Was für eine Strecke und was für eine Erfahrung...
Nach der Anreise mit dem Auto zusammen mit Hans-Peter geht es um 10 Uhr in München bei bestem Wetter los. In großer Gruppe rauschen wir bei günstigem Wind und mit einigen Tempobolzern an der Spitze mit einer 30er Schnitt bis zum Kochelsee. Danach wird es dann ruhiger und das Feld löst sich in kleine Grüppchen auf. Immer noch bestes Wetter, auch wenn die höheren Gipfel wolkenverhangen sind. Traumhafte Strecke über Mittenwald ins Inntal, nach dem Walchensee dann auch überwiegend auf verkehrsarmen Sträßchen und Wegen.
Das Inntal überrascht mich mit felsigen Schluchten, das hatte ich hier gar nicht erwartet. Der Radweg fährt sich auch gut, definitv eine Wiederholung wert. Der Himmel wird jetzt allerdings zunehmend dunkler, die Wetterprognose verheißt für den Abend und die Nach auch nichts Gutes. In Landeck kommen wir dann fast auf die Minute mit dem einsetzenden Gewitter an. Also ab in den McDonald und erstmal was futtern.
Der Regen sollte aber so bald nicht aufhören, erst im schweizerischen Teil des Inntals gibt es eine Regenpause. Die aber auch nicht von allzu langer Dauer ist und mit steigender Höhe wird es auch empfindlich kalt. Denkwürdig die Umfahrung des Tunnels vor Martina, die uns über Schotterwege tief ins Tal des wegen der Wassermassen der letzten Tage reißenden Inn hinab führt, wo an zwei Stellen frische Erdrutsche zu queren sind. Nicht nachdenken, durchwaten, alles gut gegangen.
Im Oberengadin regnet es immer noch bei mittlerweile nur noch drei Grad über Null. Ein warmer trockener Platz ist hier nach Mitternacht nicht leicht zu finden und wir entscheiden uns fürs Durchfahren. Die Abfahrt vom Malojapass bei diesen Bedingungen ist wirklich grenzwertig, nicht zur Wiederholung empfohlen... die Tasten des
Garmin und die Stirnlampe kann ich mit meinen kalten Fingern schon nicht mehr bedienen,
bremsen und schalten geht aber noch.
Unten im Bergell ist es dann wie erwartet mit 15 Grad viel wärmer und es weht ein ziemlich heftiger Föhnsturm. Die Freude über die warmen und trockenen Bedingungen währt aber nicht lange und es beginnt ergiebig zu regnen. Von der eindrucksvollen Landschaft des Comer Sees sieht man so leider auch nicht viel. Aber dank der durchfahrenen Nach kommen wir immerhin in den Genuss einer praktisch leeren Uferstraße.
Punktgenau erwischen wir die erste Fähre des Tages um 6:50 Uhr in Cadenabbia. In Bellaggio dann erstmal Cappucchino und Dolci zum Frühstück. Im Anstieg zur Madonna del Ghisallo hört sogar der Regen kurz auf und die Wolken geben doch noch ein paar schöne Blicke auf den Comer See frei. Nach gebührender Huldigung der Madonna und der in der Kapelle verewigten Radsportprominenz dann die Abfahrt nach Como mit neuem Regen. Zwei Stunden bei McDonald's helfen gegen Kälte, Nässe und Müdigkeit, aber regnen tut's danach immer noch und das bleibt auch bis zum Lago Maggiore so. Dazu kommt der heftige und rücksichtslose Verkehr auf den wirklich besch... italienischen Straßen um Varese. Muss ich nicht nochmal haben; aber es soll ja schon die verbesserte Strecke gegenüber 2023 sein. Nun gut, dann ist das hier halt so.
Am Lago Maggiore und hinauf zum Passo Scopello geht es dann auch wetter- und stimmungsmäßig bergauf. Tolle Strecke! Kurz hinter dem Pass noch was essen und dann wieder runter an den See und in die Schweiz. Hier wird mit Autocorsos das EM-Unentschieden gegen Deutschland gefeiert. Hopp Schwyz! In Bellinzona teile ich mir mit Hans-Peter ein Hotelzimmer. Dusche und Bett tun wirklich gut
Am Montag Morgen geht es bei perfektem Wetter das lange Tal Richtung Gotthrad hinauf. Da unsere Pace am Berg sich zunehmend unterscheidet, fahren Hans-Peter und ich nun getrennt weiter. Auf geht's in die legendäre Tremola, die ich noch nie gefahren bin. Sie ist atemberaubend. Da die meisten in Bellinzona übernachtet haben kreuzen sich die Wege vieler Brevet-Teilnehmer hier nochmal. Auch einige, die wegen der Bedingungen bereits ausgestiegen sind, lassen sich dieses Highlight nicht nehmen und fahren in Eigenregie weiter, ich freue mich über das Wiedersehen mit Stefan.
Rasant geht es hinunter bis Altdorf, wo mit dem Klausenpass das zweite Highlight des Tages ansteht. Ein Traum von einem Pass, vor allem die zweite Hälfte. Leider verstecken sich die hohen Gipfel in Wolken, die aber andererseits eine ganz besondere Stimmung erzeugen.
Nach der nächsten langen Abfahrt durch Glarus geht es zum Abschluss des Tages noch über den Rickenpass. Eigentlich wäre ich noch nicht müde, aber die Schwägalp will ich dann doch bei Tag fahren und so errichte ich unter einem Vordach eines leerstehenden Holzhauses mein Nachtlager. Der Platz erweist sich als nicht so optimal, kalt und feucht war die Nacht und der Schlaf nicht besonders gut.
Kurz nach 4 Uhr mache ich mich wieder auf den Weg, es dämmert bereits. Die Hauptstraße zur Schwägalp ist absolut leer, das gibt's nur so früh am Tag. Das kleine Alpsträßchen genieße ich dann bereits im indirekten Licht der noch hinter dem Säntis versteckten aufgehenden Sonne. Eine einzigartige Stimmung. Um 6 Uhr bin ich an der Schwägalp.
Durchs Appenzell geht es ziemlich viel hoch und runter, öfters auch mal steil. Mein vom Vortag übrig gebliebenes Mandelstängli hilft mir da drüber. Um 10:30 Uhr ist dann der Bodensee erreicht und ich gönne mir ein erfrischendes Bad. Herrlich!
Irgendwie war ich der Überzeugung, dass es hinter Lindau recht flach weitergehen müsste, das ist aber ganz und gar nicht so. Das Westallgäu hält viele kleine Anstiege mit teils steilen Rampen bereit. Aber schön ist es hier, also ist auch die Stimmung gut. Der stramme Gegenwind ändert daran auch nichts. Der kühlt immerhin schön, denn es hat inzwischen an die 30 Grad.
In Biberach ändert sich der Charakter der Strecke dann endgültig. Eigentlich beginnt hier ein neues Brevet - ein 200er durch typische süddeutsche Landschaften. Auch schön. Ich begegne immer wieder Frank, der aber mit Knieschmerzen zu kämpfen hat und an Anstiegen langsam machen muss, weshalb unsere Reisegeschwindigkeiten nicht gut zusammen passen. Kurz vor Türkheim treffe ich dann Igor, einen der Organisatoren der Münchner Brevets. Er hat viel zu erzählen aus seiner langjährigen Randonneurs-Erfahrung und die Zeit bis Weilheim vergeht im Flug. Nur noch 60 Kilometer! Allerdings macht sich jetzt, es ist bereits 1 Uhr, auch eine bleierne Müdigkeit bemerkbar. Frank stößt auch wieder dazu und zu dritt brechen wir auf. Die Gruppe hält aber nicht lang, ich muss zügig fahren um warm und wach zu bleiben, Frank kämpft mit seinem Knie und Igor ist sichtlich müde. Frank schließt dann nochmal auf als ich einen Platten repariere und zusammen rollen wir um 5:17 an der Aral-Tankstelle in München ein. Damit geht ein denkwürdige Brevet zu Ende - eine traumhafte Strecke bei Bedingungen, die zumindest erinnerungswürdig sind. Von 3 bis 30 Grad und sintflutartigem Regen bis sengender Sonne war alles dabei...
Bilder hier:
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