainbikes, die speziell für Rennen am Strand gemacht sind.
Video: GP Groot Egmond 2023
Fotostory vom Strandrennen
Strandrennen, klingt gar nicht verlockend, hat aber in den Niederlanden und ganz besonders in Belgien eine riesige Fangemeinde. Gut, ich bin schon mal im Urlaub mit meinem Gravel Bike auf den Strand abgebogen, aber die Lust, gleich ein ganzes Rennen im Sand zu fahren, hat der Eiertanz zwischen losen Flächen und harten Stücken am Wasser in mir nicht geweckt. Und danach das Geknirsche im Getriebe – muss man nicht haben!
Oder doch? Irgendwas muss ja dran sein. Es kann natürlich sein, dass sich die Niederländer und Belgier das Ganze nur ausgedacht haben, um fehlende Berge wettzumachen. Oder, weil sich die Radnationen langweilen, weil es sonst im Winter, wenn Strand-Rennsaison ist, keine Rad-Events mit Massenstart gibt; Cyclocross-Rennen haben ja in der Regel kaum hundert Starter in einer Klasse.
In jedem Fall sind die Strandrennen sehr populär. Felder mit 3.000 bis 4.000 Starter*innen sind keine Seltenheit. Der GP Groot Egmond Pier Egmond ist dabei das größte Event in den Niederlanden und zieht auch eine ganze Schar Radprofis an. Das Fernsehen überträgt, in den Nachrichten wird berichtet, ein Sieg am Strand von Egmond aan Zee ist im Winter wie ein Gewinn bei Paris-Roubaix auf der Straße. Ivar Slik, der Sieger von Unbound Gravel 2022, kommt direkt aus der Strandrenn-Szene der Niederlande.
In diesem Jahr hat Stijn Appel das Renner der Männer gewonnen. Bei den Frauen siegte Riejanne Markus knapp vor Pauline Rooijakkers. Letztere kennt man in Deutschland als Straßen-Rennfahrerin bei Canyon-SRAM. Die Profis legten die 38 km am Strand in einer Zeit von 1:03 Stunden bzw. 1:15 Stunden zurück. Ein Schnitt knapp unter 38 km/h also für die Schnellsten, gegen den Wind, im Sand, durch die Dünen.
Stichwort Sand: So schlimm wie es sich anhört, ist es am Ende gar nicht. Das Rennen ist perfekt getimed (und übrigens auch perfekt organisiert, wie ich es von Rennrad-Events in den Niederlanden nicht anders kenne). Der „Koers“, wie Rennen in den Niederlanden heißen, findet während der Ebbe statt. Wenn sich das Wasser zurückgezogen hat, bleibt ein knapp 30 Meter breiter, fast überall (fast!) harter Abschnitt zurück, auf dem es besser rollt als auf den meisten Gravel Wegen – solange man nicht in ein Priel ausweichen muss. Breite Reifen tun das Übrige gegen das Einsinken, an meinem Rad sind sie 2,1“ in 650b, an Ingos Gravel Bike, der mich zum Rennen überredet hat, messen sie 45 mm in 700c und zählen damit zu den schmalen im Feld, sind aber breit genug, um am Ende nach 1:35 Stunde ins Ziel zu rollen.
Wie läuft das Rennen also? Der Start ist gemütlich, fast entspannt. Alle wissen, dass nach der abfallenden Zielgerade sowieso wieder Laufen angesagt ist. Denn anders als die Profis, schaffen es die Hobbyfahrer*innen in der Regel nicht, die 60 Meter durch den lockeren Sand von der Strandpromenade bis zum festen Teil „durchzudrücken“. Und die wenigen, die es schaffen könnten, müssen laufen, weil die anderen es nicht schaffen. Locker bleiben, ist die Devise.
Was wirklich weh tut, ist der Wind. Und wie. Wer gelegentlich in Herbst oder Winter an der Nordseeküste weilt, weiß, wie sich das am Strand anfühlt. Der Strand von Egmond ist am Renntag einer steifen Brise aus der Himmelsrichtung schräg-rechts-vorne ausgesetzt. Und gefühlt bremst er um 20 km/h. Deshalb überholen alle links – wenn links der Sand nicht doch zu weich wird.
Du willst lernen, wie man im Wind in der Gruppe fährt? Fahr ein Strandrennen.
Mit welchen Kraftreserven man am Wendepunkt ankommt, hängt fast ganz davon ab, wie gut man es schafft, sich im Feld vor dem Wind zu verstecken. Also wo man sich auf dem Hinweg in einer der vielen Windstaffeln aufhält, die wie Zugvögel über den Strand ziehen – „fliegen“ wäre wirklich eine maßlose Übertreibung. Dabei zaubern die Niederländer eine Gruppenfahrtechnik auf den Sand, die man RTF-Teilnehmenden als Workshop verkaufen könnte. Du willst lernen, wie man im Wind in der Gruppe fährt? Fahr ein Strandrennen.
Was noch weh tut, ist das Geräusch, das das Gravel Bike schon nach kürzester Zeit macht. Es erinnert etwas an eine Kaffeemühle und man denkt besser nicht darüber nach, woher es kommt. Noch „gräuslicher“ wird es, wenn ein Priel durchfahren werden muss – übrigens eine kritische Rennsituation, in der es heißt, so schnell wie möglich wieder Anschluss an das richtige Hinterrad zu finden. Danach hört sich das Rad an, als wären die Bremsscheiben Schleifsteine und die Kette als müsste sie einen Schiffsanker heben. Und es fehlen vielleicht die entscheidenden Körner, um das angepeilte Hinterrad zu erreichen.
Noch ein Wort zur Renntaktik, wenn man das Ganze denn als Rennen sehen will: Klar ist, dass Non-Pros ein gutes Ergebnis nur aus einer Gruppe heraus schaffen können. Kribbelt es also in den Beinen, um die (scheinbar) zu langsame Gruppe zu verlassen und sich einer passenden anzuschließen, ist es ratsam dies immer nur zu machen, wenn eine (manchmal auch nur scheinbar) schnellere Gruppe vorbeirollt. Niemals alleine.
So einfach. Und weiter bis zum Wendepunkt an der Flußmündung muss man auch gar nicht so streng mit sich sein. Am Wendepunkt aber heißt es nochmal lange durch losen Sand schieben, wenn man nicht mehr fahren kann. Und Fahren ist in dem Fall wirklich schneller.
Bleiben noch die Passagen durch die Dünen. Sie klingen auf dem Papier wir die Haupt-Hindernisse und tatsächlich gibt es an einer Stelle auch eine Extra-Zeitnahme. In Wahrheit hat man aber das Schlimmste hinter sich, nachdem man den Strand zum ersten Mal verlassen hat.
Der Rest ist Rollen. Tatsächlich schiebt der Wind so stark, dass ich auch im Rekombereich und fotografierend locker den Strand hinab rolle. Freilich schießen links und rechts die ganze Zeit Teilnehmende vorbei, die auf dem großen Blatt mittreten. Gruppenfahren ist kein Thema mehr. Viele unterhalten sich auch. Dann noch einmal durch den losen Sand auf die Strandpromenade eiern, den Applaus der Touristen genießen und das Rennen ist passé. Aber so schnell vergessen werde ich es nicht.
Das Resümee meiner Strandrenn-Premiere: Egmond ist nicht alle Tage, ich komm’ wieder, keine Frage. Das Rennen ist ein kurzweiliges, spannendes, machbares, aber forderndes Erlebnis, die Stimmung ist ausgezeichnet. Und nicht zuletzt genießt man einen Tag an der See und hat hinterher einen Platz im Strandpaviljoen ebenso gewiss wie eine (im Vergleich zur Urlaubszeit) günstige Bleibe.
Was ist ein Strand Fiets? Galerie
Für die Teilnahme an Strandrennen und das Trainieren am Meeressaum hat sich eine eigene Bike-Gattung in den Niederlanden entwickelt: das Strandfiets. MTB sind in Strandrennen-Reglements teils auch für die Teilnahme vorgeschrieben, aber das wird nicht überprüft, wie wir vor Ort erkennen konnten.
Hauptsächlich kennzeichnend für ein Strandfiets sind dicke Reifen. Um die 60 mm in 700c sollten es schon sein, waren sich die befragten Teilnehmenden einig. Und tatsächlich sind Slicks oder nahezu Slicks gefragt. Wegen der Strandrennszene ist zum Beispiel der Schwalbe G-One in 60 mm in der Saison meist ausverkauft. Er wird derzeit als bester Strandreifen gehandelt wird, wie man uns versicherte. Ebenfalls oft zu sehen war der CST Control Beach-Reifen (die Muttergesellschaft von Maxxis) und der Vittoria Tattoo 29er. Wegen der scharfkantigen Muscheln und sonstigem Strandgut wird Tubeless gefahren. Viele montieren einfach einen dieser Reifen und einen Aero-Aufsatz an ihr MTB, fertig.
Viel Aufstandsfläche, wenig Stirnfläche
Einen Schritt weiter gehen spezielle Strandfietsen, Rennräder für den Strand. Sie sind sozusagen nach dem Grundsatz „viel Aufstandsfläche, wenig Stirnfläche“ gebaut. Meist bilden besonders leichte XC-MTB Hardtail-Rahmen die Basis. Besonders beliebt schien uns das Specialized Epic als Basis zu sein. Es heißt dann „Specialized Epic Beach“. Die Gabel wird gegen eine spezielle Carbon-Starrgabel mit passender Einbauhöhe und Vorbiegung getauscht. Oft kommt auch ein spezielles Carboncockpit zum Einsatz, das sozusagen einen Aero-Aufsatz integriert. Es hilft bei Solofluchten gegen den Wind, die sich für die Profis durchaus auszahlen können. Auch der Laufradsatz wird angepasst. Beliebt sind Carbonfelgen mit 30 mm bis 35 mm Maulweite, um die breiten Reifen mit niedrigem Luftdruck fahren zu können. Auf Nachfragen sagte man uns, dass mit einem Druck um 1,2 bar an den Start gegangen wird.
Bekannte Strand Fiets Marken
Es gibt sogar Hersteller, eigentlich eher Marken der großen Bike Shops an der Küste, die sich auf solche Strandfietsen spezialisiert haben. Sie lassen eigene Rahmen und passende Gabeln nach ihren Vorstellungen fertigen. Auffallend sind superflache Lenkwinkel (68° bis 70°), lange Radstände und Kettenstreben (bis 465 mm) und stark abgesenkte Tretlager.
Wikkit Der Strandfiets-Spezialist aus Egmond hat gleich mehrere Modelle fürs Beach Racing in Angebot. Sie unterscheiden sich nicht nur durch die Rahmenmaterialien (Stahl, Alu, Titan) sondern auch in den Geometrien. Die Lackierungen im Surf-Stil sind teils echte Hingucker. https://wikkitcycles.com/
Storm Storm Bikes ist ebenfalls ein Händler mit Spezialgebiet Strandfietsen. Das eigene Modell basiert auf einem Carbon-Rahmenset mit Spezialgabel und heißt Storm Moana Man vertraut auf Cockpits von Farr, hat aber auch ein eigenes Aero Flatbar Carbon-Cockpit im Angebot. https://stormsports.nl
Imming Bei den Machern von Imming – einem bekannten Strandrennfahrer – gibt es aucb Beach Racer mit traditioneller Cantilever-Bremstechnik spezialisiert. Ansonsten haben die Imming Bikes die typischen Merkmale aller Strandfietsen. https://www.instagram.com
Mehr Infos zum Strandrennen-Fahren
GP Groot Egmond Pier Egmond 2024 am 13. Januar 2024 www.gpgrootegmondpieregmond.nl
Diskussion zu Strandrennen im Forum www.rennrad-news.de
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