Dann will ich doch auch mal....
Engadin Radmarathon 2012, 8.7.2012
Nachdem ich letztes Jahr das Alpenbrevet mitgefahren bin (nein, nicht die Platintour, mir genügte die Goldtour...), suchte ich im Winter eine ähnliche Herausforderung in den Alpen. Es sollte unbedingt in den Bergen sein, da ich dies als besonderen Genuß, aber auch als besondere Aufgabe ansehe. Meine Wahl fiel auf den Engadin Radmarathon, zum einen, weil die Gegend wunderschön ist, zum anderen sind Rennen in der Schweiz sehr gut organisiert.
Völlig klar war auch, dass nur die lange Strecke die richtige Wahl sein kann, 211km und 3830 Höhenmeter sollten es schon sein...
Auch klar war, dass ich meiner Freundin nicht erzählen kann, dass "Finishen" das Ziel sei. Erstens hat sie 2011 selbst gesehen, dass ich solche Rennen durchhalte und zweitens wollte ich mich ja auch steigern. Daher habe ich dann anhand des Streckenprofils nachgerechnet und -wenn alles normal läuft- sollte ich, bei entsprechendem Fitnesszustand unter 9 Stunden ins Ziel kommen können.
Am Tag vor dem Rennen kamen wir dann in der Schweiz im wunderschönen Pontresina an: Ich mit 5600km und 51.000Höhenmetern Vorbereitung in den Beinen, meine Freundin mit Unverständnis, aber einer großen Portion Loyalität für mich und meine Verrücktheit.
Die Startnummer war schnell abgeholt, die Nudeln waren zu hart, die Soße dazu war erträglich. Insgesamt keine tolle Stimmung am Abend vor dem Start, also lieber ins Hotel und früh ins Bett.
Mit dem Hotel war vereinbart, dass ich um 5 Uhr ein Frühstück bekomme und das klappte auch. Der starke Kaffee sorgte dafür, dass ich wach wurde und rechtzeitig konnte die Fahrt zum Start in Zernez losgehen.
Es war schon recht frisch am Morgen, aber dennoch erträglich... Wenn man sich, wie ich, der meist friert auf dem Rad bei unter 20°, sowohl ein Langarmshirt als auch Armlinge anzieht.
Um 6:45 stand ich in meinem Block (3) und wartete auf den Start. Als dieser dann erfolgte, wartete ich weiter, denn bis Block 3 dann losfahren kann, dauert es einige lange Minuten. Wie dumm, dann wird es wohl echt schwer an die Spitzengruppe Anschluß zu finden! Blödsinn, da gehöre ich ja nicht mehr hin, wenn ich bei den "Masters" starten muss in meinem biblischen Alter.
Aus Zernez raus ging es dann fast direkt in den ersten Anstieg in Richtung Ova Spin. Nicht gerade furchterregend, nur etwa 400 Höhenmeter, aber es geht relativ bald auf 7-8%. Ich versuche, meinen Rhythmús und mein Tempo zu finden, immer schön im richtigen Leistungsbereich zu bleiben. Und siehe da, es läuft gut. Der Tritt ist rund, das Tempo stimmt, das Herz schlägt total gleichmäßig und ich überhole ständig. Und das Seltsame dabei, die die ich überhole schnaufen schon zum großen Teil sehr angestrengt. Viele sind aus Block 2 dabei. Falsch eingeordnet? Egal, ich genieße die Leichtigkeit und versuche, mich zu zügeln, ist ja schließlich ein Marathon.
Durch einen langen Tunnel geht es nach Italien rüber in Richtung Livigno. In dieser Hochebene komme ich in eine große Gruppe, die ordentlich Tempo macht. Ich gebe es zu, ich hänge mich nur hinten rein, aber selbst da muss ich immer wieder sich auftuende Lücken zufahren. Insgesamt ist das so auch nicht wirklich gemütlich, sondern ich muss schon investieren, um dabei zu bleiben.
Ich kann mich später revanchieren, als es aus Livigno rausgeht, führe ich längere Zeit eine große Gruppe an, also nicht nur "gelutscht"!
Wenig später zieht die Steigung auch mal wieder richtig an, es geht hoch zum Forcola di Livigno. Typische Steigungen in den Alpen, also meist 7-8%, kurzzeitig mehr. Auch hier habe ich gute Beine und überhole immer noch weitere Fahrer. Nach einer kurzen Abfahrt kommen wir in die Schlußsteigung des Berninapasses. Hier muss ich schon wesentlich mehr kämpfen, das Tempo nimmt ein wenig ab. Zur Belohnung nutze ich die Labe auf der Passhöhe, fülle meine Flaschen auf, esse etwas, ziehe meine Regenjacke an. Die Regenjacke, weil ich sie immer gern auf Abfahrten nutze als Windschutz und weil dunkle Wolken aus dem Tal aufziehen, in das ich nun abfahren werde. Mir schwant nichts Gutes...
Zurecht, denn es beginnt auf der Abfahrt zu regnen. Der Regen geht in eine Art Wasserfall über....
Mir steht das Wasser in den Schuhen, die Gischt der Vorderleute spritzt ins Gesicht, so macht das keinen Spass.
Der Engadin Radmarathon hat die Eigenart, dass man quasi eine Acht fährt: Die kleine Runde fahren alle gemeinsam (97km) und im Start-/Zielort Zernez kann man rechts ins Ziel abbiegen oder links auf den zweiten Teil gehen und nochmal 114 km und rund 2400 Höhenmeter draufpacken.
Auf der Fahrt nun nach Zernez überlege ich hin und her, ob ich nicht in Anbetracht des Wetters lieber nach der kleinen Runde aussteige.
Mein Ehrgeiz siegt, auch wenn mich die Aussicht auf Passabfahrten auf regennasser Fahrbahn ziemlich abschreckt. Aber wofür habe ich trainiert? Wofür Intervalle am Berg, Tempofahrten, Grundlagentraining auf dem Crosser? Nein, in Zernez ist mir klar: Weiter geht´s!
Doof nur, dass ich nun die letzten 30km in einem Expresszug mitgefahren bin. Die Gruppe, in der ich fuhr raste mit 45 bis 50km/h durch den Regen in Richtung Zernez, was richtig Körner kostete. Dann war ich der einzige, der nicht ins Ziel fuhr....
Also gut, erstmal verpflegen, denn das war nun bisher ein 30er Schnitt auf knapp 100km mit 1400 Höhenmetern.
Wenig später fuhr ich in den Flüelapass hinein. Auf der Strecke waren nur noch sehr wenige andere Fahrer. Wie ich später fesstellte, wollten weniger als 300 der 1500 Teilnehmer unter den regnerischen Bedingungen auf die lange Strecke, sonst ist es eher mehr als die Hälfte.
Warmduscher...!
Ich fühlte mich eigentlich relativ gut und fuhr mal optimistisch in den Berg hinein. Auf der Hinfahrt am Vortag hatte ich den Pass schon gesehen und er kam mir nicht sehr anspruchsvoll vor. Fehler....! Nach einem Drittel merkte ich, dass ich mir bisher zuviel zugemutet hatte und musste Tempo rausnehmen. Tröstlich dennoch, dass keiner von hinten kam und ich mich langsam nach vorne an einige andere Teilnehmer heranarbeitete.
Allerdings sehr langsam...
Meine Idee war ursprünglich, solche Zustände erst am letzten Berg, dem Albula zuzulassen, aber es half nichts. Ich war auf dem ersten Teil zu schnell gefahren. Dort war ich schließlich auch nur eine halbe Stunde nach dem Sieger der 97km-Runde in Zernez.
Ich fuhr also schon sehr häufig auf dem größten Ritzel und stampfte den Berg hoch. Es ging, ich kam oben an. Verpflegen, kurz mit meiner Freundin sprechen, die mit dem Auto dort war und es ging in die Abfahrt.
Wenigstens war nun die Sonne wieder rausgekommen und die Fahrbahn wurde immer trockener.
In der Abfahrt hatte ich plötzlich einen anderen Fahrer am Hinterrad bis hinein nach Davos. Es sollte nun ein lägeres, flacheres Stück folgen in Richtung Albulapass und ich hatte keine Lust, die ganze Zeit nur Windschatten zu spenden. Der Mitfahrer folgte meiner Aufforderung zu führen jedoch sofort und in der Folge wechselten wir uns ab und schlugen ein richtig gutes Tempo an. Moritz, so hieß der Kollege, hatte was drauf und wir kamen gut voran.
Über eine kurze Steigung und einen kleinen Ort erreichten wir die letzte Labe vor dem Albulapass.
Offen gestanden war mir nun klar, dass ich ziemlich platt war und die Aussicht auf den langen Anstieg mit den letzten 1300 Höhenmetern gefiel mir nicht. Nochmal richtig verpflegen und wieder in den
Sattel.
Moritz folgte mir wenig später, holte mich ein und fuhr mir davon...
Irgendwie konnte und wollte ich nicht das Tempo mitgehen. Viel Erfolg Moritz!
Ich suchte meinen Rhythmus, pfiff auf meinen Tacho und tatsächlich, in der moderaten Steigung von 3-4% fand ich ein gutes Tempo. Erstaunlich, bald kam Moritz in Sichtweite und 5 andere Fahrer ebenfalls. Aha, ich bin wohl nicht als einziger fertig!
Gaaaanz langsam kam ich näher an die anderen heran, dabei nahm mein Erschöpfungsgrad aber zusehends zu. Letztlich erreichte ich die Gruppe in einem Abschnitt mit 9-10% Steigung und ich beschloss, einfach mit ihnen mitzufahren, nicht den Versuch zu machen, zu überholen, denn das wäre einfach lächerlich gewesen. Ich hatte nicht mehr drauf als sie. Wir waren alle müde.Das merkte man wunderbar, wenn man sah, wie grotesk langsam wir den Berg hochfuhren. Teilweise hatte ich nur 9km/h auf dem Tacho und selbst dann wechselte ich immer wieder mal in den Wiegetritt, um die Belastung einfach mal zu verändern.
Es stellte sich auf wieder das Phänomen ein, dass meine Herzfrequenz für die gefühlte Belastung nun einfach zu niedrig war und auch nicht mehr wirklich hoch ging, selbst wenn ich mal ein wenig anzog. Ich hatte das schon 2011 am letzten Berg des Alpenbrevets erfahren. Wahrscheinlich war nun die Erschöpfung schon zu gross und der Körper schaltet für sich einen Gang zurück. Aber treten ging immer noch, wenn auch ich mich wie eine alter Diesel fühlte.
Irgendwann sah ich meine Freundin am Wegesrand und ich hielt an. Da ich wusste, dass sie zu dieser Stelle über den Pass gefahren ist, fragte ich, wie weit es noch sei. Die Antwort "ist schon noch ein Stück" war weder befriedigend, noch das was ich hören wollte. Schöner wäre gewesen: "Siehst du die Kurve da vorn? Direkt dahinter ist die Passhöhe!" Aber das sagte sie nicht.... Ich wollte aber jetzt das "Stück" hinter mich bringen und fuhr weiter. Tatsächlich konnte ich auf den letzten Kilometern (ja, es waren noch 3-4km...) noch mal ein wenig mehr Tempo machen und kam schliesslich oben auf dem Albula an. Regenjacke an, keine Verpflegung mehr, direkt in die Abfahrt, denn ich wurde mir bewußt, dass ich gut in der Zeit lag. Die <9h waren drin!
Also Tempo!
Doch am Ende kamen nochmal fast 20km eher flaches Gelände im Tal. Zum Glück wehte ein kräftiger Rückenwind und ich überschlug im Kopf, dass selbst bei Tempo 30-35km/h die Uhr unter 9 Stunden stehen bleiben wird.
Plötzlich überholten mich drei Kollegen, zwei von ihnen waren in der Gruppe, mit der ich den größten Teil des Albula hochgefahren war. Ich überlegte nicht lang und ging mit. Sch....! Doch wieder Tempo machen, denn die Jungs hatten es nun eilig. Wieder 40, 45, 50km/h, Führungswechsel. Laktat in den müden Beinen....
Eine wahnsinnige Fahrt auf den letzten Kilometern, aber auch richtig geil!
Im Ziel haben wir uns gegenseitig gedankt und beglückwünscht und ich hatte noch ein paar Minuten rausgeholt und schliesslich mit 8:38h Fahrtzeit das Ziel erreicht und damit auch mein persönliches Ziel.
War eine sehr schöne Fahrt, trotz der Quälerei am Albula, aber Dank Moritz und all den anderen, die mich mitzogen und motivierten.