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Folge 3
wer oder was ist Express?
Eine Landschaft, eine Stadt, eine Fabrik, ein Gründer, ein Visionär und die Mitarbeiter - viel zu wenig ist die Geschichte hinter dem Fahrrad Teil in diesem
was ist das wert Forum, darum also hier.
Die
Landschaft ist das oberpfälzer Jura. Hier liegt die beschauliche Kreisstadt Neumarkt (sprich Neimackt) eingebettet in einem Talkessel.
1870 leben hier rund 3500 Einwohner in einer von der Industrialisierung noch nicht erfassten
Stadt.
Unter welchen Verhältnissen läßt sich hier eine
Fabrik gründen? Die Situation Ende des 19. Jahrhunderts:
es gibt keinen öffentlichen Strom, Gaslaternen erst 1889, eine Kanalisation der Altstadt erst nach dem zweiten Weltkrieg, kaum geplasterte Wege.
Der neu gebaute Ludwig-Donau-Main Kanal bringt nicht das erhoffte Handelsaufkommen und der Kanalhafen der Stadt bleibt verwaist, doch dann die Wende:
1871 eröffnet die neue Eisenbahnstrecke Nürnberg-Regensburg ungeahnte Horizonte. Rund um den unentgeldlich gestellten Platz für den Neumarkter Bahnhof entstehen Infrastruktur und damit Gewerbeansiedlungen.
1863 zieht die jüdische Familie Goldschmidt als Neubürger in die Stadt und meldet einen Eisenwarenhandel an. Erst seit 1861 ist es jüdischen Bürgern überhaupt gestattet ihren Lebensunterhalt durch Handwerk oder Ackerbau zu bestreiten. Die wohlhabene Familie ist geschäftstüchtig und wagt 1874 den Sprung vom gewohntem Kaufmannsmetier zum produzierenden Gewerbe und
gründet eine 28qm große Schlosserwerkstätte im Hinterhof ihres Anwesens am oberen Markt. Es werden Sparherde fabriziert, eine Neuheit aus dem Jahre 1851, denn bisher wurde in dt. Haushalten meist über offener Flamme gekocht.
Jetzt fehlt noch der
Visionär oder deren Zwei. Hier ist zum einen der bei den Goldschmidts beschäftigte kaufmännische Azubi
Carl Marschütz (aus Burghasslach stammend) zu nennen, der nicht nur von Kochherden träumt. Er ist eine lokale Berühmtheit - ein bunter Hund - denn er fährt einen selbst konstruierten Schnellfuß (Velociped). Auf der bayrischen Landesausstellung 1882 trifft er auf den begabten aber mittellosen Mechaniker und Hochradbauer
Eduard Pirzer aus Nürnberg, welchen er seinem fortschrittsbewußten Arbeitgeber Goldschmidt vorstellt. Es kommt letztendlich 1884 zur Firmengründung
Velocipedfabrik Goldschmidt & Pirzer.
Carl Marschütz erlangt später Bekanntheit als Mitbegründer der Nürnberger Zweiradindustrie aus der die
Hercules-Werke AG hervor gehen.
1887 ist die Zahl der
Mitarbeiter im Unternehmen - nicht Arbeiter - auf 120 angestiegen; das 2000. Hochrad bzw. Tricycle hergestellt.
Seit diesem Jahr werden auch sog. Sicherheits- oder Niederräder produziert ("die Räder für die Frauen und die Alten"
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).
Die Fabrikhallen sind bereits 100m lang, der Strom für Anlagen und Beleuchtung wird mit eigenen Dampfmaschinen getriebenen Generatoren erzeugt. Die Fertigungstiefe mit Schmiede, Löterei, Schleiferei, Vernicklungsanstalt, Lackierei und Poliererei ist enorm.
1893 erscheint das erste Diamantrahmen Fahrrad mit Modellbezeichnung "Express".
Die Geschäftzweige werden 1897 unter den Brüdern aufgeteilt und es entsteht, unter der damals in Mode gekommenen Geschäftform der Aktiengesellschaft, die
Express-Fahrradwerke AG.
Die Kochherdeproduktion bleibt zunächst in Familienbesitz und geht im Zuge der sog. Arisierung im Jahre 1938 an die heute noch existierende Fa.
Buderus.
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