Man sollte nicht annehmen, dass sich keiner einen Mutantenstadl anschauen würde. Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber in den 90ern, als sich Pantani und Armstrong Bergaufsprintduelle lieferten, das war doch ein Spektakel und die Leute haben sich das angesehen!
Das Kriterium der Natürlichkeit der erbrachten Leistungen ist für viele Menschen nicht entscheidend. Auch ohne Doping sind die erbrachten Leistungen so unerreichbar für den Durchschnittsbürger, sodass etwas mehr Differenz nicht ins Gewicht fällt. Es geht um die Show, Brot und Spiele.
Damals war keineswegs klar, in welchem Ausmaß gedopt wurde, man hat es geahnt, aber nicht im Detail gewusst. Es ist durchaus zu bezweifeln, dass sich Zuschauer in gleicher Zahl und mit gleicher Begeisterung wie damals solche Duelle mit dem heutigen Infostand ansehen würden. Allein aus der Tatsache, dass sich jemand solch einen „Mutantenstadl“ ansieht, kann man außerdem auch noch nicht folgern, dass er sich mit dem Sport identifiziert. Die Frage ist nicht, wieviele Leute aus Sensationsgier an der Straße stehen, sondern was das für wirtschaftliche Folgen für den Sport hat, wenn alle davon ausgehen, dass es nur noch um Show geht. In den letzten 10 Jahren ist sehr deutlich geworden, dass der Doping-Ruf des Radsports die wirtschaftliche Basis des Sports erheblich gefähredet hat. Selbst wenn Leute am Straßenrand stehen und sich den „Mutantenstadl“ ansehen, heißt das nämlich nicht, dass sich diese „Mutanten“ noch als Sympathieträger für Produkte oder für den Imagetransfer zugunsten von Sponsoren eignen. Angesehen wurde der „Mutantenstadl „ ohnehin vorwiegend bei der Tour, weil dort andere "Gesetze" herrschen. Die Tour ist französisches Kulturgut bei dem "auch Radgefahren" wird. Das ist mit der Situation bei anderen Rennen nicht zu vergleichen. Viele Veranstaltungen leiden unter deutlich weniger Zuschauerzuspruch und selbst große Eintagesrennen wie L-B-L sind nach Aussage von JCL heute wirtschaftlich nicht mehr rentabel und hängen am wirtschaftlichen Tropf der ASO.
Nicht ohne Grund sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe von durchaus bedeutenden Rennen verschwunden und Teams nach erfolgloser Sponsorensuche aufgelöst worden. Der Radsport befindet sich hier in einem Wettbewerb um Sponsorengelder und Medienpräsenz und nicht zuletzt angesichts der Wirtschaftskrise in einigen der klassischen Radsportländer haben es sich potenzielle Geldgeber sehr genau überlegt, ob sie Sponsorengelder in einen Sport stecken, der für den Sponsor mit Image-Risiken behaftet ist - trotz der Zuschauerspaliere bei der Tour.
Der Radsport ist von seiner Historie her sehr früh kommerzialisiert worden, was auch die Doping-Praxis erklärt, es ging ganz schlicht ums Geld und das ist auch das Selbstverständnis der Fahrer. (Jeder kennt das so symbolische Zitat „Wir sind keine Sportler, wir sind Profis“, das entweder Altig oder Anquetil zugerechnet wird.) Mit dem Aufkommen von Epo usw. hat sich aber die „Geschäftsgrundlage“ dramatisch verändert. Doping wurde von einem Randbereich der Leistungsoptimierung zu einem den Wettbewerb dominierenden Faktor und das war auch für die Öffentlichkeit irgendwann sichtbar. Eine Geschäftsmodell, das primär die Show in den Vordergrund stellt und den Radsport in die Nähe von Wrestling und Bodybuilding stellt ist aber offensichtlich nicht tragfähig. Das ist keine moralische, sondern eine rein wirtschaftliche Frage.