Also Beton tut definitiv mehr weh, denn du ziehst die Tapete ordentlich ab. Das blutet und man hat Dreck drin. Nach dem Reinigen mit der Bürste (kann etwas unangenehm ziehen, ungefähr wie ein heißes Messer durch Herz) kann man das aber sauber verarzten und es bildet sich eine schöne Borke. Auf Holz ist tatsächlich zwischen drinnen und Hannover zu unterscheiden. Drinnen ist das Holz glatt, es gibt kaum Splitter, nur die oberste Hautschicht wird abgezogen. Das blutet nicht, suppt aber schön und man hat sehr lange was davon, da es schlecht heilt. In Hannover ist die Oberfläche etwas verwittert, daher komemen da noch zig (tausende?) Splitter dazu. Die ersten zieht man aus der suppenden Wunde. Die zweite Runde kommt aus der Borke mit und dann sieht man die dritte Runde schön durch die neue, blasse Haut. Die vierte Runde kommt in den nächsten Jahren langsam nach oben und sieht aus, wie ein Mitesser. Nur, wenn man drückt, kommt ein Splitter hoch. Falls du mehr Fragen hast dekoriere ich meine Ausführungen gerne mit Bildern...Allerdings muss ich sagen, dass ich erst einen nennenswerten Sturz auf Beton (Dernyrennen, ca. 60 km/h, gibt viel Zeit bis zum Stopp) und einen auf Holz (Hannover, nur 40 km/h, dafür von oben an der Bande in der Kurve, dazu ist mir noch jemand in die Niere gefahren, gab einen ordentlichen Blutverlust) hatte. Beim Dernyrennen war ich selber Schuld, war windig und ich hab das Schutzblech getroffen, in Hannover hat mir jemand das VR wegrasiert.
Vielen Dank für diese an Bildern reiche, illustrative Schilderung — ich hatte bei jeden Satz die jeweiligen Heilungsverläufe gut vor Augen und konnte gedanklich an den Schmerzen teilhaben.
Mein Sanitätsausbilder beim Bund (in den Heeresmusikkorps Dienende bekamen immer auch eine Sanitätsausbildung) hätte seine helle Freude daran gehabt; „Wundechtaufnahmen hätten Ihren Vortrag verbessert, Soldat”, hätte er jedoch gewiß angemerkt.
Besonders schön fand ich die Schilderung des langsamen Herauswanderns der kleinen Holzsplitter, bei der vor allen Dingen das Durchspießen der bereits geschlossenen Wundfläche durch die Nachzügler aus dem Fleische heraus besonders delikat ist und mich dazu anregt, eine eigene, selbst gemachte Erfahrung zum Besten zu geben; es handelt sich hierbei um eine Begebenheit, die nun schon lange zurückliegt, mir aber noch immer gut in Erinnerung ist und heute eine Erzählung wert:
Gleich nach dem Abitur war ich mit Freunden zu einem Spanien-Urlaub aufgebrochen. Da es hier um die Schilderung von Qualen geht, bei der eine langandauernde Tortur ja immer die Marter verbessert, ihr Erleben durch die zerschleifende Beständigkeit des Schmerzdruckes vertieft, möchte ich — ohne hier lange zu verweilen, denn es hat ja eigentlich nichts mit körperlicher Pein zu tun, um die es hier ja nun einmal geht — nicht unerwähnt lassen, daß wir uns auf einer Busreise hin zum Städtchen „Lloret de Mar” befanden, die uns erst nach geschlagenen 26 Stunden in die knallende Mittagssonne Kataloniens entlassen würde.
Nun aber war es Nacht, ich stand frierend auf einem Rastplatz in Lyon und schluckte einige Tabletten aus einer, in zwei Lila-Farbtönen bedruckten Schachtel, auf der „Dolomo Nacht” stand, was damit auch gut zur Uhrzeit paßte.
Was war geschehen? Wir hatten erst den halben Weg zurückgelegt, als uns unser Fahrer in die Nacht hinausschickte; der Bus mußte nächtens betankt werden, die geschundenen Körper der übrigen Spanienfahrer, die mit uns zusammen die letzten Stunden den Schlagern aus der Bordmusikanlage gelauscht hatten, verlangten jedoch nach dem „Gegenteil von Tanken”, was wir Tapferen jedoch beschlossen hatten, es uns zu verkneifen, nachdem der erste das Toilettenhäuschen unter wortreicher Beschreibung des sanitären Zustandes der französischen Örtlichkeit verlassen hatte.
Die lilafarbenen Pillen, die einen Mann bei zu reichlicher Einnahme niedergestreckt hätten wie einen Baum unter dem Schlag der Axt, schluckte ich wie Smarties und glaubte auch nicht mehr an ihre Wirkung, was mich aber nicht daran hinderte, die Schachtel pflichtbewußt leerzuessen; eine der kleinen Tabletten nach der anderen drückte ich durch die Silberfolie des Pillenkärtchens hindurch in meine Hand. Ich hatte noch einige dieser Schachteln im Gepäck; sie sollten noch nützlich werden, allerdings nicht so, wie es ihnen ursprünglich vorgesehen war. Übrigens blieben mir die meisten dieser Schachteln erhalten, beschrieben mit Namen und Telefonnummern von Urlaubsbekanntschaften und was man sonst noch so alles glaubt, es in Kneipen auf solchen Kleinformaten verschriftlichen zu müssen.
Einige Wochen zuvor war mir ein böse entzündeter Backenzahn — es hatte sich an ihm eine Wurzelkanalvereiterung eingestellt — gezogen worden. Streng genommen, war er mir nicht gezogen, sondern in Stücken aus dem Kiefer gebrochen worden, denn es war ja ein in seiner Substanz solider Zahn, der, im Wesentlichen ungeschädigt, ganz fest im Kiefer stand und somit nur unter großem Kraftaufwand zum Weichen zu bewegen war. Der Arzt hatte also seine größte Zange angesetzt und den Zahn unter lautem Krachen im Kiefer zum Bersten, zum Zerplatzen gebracht, wonach er dann mit einer zweiten Zange, die ich gebogen wie eine Telefonzange in meiner Erinnerung habe, die ersten größeren Trümmer aus dem blutgefüllten Tümpel fischte. Irgendwann im Laufe der mir endlos vorkommenden Sitzung hat er dann die Wunde mit einem Skalpell weiter aufschneiden müssen, um mehr von den Resten des Zahnes erfassen zu können. Natürlich wurde mir dieser Schnitt am Ende vernäht, und ich erinnere mich, daß ich noch Wochen danach mit einer roten, antibakteriellen Flüssigkeit spülen mußte, während sich auf der Wunde eine Geschwulst ausbildete, die wie ein Kaugummi aussah (und die mir der Arzt irgendwann ebenfalls wieder wegschnitt).
Übrigens war die Wand, auf die ich vom Behandlungsstuhl aus blickte, mit einem Kalenderbild geschmückt, das ein römisches Diarettglas zeigte, eines jener kunstvollen Erzeugnisse der damaligen Glasbläserkunst, bei dem ein Glaskelch von einem gläsernen Flechtwerk wie umsponnen ist, und das ich mir unter anderen Umständen gewiß gerne angesehen hätte, das sich mir hier, unter Schmerzen, aber regelrecht in meine Netzhaut einbrannte. Zumindest blieb mir der Anblick eine Zeit lang bei geschlossenen Augen erhalten, so wie man ein zuvor gesehenes helles, intensivfarbenes Objekt beim Abwenden davon noch eine Weile als Schemen wahrnimmt.
Am Schluß der Behandlung wurde mir gesagt, die Spritzen hätten wegen der Entzündung wohl nicht gewirkt (der Blick des Arztes dabei auf die Lehne des Behandlungsstuhles, in die ich mich hineingekrallt und sie dabei ruiniert hatte). Ein Taxi wurde mir gerufen, denn auf zwei Beinen konnte ich kaum noch laufen.
Was mich aber nun angeregt hatte, all dies der Erzählung für würdig zu befinden, ist die Ähnlichkeit zu der vorausgegangenen Schilderung der splittrigen Wundflucht, denn so wie die Holzsplitter nach einem Sturz auf einer rauen Holzbahn noch nach Wochen der schon verheilten Wunde entwachsen, durchspießten auch bei mir noch Monate danach kleinere, spitze Zahntrümmer das mittlerweile wieder geschlossene Zahnfleisch wie die herzigen Krokosse, die im frühen April durch die Wiese brechen. Die meisten dieser frechen, spitzen Gesellen konnte ich selbst mit der Zunge herausmanipulieren — immer vor und zurück — nur einige größere drehte mir der Arzt gelegentlich eines Nachsorgetermines mit der Pinzette heraus; nach dem Herausnehmen des Instrumentes aus meinem Mund durfte ich die Fleischzapfen, die nach unten weg an den Splittern hingen, eingehend bewundern.
—
Als wir nach 26 Stunden — 4 davon hatte das Busgefährt sich nur im Schrittempo bewegt, als es kurz vor Lloret de Mar sich mit scheinbar hunderten anderen wie ein Teil eines riesigen Wurmes durch einen Felsenkorridor herunter zur Stadt schlängelte — müssen wir beim Aussteigen die Einheimischen wohl an wilde Tiere erinnert haben. Ich erinnere mich daran, daß ich mir die Haare unzählige Male wusch und sie mir zuerst am liebsten abgeschnitten hätte, so sehr waren sie in der brüllenden Hitze des Busses wie zu einem Brett zusammengeklebt.
Einige der übrigbehaltenen Tabletten, aus deren Schachtel ich mir einige ich im nächtlichen Lyon „eingeworfen” hatte, während unser Bus seinen Benzindurst stillte, sollten tatsächlich noch zum Einsatz kommen, allerdings nicht an mir, an sie nicht recht wirken wollten, sondern als Mitspieler in einem Streich, den wir einem Mitreisenden spielten, der eigentlich nicht zu unserer Gruppe zählte, sondern sich nur dazugesellt und schnell als Nervensäge erwiesen hatte. Beim Essen placierten wir eine oder zwei der hübschen lila Pillen in seine original katalanische Tomatensuppe, woraufhin diese Gesellen endlich zeigen konnten, was in ihnen steckte und uns für den Rest des Tages von seiner Begleitung befreiten.
Ach ja: Sicher wußtet Ihr, daß der in Spanien sehr verbreitete Frauenname Dolores „Schmerz” bedeutet (lateinisch= dolor).
Zum zweiten Mal fügten sich diese Tabletten passend in ihre Umgebung ein wie ein Puzzlestück.
Einem Freund, der während unserer zwei Ferienwochen mit einem frisierten Mofa auf dem Weg heim von einer in einer Felsengrotte betriebenen Bodega in der Mittagshitze auf Splitt gestürzt war, blieben noch einige Arztbesuche, bis seine Knie von den vielen kleinen, schwarzen Steinchen befreit waren. Auch diese kleine Geschichte will ich in diesem Zusammenhang nicht verschweigen.
In Hannover habe ich mich nur kurz an der Bahn aufgehalten, sie in Augenschein genommen und einige Fotos gemacht (die ich noch entwickeln muß); zum Fahren oder längeren Verweilen hatte ich jedoch keine Muße; mit der Bahn unterwegs und auf der Durchreise, hatten wir auch keine Räder mitgenommen. Vielleicht werde ich sie mir im nächsten Jahr nehmen, bis dahin befahre ich weiter unsere hiesige Betonbahn oder gelegentlich einmal die Holzbahn in Büttgen.