Brevetbericht BRM 600 Herentals Morkhoven
So, da stehe ich nun am Samstag, den 17. Mai in Herentals Morkhoven um 06:00 am Start eines 600 km Brevets namens „Vijflandentocht“ (Fünf-Ländertour).
Es kommen mir leise Zweifel ob ich noch alle Tassen im Schrank habe, schließlich bin ich noch nie 300 km „am Stück“ gefahren - und jetzt also 600!!!
Nun; die „Ronde van Vlaandern“ habe ich schon gefahren und Tilff-Bastogne-Tilff. Dort bin ich nach ~ 250 km noch vor 16:00 in Ziel gewesen. Da also nochmal 60 km dran zu hängen (in gemütlichem Tempo) - das sollte doch machbar sein.
Vor allem bei der sehr guten Wetterprognose.
Route:
Link
Es geht erst ‘mal nach Süd-Südost - die ersten ~ 90 km ziemlich flach bis leicht wellig um dann nach etwa 90 km und Überquerung der Maas in die Ardennen zu gehen.
Dann geht’s über Rochefort und Herbeumont nach Frankreich (Longwy), von dort aus in nordöstlicher Richtung über Arlon nach Luxembourg (Lulzhausen in der Nähe von Esch-sur-Sure).
Hier hat der Veranstalter für die Teilnehmer die Möglichkeit der Übernachtung in der Jugendherberge vorgesehen - und ich bin einer der 24 Teilnehmer, die sich dort einquartieren.
6 der Teilnehmer haben keine Übernachtung gebucht.
Am nächsten Tag soll es wieder um 6:00 losgehen Richtung Norden. Um 12:20 ist Deadline für die Kontrolle in Roetgen und bis dahin sind es ~145 km.
Das hört sich jetzt erst einmal nicht soooo problematisch an, aber wer das Terrain dazwischen kennt, der weiß dass das kein Selbstläufer ist. (Norden von Luxembourg, Dasburg, Bourg Reuland, St. Vith, Amblève). Die Strecke ist wie eine Achterbahn - ständig geht es rauf und runter - und zwar teilweise auch heftig steil; dazu bisweilen auf drittklassigen Forstwirtschaftswegen und wenige kurze Abschnitte auch ohne Asphalt.
Erst ab Faymonville geht es (bis Roetgen) auf die Vennbahntrasse; da kann man „laufen lassen“.
Von Roetgen aus geht es erst noch ein wenig auf der Vennbahntrasse bergab, dann etwas wellig bis Maastricht und von da an ziemlich flach - über weite Strecken am „Albertkanaal“ entlang zurück.
Kurz nach dem Start erst einmal Verwirrung. Einige der „Cracks“ die die Strecke schon mehrfach gefahren haben biegen erst einmal falsch ab! Die Strecke wird diesmal nämlich zum ersten Mal im Gegen-Uhrzeigersinn gefahren.
Nachdem sich das geklärt hat geht es erst einmal locker los. Und trotzdem stelle ich irgendwann fest, dass ich mich in einer ersten 8-er Gruppe wiederfinde (mit einem Liegeradfahrer).
Ich harmoniere allerdings nicht besonders gut mit dieser Gruppe.
Die fahren die wenigen kleinen Anstiege zu schnell hoch, dafür sind sie mir auf leicht abschüssiger Strecke zu langsam so dass ich ständig in den
Bremsen hänge. Ausserdem nehmen sie nicht viel Schwung mit in die Anstiege.
Wie auch immer, bis zur ersten Kontrolle nach ~ 90 km an der Maas bin ich dabei. Danach geht es erst noch gemächlich ein Tal 'rauf. Aber in dem Moment wo die Route nach rechts abbiegt und ein erster ernstzunehmender Anstieg zu fahren ist muss ich die anderen fahren lassen.
Von da an bin ich für den Rest des Tages alleine. Zu langsam für die „Elitetruppe“ und zu schnell um von dem Rest der Truppe eingeholt zu werden. Nur an der Kontrollstelle von Herbeumont treffe ich noch ein Pärchen (beide Mitte 40) die ebenfalls noch vor dem Gros der Truppe herfahren.
Er fährt Bärenstark und könnte wenn er denn wollte…
Aber er hilft seiner Frau wo er nur kann und hält sie bei Laune; so eine Frau muss man erst einmal finden - ich bin ein wenig neidisch.
Es geht recht unspektakulär aber landschaftlich sehr reizvoll nach Longwy - Im Kontrast zu der schönen Umgebung ist die Stadt fürchterlich hässlich!
Die Dame an der Kontrollstelle im Café lässt einen erst einmal 10 Minuten warten
und ist dazu noch sehr unfreundlich.
Da habe ich keine große Lust mich hinzusetzen für eine eigentlich eingeplante Pause.
Ich rolle noch ein wenig weiter und mache meine Pause an einem alten Waschhaus und hänge die Füße ins Wasser.
Ein freundlicher Belgier aus der Nachbarschaft kommt herüber und interessiert sich für mich.
Wir plaudern etwas. - Er ist auch Radfahrer, aber mehr als 120 km geht nicht… Familie - du weißt schon.
Er verschwindet und kommt wieder - mit einer Flasche Saft und einer Flasche Mineralwasser - zum Nachfüllen meiner flüssigen Vorräte.
Danke schön!
Bis Arlon ist „Achterbahn“; viel kurz rauf und runter - teilweise heftig und ich finde keinen Rhythmus. Danach geht es länger und gleichmäßiger rauf.
Oben dann - zum ersten Mal in meinem Leben - der bedeutende Moment: Mein Tageskilometerzähler zeigt 300!
Das muss gefeiert werden - mit ein paar Haribos
Noch ein paar km weiter ist ein Restaurant, welches für die Übernachter zum Abendessen vom Veranstalter empfohlen wurde weil es an der Jugendherberge nix mehr gibt.
Dort sitzen am Tisch auf der Außenterrasse der Veranstalter, der Liegeradfahrer und einer aus der 6-er Elitetruppe.
Die anderen 5 sind schon wieder weg. Die fahren die 600 km durch!!!!
Der Liegeradfahrer will auch noch etwas weiter in die Nacht fahren aber er hat einen Schlafsack dabei.
Erstmal ein Teller Nudeln Bolognese. - Auf Luxemburger Preisniveau aber dafür ist es eine echte Radfahrerportion.
Als ich fertig bin und losfahre trifft gerade noch das Pärchen ein. Ich rolle noch die restlichen ~ 10 km zur Jugendherberge die schön an einem Stausee liegt.
Duschen, Betten machen …
Der Veranstalter hat jedem eine kleine Sporttasche mitgebracht die man Ihm morgens gegeben hat: Eine frische Radhose und etwas Obst für morgen, Waschzeugs & Handtuch, ein dünnes sauberes Unterhemd zum Schlafen - hach was ein Luxus!
Ich bin mit Norbert, dem Kollegen von der schnellen Truppe auf einem Vierbettzimmer.
Um nicht allzu sehr gestört zu werden machen wir die beiden anderen Betten auch noch für die beiden die wohl noch später auf unser Zimmer kommen werden.
Wir sind noch nicht richtig eingeschlafen - da geht die Türe.
Licht an - Tüten rascheln - das übliche.
Als die dann endlch auch geduscht im Bett liegen dauert es keine drei Minuten, da geht das Sägewerk los. Na Prima
! Ich beneide in dem Moment den Liegeradfahrer mit seinem Schlafsack.
Es gelingt mir doch noch halbwegs zu schlafen.
Das Frühstück am nächsten Morgen war recht übersichtlich. Für jeden
eine Scheibe Käse,
eine Scheibe Salami, ein wenig Butter, ein wenig Marmelade, dazu Brötchen vom Vortag (nicht aufgebacken); das sogenannte „Müsli“ bestand aus Süßkram von Kellog’s und war nicht wirklich zum Beißen (sondern zum lutschen), etwas Milch, kein Joghurt, keine Früchte…
Was soll das denn?
Dann zum Start um 06:00 die erste Überraschung: Mein Rad ist hinten Platt.
Nun gut; besser hier als Unterwegs denke ich mir.
Schlauch geflickt,
Reifen geprüft - kein Grund erkennbar.
Als ich um 06:10 auf die Piste gehe waren alle anderen schon Weg!
Jan Geerts (der Veranstalter) ist darüber „not amused“; er meinte dass die ruhig hätten warten können.
Nun gut. Erst einmal etwas bergab, dann etwas flach auf gutem Asphalt; ich bin ein „Rouleur“.
Um 07:00 habe ich die erste 6-er Truppe am Fuß des ersten Berges aufgerollt. Oben dann die nächste 8-er Truppe.
Nach der nächsten Abfahrt - und das ist nicht weit - bin ich wieder alleine. Warum müssen die alle immer so viel
Bremsen?
Eine halbe Stunde später: „Pfffffft“!
Ein blödes Geräusch von unter mir hinten. Shyce!
Ich habe vorhin in der Hektik (weil ich mit der Gruppe hatte fahren wollen) den
Schlauch nicht ausreichend sorgfältig spannungsfrei am Ventil eingebaut und dort ist jetzt das einvulkanisierte Ventil ausgerissen.
Also
Schlauch tauschen - einen Ersatzschlauch habe ich mit.
Die anderen ziehen alle wieder an mir vorbei - manche äußern sich Mitleidig. Nur der allerletzte, der schwächste Fahrer bei dem man Sorge haben muss, ob er im Zeitlimit bleiben kann - der hält an und bietet mir freundlicherweise seine Hilfe an. - Ich lasse Ihn ziehen - sonst hätte ich ein schlechtes Gewissen.
Jetzt beginnt das wieder von neuem - der Kampf die Sollzeit von 12:20 Uhr an der Kontrolle in Roetgen einzuhalten.
Bis Faymonville habe ich alle Kollegen bis auf 2 wieder aufgerollt und die Vennbahntrasse ist was für Rouleure wie mich.
Aber es ist viel los. Viele Leute die Ihre Räder auf dem Auto in’s Grüne transportieren um dann 20 km spazieren zu fahren mit einem fetten Picknick.
- Sonntag Mittag halt bei schönem Wetter.
Wie auch immer, ich mache nochmal gehörig Dampf und fühle mich dabei wie der Hecht im Goldfischbecken.
Nun; es gelingt mir. Um Punkt 12:18 Uhr bin ich an der Kontrolle in Roetgen und frage mich, ob die anderen hinter mir jetzt alle aus dem Classement fallen?
Später erfahre ich, dass es eine Regel gibt, nach der man bei einem längeren Brevet bei einer Kontrolle verspätet sein darf wenn man das bis zur nächsten Kontrolle wieder aufgeholt hat. - Hätte ich das nur eher gewusst. - Und 16:40 in Maastricht - das war wohl für alle machbar.
Weil der Zeitplan es erlaubt mache ich zwischen Roetgen und Maastricht eine ausgedehnte 1 ½ h Mittagpause und esse deftig und reichlich zu Mittag. - Nicht wieder so’n Süßzeugs was meine Verdauung durcheinander bringt.
Gut gestärkt gehe ich wieder auf die Piste und am Ortseingang Maastricht rolle ich wieder auf eine größere Gruppe auf.
Die machen aber an der Kontrolle eine längere „Verpflegungspause“ - die habe ich schon hinter mir - so dass ich mich wieder entschließe alleine die restlichen ~ 90 km in Angriff zu nehmen. Zu dem Zeitpunkt sind noch zwei der Teilnehmer die in Luxemburg übernachtet haben vor mir.
Norbert der gestern mit der Elitetruppe unterwegs war (der ist viel zu schnell für mich) und noch einer.
Es wird flach. Es geht viel an einem Bach und am Kanal entlang. Terrain für Rouleure.
Ich rolle langsam von hinten auf den langsameren der beiden Kollegen auf. Er fährt schon recht unrhythmisch und geht oft aus dem
Sattel obschon es topfeben ist. (Tut der Hintern weh?)
Ich nehme ihn in's Schlepptau, er hängt sich in meinen Windschatten und wenige km später fühlt sich meine Fuhre so schwammig an. - Der dritte Platten am Tag; wieder hinten. - Der Kollege fährt weiter.
Am Kanal kommt man häufig durch Hafenbereiche und dort liegt allerhand Unrat auf dem Weg. Hier hat sich ein ~ 2 cm langer dünner Metalldraht durch den Vectran-Breaker in mein Hinterreifen gebohrt; den muss ich mit dem Vorderrad aufgeschleudert haben. - Dumm gelaufen.
Ich muss flicken denn einen Ersatzschlauch habe ich nicht mehr. - Aber das Loch war leicht zu finden.
Das Pärchen zieht an mir vorbei und grüßt Mitleidig.
Scheiß ’was drauf, die Sonne scheint schön, es sind nur noch ~35 km, hier ist ‘ne Bank zum Pause machen, ich habe noch mehr als genug Zeit und auch noch etwas Verpflegung (Müslibrot, Apfel, Banane, Saftschorle, Nussriegel …)
Ich sitze in der Sonne, schaue mir die Wasserskifahrer und Jetskifahrer an und bewundere die gefällige architektonische Gestaltung der Gebäude gegenüber…
Die letzten 35 km schalte ich 2 - 3 Gänge zurück, nehme die Trittfrequenz hoch und trotzdem Tempo ’raus um die Beine locker zu kriegen.
Kurz vor dem Ziel die 600 km - Marke - und ich habe keine Haribos mehr da um das gebührend zu feiern.
Im Ziel bedanke ich mich bei Jan Geerts für die gute Organisation und bin schnell unter der ersehnten warmen Dusche.
Zwischenzeitlich ist auch das Gros der anderen Kollegen eingetroffen und sitzt bei einem Bier zusammen. Noch ein kleiner Plausch und ich verabschiede mich; ich habe noch 1:20 h mit dem Auto und zu Hause gibt’s lecker was zu essen.
Statistik:
37:45 Std. habe ich gebraucht; davon habe ich 23:18 Std. gefahren und etwa 7:00 Std. im Bett gelegen - Auch wenn @
roykoeln sagt: „Ein Brevet ist keine Murmeltierveranstaltung“
Es gab ~ 6400 Höhenmeter, die meisten davon auf den mittleren 400 km.
Ob ich’s nochmal mache?
Ich weiß es noch nicht. Einen Startplatz für PBP nächstes Jahr sollte ich mir damit aber erarbeitet haben (der längste in 2013 gefahrene Brevet zählt). Die Qualifikation (200 - 300 - 400 - 600) müsste ich noch machen. Und wenn ich’s machen sollte, dann kann ich mir vorstellen, dass ich das zumindest teilweise in Herentals - Morkhoven mache, die „kleinen“ vielleicht in Maastricht.
Sonstiges Fazit: Der Brooks B17 Narrow Imperial den ich mir Anfang Dezember letzten Jahres gekauft habe ist für solche Touren für mich der beste
Sattel, den ich bis dato probiert habe. Allerdings habe ich ~ 3000 km gebraucht bis sich meine Sitzknochen in die Decke eingearbeitet haben - und zwischen Sitzknochen und Satteldecke habe ich nicht viel „Polster“ - Gewebe.