Aus aktuellem Anlass trage ich mal wieder ein wenig zur Diskussion bei.
Innerhalb von ca. 2 Monaten bin ich 3 mal von Motorradpolizisten angehalten worden. Vermutlich irgend ne Dienstanweisung, dass die da mal verstärkt nachhaken sollen oder so.
Ausgangssituation: Fixie + Vorderradbremse
Die ersten beiden Polizisten ließen sich ganz gut bequatschen. Der erste war sehr nett und meinte, dass er über das Licht etc. schon ganz glücklich sei – er fand das mit dem Trackstand in der Mitte des Linksabbiegerstreifens auf einer großen Kreuzung allerdings nicht in Ordnung und hielt mich deshalb an.
Der zweite war schon hartnäckiger und es wurden Paragraphentexte ausgetauscht. Nach ein wenig Gerede ließ er mich dann ziehen.
Der dritte war allerdings unbeirrbar und wollte nicht von der Anzeige absehen.
Auch nach 10 Minuten Diskussion äusserte er lediglich: mir ist bewusst, dass die Rechtsprechung unklar ist – er sei ja selbst MTB-Fahrer und kenne sich aus und erzählte was von Blabla-Bremshebeln und machte eifrig Fotos vom Antrieb – ich könne ja Widerspruch einlegen.
Er ordnete zudem an, dass ich die 4 KM nach hause schieben müsse. "Bei unklarer Rechtslage wollen Sie mich also 4 KM schieben lassen?", fragte ich.
Darauf er: "ich fahre jetzt in die entgegengesetzte Richtung und blicke mich nicht um." – ähm ja, o.k.!
Als ich dann 68 Euro zahlen und 3 Punkte kassieren sollte wg. angeblicher "wesentlicher Verkehrsicherheitsgefährdung", habe ich mich dann erneut eingehend mit dem Thema befasst und tatsächlich Widerspruch eingelegt – ca. 7 Seiten lang.
Wollte ich erst zur Niederschrift auf dem Präsidium diktieren, aber war mir dann doch zu blöd.
Auf jeden Fall hat das Ordnungsamt mir widersprochen und mir 20 Tage für die Rücknahme des Widerspruchs eingeräumt.
Meine Antwort kam postwendend: "nö, geben Sie das mal bitte schön weiter!" – Widerspruch blieb also bestehen.
Daraufhin meldete sich der Richter mit der Aussage, dass er meiner Argumentation nicht folgen würde, jedoch das Verfahren wohl einstellen würde, was er dann nach ein paar Wochen auch tat. Die Kosten hatte die Staatskasse zu tragen und ich nur meine eigenen Auslagen (60 cent Briefporto) statt 68 Euro und 3 Punkten.
Meine Darstellung des Widerspruchs basierte auf folgenden Punkten:
1. 2009 wurde in einem Bonner Urteil der starre Gang als Bremse anerkannt. (Az. 337 Js 1152/09)
2. 65 StVZO fordert keine zweite “ausreichende Bremse”, sondern lediglich eine von der ersten "unabhängige". Hier muss man genau lesen. Der Gesetzgeber schreibt dieser zweiten nicht die gleiche Bedeutung zu wie der ersten. Er hätte ja das Wort "ausreichend" wiederholen können, hat er aber nicht.
Viele Polizisten meinen nämlich, man müsse 2 ausreichende
Bremsen angebracht haben, die in Absatz 2 dann erklärt wird. Das gibt der Paragraph so aber nicht her. Man kann es so interpretieren, aber mMn kann man vom Bürger nicht mehr fordern, als das Gesetz unstrittig fordert. Andernfalls müsste der Bürger bei jedem Gesetz mutmaßen. Es wird letztendlich eine ausreichende Bremse benötigt und die weitere muss unabhängig sein, damit man das Rad im Notfall anhalten kann. Beim Rad gibt es eben kein TÜV und da kann ein Bremsseil schon mal reissen und deshalb benötigt man eine zweite Bremse. Bei der Starrgangbremse handelt es sich nach meiner Darstellung eben um eine Gegentriebbremse– siehe Wikipedia. Prinzip Schubumkehr wie bei Boot und Flugzeug.
Hier kommt dann oft die Aussage: "ja, aber der Starrgang ist keine technische Einrichtung, die nicht der Antrieb selbst ist bla bla" – eben dies wird von der zweiten Bremse auch gar nicht gefordert, sondern betrifft die ausreichende Bremse, die ja durch die Vorderradbremse gegeben ist. Auch in der Fachliteratur findet man nämlich diese Aussage, an die sich auch das hiesige Ordnungsamt geklammert hat. Das entspricht eben der Deutung, dass auch die zweite Bremse eine ausreichende sein soll, was so nicht im Gesetzestext steht.
3. und für mich ein wesentlicher Punkt: Nichtdeutschen ist es gestattet, ein Jahr lang mit nur einer Bremse am Fahrrad zu fahren. Das ist international mit Deutschland vereinbart und dazu gibt es eine Dienstanweisung innerhalb der Polizeibehörde.
Wie kann es also sein, dass Nichtdeutsche die Verkehrssicherheit augenscheinlich WESENTLICH gefährden dürfen, wenn es mir nicht erlaubt ist und mit 3 Punkten und 68 Euro geahndet wird?
Siehe auch ADFC:
http://www.adfc.de/news/archiv-news-2010/berliner-urteil-polizei-durfte-fixie-aus-dem-verkehr-ziehen
"Denn bereits mit der Vorderradbremse kann man ein Fahrrad sicher
bremsen. Die Hinterradbremse wirkt weitaus schwächer und kann in ihrer Funktion als Notbremse durch das Gegentreten im starren Gang ersetzt werden. Aus dem auch hierzulande geltenden „Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr“ ergibt sich, dass Radfahrer aus dem Ausland bis zu einem Jahr lang mit nur einer Bremse am Fahrrad in Deutschland fahren dürfen. Außerdeutsche Radfahrer brauchen an ihren Fahrrädern nur eine Bremse zu haben, sagt ausdrücklich eine Dienstanweisung der Polizei zu § 65 StVZO. Es ist unwahrscheinlich, dass ein internationales Verkehrsabkommen und eine Polizeianweisung eine verkehrsgefährdende Ausstattung festschreiben. Die Sicherstellung eines Fixies mit Vorderradbremse wäre deshalb nach Ansicht des ADFC-Rechtsreferenten Roland Huhn unverhältnismäßig und rechtswidrig."
Dann habe ich noch einen Artikel aus einem Fachmagazin zitiert: SVR 2011 Heft 4, S.159-160 (kostenpflichtig – darf ich deshalb hier sicherlich nicht zitieren).
Insgesamt ist der Ausgang eines solchen Verfahrens sicher ungewiss, aber klar war für mich: zur Not gehe ich auch vor Gericht, denn selbst wenn der Richter mir nicht 100%ig Recht gibt, kann es nicht sein, dass Nichtdeutsche hier bis zu ein Jahr mit nur einer Bremse rumfahren dürfen – die im Zweifelsfall auch eine einfache Rücktrittbremse mit weniger als 50% der Bremskraft einer Vorderradbremse sein kann – während selbiges Verhalten mit doppelt so starker Bremsleistung der Vorderradbremse und zusätzlicher Starrgangbremse eine "wesentliche Verkehrsicherheitsgefährdung" mit 3 Punkten und Bußgeld darstellen soll. Grund der Ungleichbehandlung: Nationalität und Aufenthaltsdauer des Radfahrers.
Wie der ADFC schon sagt, kann das nicht richtig sein und wäre so auch sicherlich nie vereinbart worden, wenn es tatsächlich eine "wesentliche" Verkehrsgefährdung darstellen würde, wenn man mit nur einer Bremse fährt. Im Umkehrschluss dürften Nichtdeutsche ja den Verkehr wesentlich gefährden. Auch hieraus wird klar, dass die zweite Bremse keine Notwendigkeit im Alltag sein kann, sondern nur im Notfall zur Verfügung stehen sollte.
Und zudem ist ja eine zweite Bremse durch die Gegentriebbremse vorhanden.
Man muss also schon 1. die Bremse nicht anerkennen und 2. diese auch noch für notwendig halten, damit keine wesentliche Verkehrsgefährdung vorliegt und diese Logik verbunden mit dem Nichtdeutschen-Zusatz ist eben null nachvollziehbar.
Somit hätte ich dann mit einem Verwarngeld von 10-20 Euro oder Freispruch gerechnet.
Na ja, viel verschenkte Zeit von mir, dem Richter, dem Staatsanwalt, dem Ordnungsamt und unnötige Kosten für den Staat.
Jetzt trage ich das Schreiben zur Einstellung des Verfahrens u.s.w. in meinem Handy mit mir rum und zeige es gerne jedem Polizisten, der meint mich noch einmal anhalten zu müssen und beim nächsten mal, das schwöre ich, erfolgt der Widerspruch per Niederschrift!
Dürfen sich die Polizisten mal schön 2 Stunden an die Maschine setzen und tippen!
Hat mich auch viel Zeit gekostet.
Vielleicht hilft es ja dem einen oder anderen...