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Sonntag, 28.08.2011 - Ötztaler Radmarathon
Dankeschön
Im Nachhinein fallen mir noch ein paar Sachen ein, wie die beschlagene Brille in der Abfahrt nach Oetz... oder war sie gar schon gefroren? Ich weiß nur, dass ich zwischenzeitlich das Gefühl hatte, gar nichts mehr zu sehen.
Und die schmerzenden Handgelenke in der Abfahrt vom Jaufen. Meine Unterlenkerposition ist ziemlich unergonomisch, wenn ich mich aufrichten muss, wie man es ja nun einmal bei Kehren beim Anbremsen macht.
War echt übel auf Dauer. Und die Hände vom Lenker nehmen, wird ein wenig zu gefährlich.
Sonntag, 28.08.2011 - Ötztaler Radmarathon
5 Uhr
Der Alarm des Handys geht los. Ich glaube, ich bin schon gute 30 mins wach und wälze mich. Naja was solls. Aufstehen angesagt. Ich bin eigentlich sofort hellwach. Ich kann mich an andere Wettkämpfe erinnern, wo ich die Nacht vorher deutlich schlechter und vor allem kürzer geschlafen habe.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigt die Wetterprognose der letzten Tage: wolkenloser Himmel. Am Tag zuvor gab es mit Dauerregen und Hagel allerdings einen kräftigen Temperatursturz, der an den Pässen zu Schneefall führte. Ich mache das Fenster kurz auf, um es sofort nach einem kräftigen angewiderten Stöhnen wieder zu schließen. Der Schnee auf dem Timmelsjoch ist immernoch da.
"Bei solchen Temperaturen fahre ich doch kein Fahrrad!"
Sei es drum. Also Frühstück machen... Müsli... eigentlich bin ich absolut kein Fan davon. Es hat sich aber schon bei den letzten Wettkämpfen und Trainingsausfahrten als guter Einstieg erwiesen. Also reinschaufeln...
Ich will eigentlich erst 6 Uhr runter zum Start rollen. Wir wohnen etwa 100hm über dem Ort... ziemlich direkt über der BP Tanke, wo der Start stattfinden soll. Ich bin um 5:30 Uhr komplett fertig angezogen und kann es nicht erwarten. Ich werde hibbelig und beschließe doch schon loszufahren. Als ich in die Garage komme und das Fahrrad vom Halter nehme, merke ich schon das Unheil.
Platten im Hinterrad... Tolle Teewurst. Also wird nochmal ein Schlauchwechsel am frühen Morgen durchgeführt.
Pünktlich um 6 geht es dann doch los. Ich beschließe hart zu sein und nur die Windjacke anzuziehen. Schließlich soll es heute ein schöner und warmer Tag werden. Bis zum Start ziehe ich mir lediglich noch meine Übergangsjacke an, die ich dann meiner Frau geben werde.
Ich rolle also runter und ich fange eigentlich sofort an zu frieren. Die Finger werden auf der Stelle eiskalt (mein Computer wird mir kurz vor dem Start und auch danach eine Temperatur von 2°C anzeigen). Fest in dem Glauben, es seien 6°C, bin ich trotzdem guter Dinge.
Was folgt sind endloses Warten bei Kälte. Massen von Radlern. Ich kenne es ja schon von den Bildern, aber das es so eng ist, hätte ich nicht gedacht. Man kommt nicht mal mehr ansatzweise nach hinten durch. Ich wollte eigentlich möglichst weit hinten starten, um gar nicht erst in die Versuchung des überpacens am Start zu kommen... sei es drum. Muss ich eben hier bei dem Dixi Klo starten
Meine Frau und Kind finden mich Gott sei Dank etwa 5 mins vor dem Start.
"Bumm" - Der erste Block startet... Es vergehen gute 5-7mins bis es endlich bei mir losgeht.
Jacke aus, noch ein paar Knutscher für die Lieben und los geht es.
Es ist kalt... ich habe bereits nach 5 mins das Gefühl mir faulen die Finger ab. Bleibe im Windschatten, um nicht zu sehr auszukühlen.
Gott sei Dank sind wenigstens die Füße (dank Überschuhe) und der Körper warm.
Richtung Oetz geht es ewig bergab. Zwischendurch kurze Flachpassagen. Hinter Laengenfeld ("Was?? Erst jetzt in Laengenfeld!!! Oh Gott... Lass mich bitte nicht erfrieren!") als die Temperaturen endlich etwas zu steigen scheinen, geht es direkt in ein dickes Nebelfeld. Sicht vielleicht 50m. Die Verkehrsinseln sind bestens abgesichert. Ein Feuerwehrauto steht mit Blaulicht davor, also nicht zu übersehen. Trotzdem gibt es auf Grund der Verzögerung einen Zieharmonika-Effekt. Ich muss kräftig in die Bremsen greifen, um meinen Vordermann nicht draufzubrettern: "Kann der nicht etwas sanfter verzögern?", denke ich mir und fahre schnell an ihm vorbei. Der Nebel verzieht sich.
Weiter bergab. Es wird kurvig. Alle verhalten sich sehr diszipliniert. Ich bin echt überrascht wie beruhigt alle fahren. Sicherlich kommen ab und zu mal links welche durchgezogen, aber alles im normalen Rahmen. In den Kurven halten alle sauber die Spur.
Ich muss pinkeln... mir ist kalt. Ich zittere. Das Fahrrad flattert... Scheisse.. wieso musste ich blos kurz losfahren? Schließlich gibt es doch nen Wäscheservice!!! Gna! Kalt! Blase drückt! Halte durch. Nur bis Oetz, dann gehts bergauf und dir wird warm!
Die Temperaturen steigen langsam, die Sonne geht immer weiter auf. In Oetz erreicht das Thermometer etwa 8°C. Immernoch Ar...kalt aber deutlich angenehmer als am Start.
Viele fahren rechts raus, um sich vor dem Kühtai auszuziehen. Ich beschließe bis kurz vor dem Kreisverkehr zu warten. So nun erstmal Wasser lassen!
Die Jacke und die Überschuhe bleiben an! Es ist viel zu kalt um kurz fahren.
Rein in den Anstieg. Es ist voll. Der von vielen beschriebene Stau bleib aber Gott sei Dank aus. Allerdings muss ich mich an das Tempo anpassen. Somit habe ich zunächst das Gefühl viel zu langsam zu sein. Im Nachhinein war es genau richtig so. Der Puls steigt langsam auf die 160 und bleibt dort. Als ich in der Woche das Timmelsjoch hochgefahren bin, war ich eigentliche permanent an die 170 und fand es eigentlich in Ordnung. Nun muss ich mich eben beugen und denke, besser so, als am Ende wieder zu überziehen.
Ruhe kehrt ein. Die ganze Straße voller Radfahrer und alles ist ruhig. Lediglich die Zuschauer am Straßenrand machen Stimmung. Der Computer zeigt 12%. Ich bin überrascht wie leicht es geht. Einige keuchen schon ganz schön. Langsam zieht sich das Feld, sodass man überholen kann.
Die ersten Serpentinen. Kühe mitten in der Kehre. Eine steht auf und läuft einfach mal drauf los und mitten rein in die Meute. Erste willkommene Abwechslung, die die Stimmung weiter aufheitert.
Die Auffahrt ist eigentlich ziemlich atemberaubend. Man fährt praktisch in den Sonnenaufgang in schneegepuderte Landschaft. Es geht alles ziemlich schnell. In der ersten Senke nehme ich vorsichtshalber den ersten Riegel. Es folgen Flachstücke, wieder 10% usw. Irgendwie bin ich der Meinung noch ein Gel nehmen zu müssen. Als die letzten ganz steilen Rampen (laut Ausschreibung 16%) kommen, sehe auch schon zwei Kollegen vom Team Alpecin. Ich werde sie noch öfter zu Gesicht bekommen.
Der Pass ist schon erreicht. Ich bin echt überrascht wie schnell das ging und wie gut ich mich fühle. Ich erhasche einen Blick auf meine Flaschen und überlege, ob ich die Labe auslasse. Allerdings habe ich mir fest vorgenommen, jede Station mitzunehmen. Also fülle ich schnell die Wasserflaschen auf und nehme im Losfahren noch eine Banane mit.
Ab gehts in die Abfahrt. Hammer! Ewig breite Straßen! Alle sind wieder sehr diszipliniert. Man kann ohne Probleme überholen ohne Angst zu haben, dass einer zickzack fährt. Es pfeift ordentlich um die Ohren. Endlich bin ich etwas allein. Ich kann die Kurven voll ausfahren. Es macht riesigen Spaß! In der 16% Rampe erreiche ich den Topspeed von 93km/h. Gleichzeitig bin ich am zittern wie bekloppt. Es ist immernoch recht kühl mit knappen 12°C.
Einfahrt nach Kematen. Ab jetzt geht es flach nach Innsbruck. Ich lasse kurz den Blick schweifen und bin überwältigt. Was für ein Panorama! Und ich bin wirklich dabei!
Zügig geht es vorran. Wir sind ein etwa 20 Mann starke Gruppe. Plötzlich merke ich aber, dass der Autoverkehr hier frei Fahrt hat. Bei einer Straßengabelung möchte der von rechts kommende Autofahrer auf die linke Spur. Wir wollen von links kommend auf die rechte. Ich sehe, dass er nervös ist. Ich fahre direkt nach rechts hinter ihm. Er bremst und hält an. Ich muss wieder ordentlich ziehen, um nicht hinten drauf zu fahren. Die Gruppe ist erstmal weg. Ich rase hinterher. Flachpassagen sollten ja eigentlich meine Spezialität sein. Es gelingt mir auch erst wieder ranzukommen. Allerdings merke ich auf einmal dieses schwere Gefühl in den Oberschenkeln. Nein bitte nicht jetzt schon! Die Beine werden schwer. Fühlen sich übersäuert an. Ich beschließe jetzt trotz moderater Steigung von gerade mal 3% ganz easy zu fahren. Schließlich mache ich nochmal eine Pinkelpause.
Weiter gehts. Mehrere Gruppen überholen mich. Schließlich hänge ich mich nochmal in eine rein. Ich komme ins Gespräch mit einem älteren Herren der Salzburger Feuerwehr. Ich frage, wie weit es noch ist. Er weiß es nicht. Er fährt auch das erste mal. Bei einer Welle, merke ich das die Beine zu machen. Ich lasse abreißen und beschließe jetzt mein eigenes Tempo zu fahren. Es ist irgendwie sehr langsam. Die Landschaft ist atemberaubend. Bei der Europabrücke hört man ein lautes kreischen. Eine junge Dame hat sich soeben im Bunshee Jumping versucht. Ein Schmunzeln geht durch die Gruppe, die an mir vorbeifährt.
Ich kann es nicht fassen, dass es jetzt schon so schwer geht... Ich schaue auf die Uhr und merke, dass ich schon gute 4 Stunden unterwegs bin. Plötzlich realisiere ich, dass ich seit dem Kühtai auch nichts mehr gegessen habe. Und schon macht sich der Kollege weiter unten mit einem großen Grummeln bemerkbar. Voller Panik schiebe ich mir einen Riegel rein.
Jetzt die 12% Rampen. Ich merke wieder meinen Vorteil. Bei meinem 62kg Kampfgewicht überhole ich wieder viele.
Die Labe. Gott sei Dank! Ich hänge das Bike ein und beschließe jetzt erstmal ausgiebig zu pausieren. Banane, Käsebrot, Red Bull. Hinsetzen, Sonne tanken. Ich beschließe nun doch endlich mal die Überschuhe auszuziehen. Mittlwerweile hat es gute 20°C.
Ab gehts in die Abfahrt. Wieder sehr schön. Schön breite Straßen! Man kann die Kehren wieder voll ausfahren.
Ankunft in Sterzing. Es geht durch ein paar Felder, anschließend ein paar Kreisverkehre und dann ist auch schon die Auffahrt zum Jaufen da. Ich fahre kurz rechts ran, um mich nun auch der Windjacke zu entledigen.
Die Auffahrt zum Jaufen ist wirklich schön. Allerdings merke ich schnell, dass hier die Kopftaktik sich von Flachstück zu Flachstück zu hangeln nicht funktioniert. Es sind permanent 7-8%. Es gibt nicht mal in den Kehren wirkliche Verschnaufpausen. Also heißt es ab jetzt kämpfen. Durch die 34/28 Übersetzung ist der leichteste Gang eh schnell aufgelegt. Trotzdem ertappe ich mich das ein ums andere mal, wie ich am rechten Schalthebel drücke, ob nicht doch noch ein Ritzel da ist. Das erste mal beneide ich andere Fahrer um ihr 32er Ritzel. Dafür überhole ich wieder munter. Ich komme bald mit diversen Fahrern ins Gespräch, weil ich wissen möchte, wieviel Höhenmeter es noch sind. Aber irgendwie weiß es niemand so richtig. Ich stampfe. Ab der Hälfte merke ich plötzlich, wie sich im rechten Knie ein Ziehen über die Kniescheibe ankündigt. Ich kriege wieder Panik.
Vor knapp zwei Jahren hatte ich das im linken Knie. Damals hatte ich nen verkürzten Oberschenkelmuskel. Es bedeutete eigentlich das aus nach knapp 50km, weil das Ziehen irgendwann unerträglich wurden.
Ich beiße mir auf die Zähne. Reibe am Knie um Wärme reinzubringen. Ziehe die Kniescheibe hoch. Und wieder eine Kehre. Wieder Ziehen. Es hilft nichts. Da muss ich jetzt durch.
Die 2000m Marke wird überschritten. Die Labestation kommt in Sicht. Ich fange mittlerweile tierisch an zu schnaufen und merke die Anstrengungen des Tages.
Ich bin heilfroh die Labestation erreicht zu haben. Ich hänge wieder das Rad ein und lasse mich erstmal auf die Liege fallen! Nochmal schnell pinkeln. Und wieder essen. Beine dehnen. Das Knie zieht ganz schön...
Ich beschließe wieder länger zu bleiben.
Mittlerweile habe ich auch einen ordentlichen Muskelkater in den Pobacken!
Als ich losfahre muss ich erstmal kräftig aufstöhnen vor Schmerz. Die Muskeln sind kalt.
Eine junge Dame reicht Kuchen am Wegesrand. Ich nehme ein Stück. Es schmeckt eigentlich ech gut, aber es ist irgendwie zu trocken. Und irgendwie habe ich das Gefühl nichts Süßes mehr essen zu wollen. Dieses Gefühl wird sich später noch zum Problem entwickeln.
Die Passhöhe wird erreicht. Ich freue mich nur noch auf die Abfahrt!
Es geht rasant bergab. Ziemlich schnell wird klar, dass das hier etwas kniffliger ist. Hunderte von Längsrillen, dazu eine sehr viel schmalere Straße und sehr kurvenreich.
Ein Österreicher schießt an mir vorbei. Ich beschließe mich dranzuhängen. Gemeinsam jagen wir wie blöde den Pass runter. In den Kehren komme ich ziemlich nah ran und muss aufpassen, dass ich ihn nicht absäge. Das gefällt mir. Zügig aber trotzdem sicher!
Wir überholen wieder viele.
Es wird wärmer. Noch während der Abfahrt merke ich, wie ich unter der Windjacke schwitze.
In St.Leonhard angekommen, bedanke ich mich bei meinem Mitfahrer und entledige mich der Windjacke.
Nun kommt es also. Das Timmelsjoch. Der Schafrichter! Ich werde ziemlich bald merken, warum es diesen Namen hat.
Die ersten Tritte fallen wieder sehr schwer. Das Knie. Der Po. Die Hitze (Temperatur laut Computer ca. 30-32°C) Ich beschließe trotz noch humaner Steigung von 4-6% nichts anbrennen zu lassen und schalte sofort in den ersten Gang.
Es zieht sich. Ich nehme ein Gel. Das Knie schmerzt mit jedem Tritt mehr. Zu allem Überfluss merke ich wie meine Waden langsam zumachen wollen. Plötzlich der Ort, wo meine Püppi zwei Tage zuvor das Auto vollgekotzt hat, weil ich zu rasant durch die Kurven geflogen bin. Wir sind nach Meran gefahren und somit habe ich den Aufstieg auf der italienischen Seite schonmal kennengelernt. Dies führt jetzt allerdings dazu, dass ich in starke Zweifel verfalle. Zum ersten mal habe ich wirklich das Gefühl es nicht zu schaffen.
Mir schießen hunderte Gedanken durch den Kopf. Ich muss an meine Frau und Kind im Ziel denken. "Du willst doch heute ankommen und sie umarmen!" Mir schießen plötzlich die Tränen in die Augen. Ich muss mich zusammenreißen, nicht völlig zusammenzubrechen.
Ich versuche eine neue Taktik. "Du... kommst... heute... ins... Ziel", sage ich mir. Immer im Rythmus zum schweren Tritt. Ich weiß nicht mehr wie lange ich das gemacht habe. Es war eine gefühlte Ewigkeit.
Irgendwie funktioniert es. Ich komme vorran. Die kleine Station überfahre ich und nehme lediglich die Nektarine mit. Es sorgt für Ablenkung.
Das Knie schmerzt höllisch. Allerdings merke ich das ich meinen Rythmus finde und die Waden wieder aufmachen. Ich bin jetzt überzeugt es schaffen zu können. Ich bekomme wieder extreme Emotionen und muss mich zusammenreißen. Schließlich muss ich immernoch Luft holen!
Eine Wasserstation. Ich beschließe wieder aufzufüllen und bei der Gelegenheit nochmal Wasser zu lassen. Der erneute Antritt bescheert mir wieder heftige Schmerzen in allen Muskeln.
Irgendwann ist dann Gasthof Schönau erreicht. Der Blick in diese Wand ist echt hart. Aber wie gesagt, ich kannte es ja schon. Insofern war es vielleicht gar nicht mal so schlecht, dass wir den Pass mit dem Auto schon hoch sind.
Ich mache wieder ausgiebig Pause. Als ich das Rad eingehängt habe und unter der Stange durch will, muss ich fast aufschreien. Mein A.... tut dermaßen weh, das ich kaum wieder hochkomme.
Ich schiebe mir derweil noch einen Riegel rein. Ich merke, dass ich das süße Zeug nicht mehr Essen kann. Ich schmeiße die restliche Hälfte weg. Ich schiebe mir nochmal ein Käsebrot rein. Plötzlich habe ich das Gefühl mich übergeben zu müssen. Durch Ablenkung vermeide ich es noch. Ich kriege die Krise! Ausgerechnet jetzt versagt auch noch mein Magen... Ich suche mir nochmal ein Colabecher und kippe ihn runter. Ich fühle mich total gesättigt und überfüllt von dem bisschen.
Weiter gehts. Zunächst wieder flach und dann steil in die Wand hinein. Ab hier spielen sich Szenen ab. Man sieht immer mehr Fahrer die schieben. Eine Frau hat anscheinend Schmerzen im Fuß. Sie läuft in ihren Radsocken!
Es sind hier immerhin nur noch 16 oder 17°C.
Die Stücke zwischen den Kehren werden endlos. Ich muss mich zusammenreißen. Die Schmerzen im Knie werden wieder heftiger. Langsam wird die 2000m Marke erreicht. Die ersten Kehren werden genommen. Ich überhole am laufenden Bande. "Ich möchte jetzt auch nen 32er Ritzel", denke ich mir und stampfe weiter. Ich treffe den Salzburger wieder, klopfe ihm auf die Schulter und fahre weiter. Der Rythmus ist da, aber es zieht sich und zieht sich. Die Atmung fällt schwerer.
Die Getränkestation ist erreicht. Ich halte nur kurz an und versuche den Red Bull runter zu bekommen. Und weiter.
Plötzlich sehe ich die Kehre mit den zerissenen Trikots. Ich kann mich erinnern, dass in der letzten Kehre vor dem Tunnel auch Trikots hingen und bin total froh, dass es gleich vorbei sein muss. Als ich dort ankomme, werde ich aber eines besseren belehrt! Es sind weitere quälende Meter bis zum Pass. Der Puls sinkt nun teilweise in den Ausdauerbereich, obwohl ich weiterhin tief und schwer atme. Die Lunge fängt an zu brennen. Ich lasse den Blick schweifen ... unglaublich. Ich entdeckte den Gasthof Schönau und kann es kaum glauben, dass ich von da unten gekommen bin. Straßenmalereinen verraten, dass es nicht mehr weit ist.
Ich komme kurz ins Gespräch mit einem Mitstreiter aus Landeck.
"Auf diese Sch..... habe ich mich gefreut, es ist unglaublich", sage ich zu ihm. "Kannst du mir mal verraten wie man sich auf sowas freuen kann???" Er lacht. Ich sage weiter: "Ich weiß jetzt schon, dass ich im Winter auf der Rolle sitzen werden und vom Ötztaler träumen werde". Er grinst wieder und stimmt mir zu.
Plötzlich sehe ich das Ende. Der Tunnel ist in Sicht. Die letzte steile Rampe, ca. 10-11%, man muss echt beißen. Ich biege in den Tunnel ab... es wird flach 3% irgendwann ganz flach. Ich drehe mich kurz um... keiner da.
Ich kann den Emotionen jetzt nichts mehr entgegensetzen. Ich muss heulen wie ein Schlosshund. Ich versuche es wenigstens nicht ganz so laut zu machen. Es ist totenstill. Nur das Plätschern der Wassertropfen und das surren der Kette ist zu hören. Am Ausgang sehe ich zwei Radler pausieren. Da ich noch mit mir beschäftigt bin, setze ich mir schnell die Sonnenbrille auf, um ein wenig meine Tränen zu verbärgen.
Der Kumpane aus Landeck kommt wieder an mir vorbei und klopft mir auf die Schultern.
Wir haben es geschafft. Die letzten kurzen 6% und der Messpunkt ist erreicht.
Ich gehe sofort in die Abfahrt. Die 11 Stunden sind noch drin.
Ich fahre wie zuvor. Schnell und trotzdem vorsichtig. Am Blitzer werden knappe 88 km/h erreicht. Die Kühe sind weit und breit nicht zu sehen. Nur die Schafe stehen im Gegenanstieg zur Mautstation.
Die letzten 200 Höhenmeter. Ich trete rein, wieder erster Gang. Plötzlich merke ich dass jetzt die Oberschenkel endgültig zumachen wollen. Ich klage mein Leid. Massiere. Ich erreiche die Kurve. Es ist echt hart. Ein Passant sieht es und sagt: "Komm, Quäl dich! Noch 300m, dann hast du es geschafft". Ich muss schmunzeln... und es geht wirklich einfacher.
Angekommen. Durch die Mautstation. Ich habe es geschafft! Ich muss mich zusammenreißen nicht wieder in Tränen auszubrechen.
Schnell durch und runter Richtung Sölden!
Auf der Abfahrt überhole ich wieder, nur um auf den kurzen Flachpassagen wieder alle passieren zu lassen. Ich habe keine Körner mehr mich in den Windschatten zu hängen.
In Sölden angekommen beflügelt mich die Zieleuphorie. Ich vergesse jeglichen Schmerz. Ich gebe Vollgas und biege nach rechts ab...
Im Ziel... Ich bin völlig platt. Ich irre zunächst etwas rum und suche meine Frau und Püppi. Sie kommen auf mich zu. Ich falle ihr in die Arme und muss Freudentränen vergießen...
11:07... knapp die 11 Stunden verpasst. Egal, ich bin durchgekommen. Das muss mir erstmal einer nachmachen.
Das war es. Das war mein Traum.
Es lässt sich schwer erklären was einem durch den Kopf geht und was man dort leidet. Man muss es selbst erlebt haben.
Als Flachlandtiroler aus dem Berliner Raum habe ich mir Gedanken gemacht, wie man sowas trainieren kann... ich denke, man kann es nicht! Im Gegenwind simulieren ist eine Möglichkeit, aber kein wirklicher Ersatz. Man muss einfach den Biss entwickeln und bereit sein sich wirklich zu quälen!
Zu guter Letzt: Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!
... Die Warterei am Start war kaum auszuhalten. Zwischen den ganzen Carbonrahmen und rasierten Beinen war mir mein versifftes Lenkerband schon ein bisschen peinlich...
Sie zog sich und zog sich und die Flachstücke saugten mir den letzten Saft aus den Beinen.