AW: Marktpotential historischer Rennräder ?
Es ist nicht nur eine isolierte Erscheinung oder Bewegung, die die derzeitige Stahlradwelle vorantreibt. In Großstädten gibt es sicher die o.g. Gründe, die dazu führen, dass unter anderen Retro-Mode-Gegenständen auch klassiere Renner oder auch Retroräder gerade sehr gefragt sind.
In der Provinz ist das etwas anders, hier gibt es nicht die Szene, die solche Tendenzen etabliert, nur hin und wieder einen Spinner, der von den anderen nicht für voll genommen wird. RR-Klassiker sind aber auch hier anzutreffen, aber eben nicht bei "Szenepionieren", sondern bei ganz normalen Leuten, die genausogut alte Musikinstrumente oder Schreibmaschinen sammlen könnten, einfach nur so als Hobby. Rennräder haben denen gegenüber natürlich einen großen Vorteil, man kann damit durch die Gegend fahren und somit für körperliche Ertüchtigung sorgen.
Der Unterschied zur ersteren Spezies besteht darin, dass es sich hier nicht um eine Modeerscheinung handelt und das Interesse am Objekt tendenziell nicht abnehmen wird.
Man kann das Phänomen aber auch aus einer anderen Richtung betrachten: Wie kommt einer denn dazu, sich mit klass. Rennern zu beschäftigen?
Da gibt es meherere Ansatzpunkte. Radfahren ist gerade sehr populär. Der technische Fortschritt hat in den letzten 20 Jahren einen Riesensprung gemacht und uns leichte, sichere und zuverlässige Räder beschert. Jemand kauft so ein Ding und stellt fest, dass es den Sehgewohnheiten nicht so richtig entspricht. Er sieht andere Zeitgenossen und erinnert sich an früher, als ein Mensch auf einem filigranen Rohrgestell den Alltag bezwang und jetzt, wo eine Person mehr oder weniger erfolgreich versucht, ein Rohrmonster zu bezwingen. Man sieht sich nach etwas Anderem um, kauft ein gebrauchtes Altrad und stellt fest, dass das nicht wesentlich schwerer ist und trotzdem gut fährt. Fortan steht das Monster in der Ecke und zu dem einen Klassiker gesellen sich weitere.
Dann gibt es diejenigen, die der Mode folgen. Wie viele kommen hier an und stellen Fragen, wie sie ihr neu erworbenes Altrad einfachst und billixt zum Fixi oder SSP umbauen können? Und wie viele erkennen schnell, dass ein solches Unterfangen wenig Sinn hat, nachdem sie ein paar Runden gefahren sind? Auch diese Gruppe hat Lunte gerochen und reiht sich in die Riege der Klassikerliebhaber ein.
Und dann gibt es noch die alten Hasen, dei in jungen Jahren schon rennen gefahren sind oder anderweitig radsportlich aktiv waren. Einige haben ihr altes Rad noch, zumeist umgebaut oder ihn irgendeiner düsteren Kellerecke, in der es vor sich hingammelt. Auch sie haben Lust, ihre Beile wieder wirbeln zu lassen und holen ihren alten Bock wieder heraus oder, wenn der wirklich nicht mehr geht, suchen sie sich einen neuen. Oft ist das ein modernes Gerät. Einige aber setzen auf Bewährtes und suchen ein Rad, welches dem aus der Jugendzeit gewohnten entspricht. Und schon sind sie hier und bereichern unsere Szene mit Klassikerwissen aus erster Hand.
Und dann gibt es noch die Radsportfreunde, die nicht nur Räder sammeln, sondern alles rund um den Radsport und dessen Helden. Sowas gibt es bestimmt auch in anderen Bereichen, die individuellen Interessen sind ja sehr unterschiedlich. Auch das ist kein Strohfeuer, welches das Interesse nach einer Weile verliert. Sicher wird es immer wieder zu Auflösungen von Sammlungen kommen, aber es wird auch immer neue Sammler geben.
Dies alles wird dazu führen, dass gewisse (eignetlich alle echten) Klassiker im Wert zumindest gleichbleiben, eher steigen. Billigkram, der von Modefolgern derzeit zu Fantasiepreisen konsumiert wird, wird wieder an Interesse und somit an Wert verlieren. Die Mittelklasse wird sich aber stabil halten, denn es gibt nicht nur die ausgemachten Sammler, die für einen Leckerbissen viel Geld hinlegen, nur um ihn einmal im Jahr zu bewegen, sondern noch die ganze Schar Liebhaber klassischen Materials, die aus den o.g. Gründen (und all den anderen, auf die ich nicht eingegangen bin) dazugekommen ist und dauerhaft dabeibleibt. Die wollen kein Museumsstück, sondern was zum Fahren. Da darf das Rad nicht teuer sein, Ersatzteile müssen verfügbar sein und es muss (oder darf) nix Besonderes sein, denn es soll ja vor allem zum Fahren taugen. Dafür sind Räder aus Massenproduktion mit Großserienteilen besonders geeignet. Auch dafür wird es also in Zukunft einen Markt geben.