Winkler Rauch Fahrrad-Technik, Rezension
In den letzten Monaten habe ich in alten "Radfahren" Zeitschriften geblättert. Es ist mir ein um's andere Mal aufgefallen, wie intensiv Winkler und Rauchs "Fahrrad-Technik" über all die Jahre beworben wurde.
Kürzlich bin ich auf eine englische Buch-Renzension in
Bike Tech Vol I No 1, June 1982 Seite 11 gestoßen. Autor ist
John S Allen, früher technischer Redakteur beim Bicycling Magazine, heute Webmaster der Sheldon Brown Seite.
Ebenso interessant ist der darauf folgende Leserbrief von
Hans E. Lessing.
Der beschreibt, das Standard Werk von Winkler und Rauch ginge zurück auf ein Buch aus 1962 von Ernst Hartz, welches wiederum ein gesammelter Nachdruck von Beilagen zur Zeitschrift "Radmarkt" aus den Jahren 1960/61 war.
Ich habe mir Ernst Hartz' Buch von 1962 besorgt und stichprobenartig ein paar Artikel mit dem Winkler Rauch verglichen. Lessing hat recht. Winkler und Rauch haben von damals bereits 20 Jahre altem Material abgeschrieben, allenfalls ein wenig umformuliert und sogar Grafiken übernommen.
Insbesondere habe ich mir den Text über die Lastverteilung der Speichen eines Laufrades angesehen, weil der Abschnitt des Buches ganz einfach falsche Annahmen beinhaltete. Der Abschnitt ist nicht nur abgeschrieben von Ernst Hartz 1962 sondern auch unverändert falsch bis mindestens 1996 erneut so aufgelegt worden (9. Auflage), obwohl schon 1-2 Jahre nach der Erstauflage von Winkler/Rauch klar war, das deren eigener Text wohl nicht so ganz korrekt war.
John S Allens Rezension habe ich mit Hilfe von Deepl übersetzt. Sehr interessant und deckt sich garnicht mit den Werbeaussagen über da Buch "Fahrrad-Technik"... In meinen Augen ist das ein ziemlich höflicher formulierter Verriss.
BOOK REVIEW Fahrradtechnik: Eine sehr deutsche Herangehensweise an die Fahrradtechnik John S. Allen
Fahrradtechnik: Konstruktion, Fertigung, Instandsetzung (Bicycle Engineering Design, Fabrication, Assembly and Adjustment; von Siegfried Rauch und Fritz Winkler. (Bielefelder Verlagsanstalt KG), Bielefeld, Bundesrepublik Deutschland, 1980) 306 Seiten, 263 Abbildungen.
Dieses Buch gehört in das Regal eines jeden, der sich aktiv mit den im Titel genannten Themen beschäftigt. Die vielen Abbildungen vermitteln auch dann einen hohen Informationsgehalt, wenn man der deutschen Sprache nicht mächtig ist: Wenn Sie mehr Informationen wünschen, verwenden Sie die Abbildungen als Inhaltsverzeichnis und suchen Sie sich eine deutschsprachige Person zum Übersetzen.
Beide Autoren haben als Ingenieure bei großen Fahrradherstellern in Deutschland und Holland gearbeitet. Der Schwerpunkt des Buches spiegelt ihre Erfahrungen wider. Der dritte Teil des Buches über Materialien, Konstruktionsüberlegungen und Techniken im Zusammenhang mit der Massenproduktion von Fahrradrahmen ist recht gründlich, aber die anderen zwei Drittel über Komponenten sind weniger vollständig.
Das Buch fasst viele Informationen zusammen, die normalerweise nur in allgemeinen technischen Handbüchern zu finden sind, und bezieht sie auf Fahrräder: Tabellen mit verschiedenen Stahlsorten und ihren Zusammensetzungen und Eigenschaften; ein Blick auf die Geometrie und die Spannungsverhältnisse bei Schweiß- und Lötverbindungen sowie eine Übersicht über Schweiß- und Lötmaterialien und -techniken. Das Buch enthält viele technische Zeichnungen mit Abmessungen von Rahmen und Rahmenteilen, die direkt aus den Konstruktionsabteilungen der großen deutschen Fahrradhersteller stammen. Soweit ich weiß, sind solche Zeichnungen nirgendwo sonst öffentlich zugänglich. Sie geben einen unvergleichlichen Einblick in die Konstruktionsentscheidungen der großen Fahrradhersteller und in den Herstellungsprozess.
Die Autoren verfügen über ein ausgeprägtes Verständnis von Materialwissenschaft und Fertigungstechnologie. Diese Stärke wird durch die Erörterung von Rahmen und der Herstellung von Lenkern, Vorbauten, maschinell gefertigten Rädern und einigen anderen Fahrradteilen deutlich. Die gegenwärtige und zukünftige Verwendung von Kunststoffen und anderen synthetischen Materialien im Fahrradbau wird ausführlich, aber mit der gebotenen Vorsicht diskutiert.
Leider ist die Diskussion der Autoren über Fahrradkomponenten nicht so gründlich und sorgfältig wie die Behandlung der Rahmen. Dies ist jedoch ein so umfangreiches Thema, dass es nicht ohne ein separates Buch gründlich behandelt werden kann. Es gibt viele theoretische Diskussionen über Komponenten, die einige interessante Einblicke bieten. So zeigen die Autoren beispielsweise, wie die Reibung zwischen benachbarten Kugeln in einem vollrolligen Kugellager mehr Verschleiß und Reibung verursacht als in einem Lager mit Käfig.
Allerdings wiederholen die Autoren auch viele altbekannte Mythen. So behaupten sie beispielsweise, dass geriffelte Felgen bei Nässe besser bremsen, dass Felgen unter Gewichtsbelastung oval werden und dass normale Seitenzugbremsen die Felge zur Seite drücken, während dies bei der nockengesteuerten Weinmann "Synchron" nicht der Fall ist. Die Autoren scheinen nicht mehr auf dem neuesten Stand der Forschung zu sein und versäumen es manchmal, ihre Aussagen im Lichte grundlegender mechanischer Prinzipien zu überprüfen.
Nichtsdestotrotz gibt es hier eine Menge nützliches Material. Obwohl die Abbildungen im Komponententeil meist aus den Ersatzteilkatalogen der Hersteller kopiert sind, geben sie einen umfassenden Überblick über verschiedene Konstruktionskonzepte und Marken. Wo sonst kann man eine Explosionszeichnung eines Union-Dynamos sehen, ohne seinen eigenen Dynamo zu zerstören?
Als Amerikaner, der dieses Buch liest, muss ich mich zu seinem europäischen, insbesondere deutschen Ansatz äußern. Allein die Idee eines umfassenden Buches für die Öffentlichkeit über die Theorie und Praxis der Herstellung eines kommerziellen Produkts ist etwas sehr Deutsches, was mir gefällt. Es besteht die ernsthafte Motivation, Informationen zur Verfügung zu stellen, sie mit Theorie zu untermauern und sie für diejenigen zu strukturieren, die sie nützlich finden könnten. Vergleichen Sie das mit dem engstirnigen, auf Geschäftsgeheimnisse fixierten Ansatz, der in der amerikanischen Industrie nur allzu häufig anzutreffen ist!
Die europäische Perspektive wird auch in der Übersicht über die Fahrradtypen am Anfang des Buches deutlich. Die Beschreibung der deutschen Fahrradtypen verdeutlicht die Unterschiede in der Entwicklung der Fahrradstile zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Der durchschnittliche deutsche Radfahrer fährt immer noch ein Fahrrad, das dem Raleigh Tourist sehr ähnlich ist, das sogenannte "Tourenrad". In ansteigenden Stufen der Modernität gibt es das „Sportrad“ - wie das Raleigh Sports, mehr oder weniger, aber manchmal mit Kettenschaltung; das „Sport-Rennrad“, wie unser gewöhnliches mehrgängiges Fahrrad mit Drahtreifen; und das „Rennrad“ (reines Rennrad). Die Autoren definieren diese Kategorien scharf nach Rahmengeometrie und Komponenten. Unterschiede in der Geometrie zwischen einem Alltagsrad und einem beladenen Reiserad werden jedoch nicht erwähnt.
Die meisten erwachsenen deutschen Radfahrer fahren immer noch das Tourenrad oder das Sportrad für die robuste, schweißtreibende Fortbewegung auf ihren Kopfsteinpflasterstraßen. Im Gegensatz dazu haben sich in den Vereinigten Staaten die Fahrer von den leichten Ein-Gang-Fahrrädern der 1890er Jahre über die Motorradimitate für Kinder in den Jahrzehnten, in denen nur Kinder fuhren, bis hin zu den leichten Mehrgang-Fahrrädern von heute entwickelt.
Leichte, mehrgängige Fahrräder werden von den Autoren von Fahrradtechnik offensichtlich immer noch als etwas Exotisches angesehen. Die Autoren erwähnen mehrmals, dass eine normale Fahrradgeschwindigkeit 15 km/h beträgt. Dreimal im Buch geben sie an, dass die ideale Trittfrequenz zwischen 40 und 60 U/min liegt! Eines dieser Male findet sich auf den letzten drei Seiten des Buches, die sich offensichtlich nachträglich mit dem Thema Rennsport befassen (die Zeichnungen auf diesen Seiten sind nicht nummeriert, was unter anderem darauf hindeutet). Es stimmt, dass 40 bis 60 Umdrehungen pro Minute die effizienteste Trittfrequenz für sehr langsame Geschwindigkeiten auf einem Tourenrad sind - aber bei weitem nicht die beste für schnelles Fahren. Die Autoren scheinen in einem sehr deutschen und kommerziellen Elfenbeinturm zu leben. Wenn sie überhaupt Fahrrad fahren, müssen sie Tourenräder fahren.
Ich habe es schon einmal gesagt: Viele Fahrraddesigner fahren nicht Fahrrad! (Siehe Bicycling magazine, Mai 1982, S. 146.) Ebenfalls bemerkenswert europäisch (und kommerziell) ist der Blick der Autoren auf neue Entwicklungen. Sie erwähnen hier zwar alle neuen Produkte der großen Welthersteller - die Shimano-Freilaufnabe, die neuen Dreigang-Nabenschaltungen von Sachs, die in Massenproduktion hergestellten Kettler-Fahrräder mit Aluminiumrahmen (Touren-, Sport- und Sport-Rennräder). Außerhalb des Bereichs der Werkstoffkunde gibt es in dem Buch jedoch wenig über wirklich neue technische Entwicklungen. Insbesondere fehlt die Erwähnung von Entwicklungen aus den Vereinigten Staaten, wie z. B. abgedichtete Naben, Klein-Rahmen, Fat-Tire-Multi-Speed-Räder (übrigens gut auf Kopfsteinpflaster), Liegeraddesign und -rennen oder Sportphysiologie. Es gibt ein paar Seiten über BMX, aber auch hier ist der Blickwinkel von außen nach innen gerichtet.
Am Ende des Buches findet sich eine Liste der Firmen, die Informationen beigesteuert haben, die im Buch verwendet wurden, sowie eine weitere Liste der Hersteller der erwähnten Produkte. Dann folgen 23 Seiten mit Werbung für Fahrräder und Fahrradzubehör. Keine Bibliographie und kein Index. Dies unterstreicht noch einmal, dass das Buch aus Unternehmens- und nicht aus akademischen Quellen zusammengestellt wurde.
Abgesehen von den technischen Informationen, die es enthält, ist dieses Buch wichtig, weil es sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Sichtweise der Fahrradingenieure aufzeigt. Der Dialog zwischen den Fahrradingenieuren der großen Hersteller auf der einen Seite und den Fahrradfahrern und Akademikern auf der anderen Seite ist zu kurz gekommen. Dieses Buch ist ein willkommener Beitrag zu diesem Dialog.
Leserbrief Bike Tech, Vol. 2 No. 1 Feb. 1983, Seite 15
Über Fahrradtechnik
Ich möchte ein Postskriptum zu John S. Allens Rezension von Fahrradtechnik (Bike Tech Juni 1982) anbieten. Allen hat eine interessante Bemerkung darüber gemacht, dass Ingenieure [die Autoren] offensichtlich nicht Fahrrad fahren; ich kann dies und einige andere Eigenheiten des Buches erklären.
Tatsächlich geht Fahradtechnik auf einen echten Fahrradingenieur zurück, den verstorbenen Ernst Hartz, der die Originalversion 1962 schrieb, trotz der damals geringen Wertschätzung des Fahrrads in Deutschland. Das Buch ist vergriffen und war einige Jahre lang ein Sammlerstück, bis der jüngste Fahrradboom kam. Der Verlag (der auch die langjährige Fachzeitschrift Radmarkt herausgibt, die sich vor allem an den Fachhandel wendet) sah sich dann genötigt, etwas zu tun, um das Wissen der Händler auf den neuesten Stand zu bringen. (Ein Grund dafür war mein Fahrradbuch von 1978, das dem Fahrradkäufer mehr Informationen gab, als der durchschnittliche Händler hatte.) Leider beauftragte der Verlag zwei pensionierte Motorradingenieure, Rauch und Winkler, mit der Überarbeitung des Hartz-Buches. Während sie eine enorme Anzahl von technischen Zeichnungen (darunter zwei aus meinem Buch) zusammenstellten, ließen sie einige Teile des ursprünglichen Buches im Wesentlichen unverändert (z. B. die veralteten Absätze über Rahmenbelastungen und über die Lenkung) - ohne auch nur einen Hinweis auf Hartz zu geben!
Das Buch richtete sich zunächst an den Einzelhändler, der auch als Zweiradmechaniker-Meister Lehrlinge für ihre Prüfungen unterrichten sollte. Erst nachdem die erste Auflage der überarbeiteten Fassung verkauft worden war, beschloss der Verlag, ein Kapitel über die Instandhaltung hinzuzufügen, um die zweite Auflage auch an die breite Öffentlichkeit zu verkaufen. Das Buch wird die Ansicht vieler Hersteller, dass Fahrradtechnik nichts anderes als Fertigungstechnik ist, aufrechterhalten.
Prof. Dr. Hans E. Lessing
Universität Ulm
Ulm, Westdeutschland