Weil das Thema "nachhaltiges Verkehrsmittel" von einigen Interviewten angesprochen wurde: Auch wenn viele die im Hobby "voll drin sind" (und vor allem die Hersteller!) das nur ungern hören wollen, aber was dem Fahrradmarkt bei uns ganz gut täte, wäre eine Ausbau des niedrigpreisigen Marktsegments.
In den letzten Jahren ist es durch Fahrradboom, Verknappung, Umstellung auf E-Bikes, Lastenräder als Zweit-PKW-Ersatz, Förderungen, und schlussendlich die Inflation dazu gekommen, dass Fahrräder bei uns zwar in toller Handwerksqualität hergestellt werden, sich preislich aber in absoluten Mondsphären bewegen. Alltagsräder für über 1.000 €, gut ausgestattete Modelle um 2.000 € aufwärts, Lastenmodelle ab 5.000 €, und bei Karbonrennern natürlich der (vorher schon übliche) nach oben komplett offene Rahmen.
In anderen Ländern (auch hochpreisigen – bspw. Niederlande, Japan) gibt es hingegen absolut vernünftige Alltagsräder mit drei Gängen zum Neupreis schon ab 80 €. Klar, Chinaware ohne hochwertige Komponenten, aber trotzdem für die "große Masse" für mehrere Jahre absolut fahrbar. Dort ist das Fahrrad daher auch mehr das, was sich bei uns so viele wünschen würden: ein Alltagsverkehrsmittel, das von der Großmutter bis zum Anzugträger von der überwiegenden Mehrheit ohne groß nachzudenken genutzt wird, nicht weil es cool oder spaßig ist, sondern einfach weil es Sinn macht (billig, flexibel, schnell). Bei uns überwiegt hingegen als Typ gefühlt der Hobby- und der "bewusste" Radler: das Fahrrad und die Fähigkeit, gesund/nachhaltig zu leben als Statussymbol und Klassenmerkmal; Leute die es sich leisten können, mehrere Radmodelle besitzen, die Kinder mit dem tollen Lastenrad in den ökologisch vorbildlichen Kindergarten bringen, etc. Aber wo sind die Bauarbeiter am Fahrrad, die Verkäuferin aus dem Einzelhandel, die Pflegefachkraft? In Japan zB Standard, bei uns hingegen eine seltsame Vorstellung. Warum eigentlich?
Wobei man auch sagen muss: Für die lokalen Fahrradhersteller ist die erste Gruppe natürlich die bessere Kundschaft: kaufkräftig, informiert, bereit, für ein Rad das auszugeben was ein gebrauchter Klein-PKW kostet. Klar, dass die Hersteller über die letzten Jahre alle das große Fressen gewittert haben und diese Welle reiten wollen solange es geht, aber dabei dann gleichzeitig davon zu reden, dass es doch schön wäre wenn bei uns allgemein mehr Leute mit dem Rad fahren würden, halte ich für scheinheilig. Dafür bräuchte es eine ganz andere Modellpalette und einen anderen Zugang zum Konsumobjekt Fahrrad. Nicht als Statusobjekt, sondern als Vernunftgegenstand.
Meine Vermutung ist, dass sich kleinere Hersteller auch weiterhin auf hochpreisige Modelle konzentrieren können werden, denn die Schicht, die jetzt schon die Kaufkraft für Luxusmodelle hat, wird das auch in Zukunft haben. Aber größere Hersteller die ihre Absatzzahlen auch in Zukunft halten bzw. ausbauen wollen, werden nicht umhin kommen, sich mit anderen Käuferschichten auseinanderzusetzen und im unteren Bereich auszubauen, gerne auch unter Ausnutzung des positiven gesellschaftlichen Schwungs, den das Thema in den letzten paar Jahren erfahren hat. Dabei kann es gern nett gemacht und muss nicht ramschig sein wie Supermarkt-Fahrradmodelle aus den 90ern; Handarbeit aus der Hipstermanufaktur wirds aber vermutlich nicht mehr spielen.
Profitieren würden wir alle: der Massenhersteller durch Absatz, und die Konsumenten endlich durch das Erreichen einer wirklichen "kritischen Masse", die den Ausbau von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen für Radfahrer im großen Stil nicht mehr ignorierbar macht; nicht mehr Klientelpolitik, sondern Mehrheitsanliegen. Darum würde uns, bei aller Liebe zum Fahrrad und so paradox es klingt, eines ganz gut tun: ein größeres Angebot an gnadenlos billigen, unaufgeregten Alltagsprodukten. Damit das Fahrrad endlich allgegenwärtig wird.