Tag 3:
5 Minuten vor dem Wecker werde ich wach.
Während ich Frühstücke und Tee zum mitnehmen mit ordentlich viel Zucker mache kommt jemand an die Tür.
Der Koreaner den der Gastwirt angekündigt hatte.
Er ist total fertig mit der Welt und fragt nach der Rezeption.
Es ist 04:15 Uhr morgens.
Der Gastwirt pennt.
Ich sage Ihm dass es keine Rezeption gibt. Aber ich zeige Ihm das Bad, das Frühstücksbuffet, und sage Ihm dass ich nicht wüsste wo „sein“ Zimmer wäre, aber meins ist ja jetzt Frei.
Der bedankt sich bei mir, isst noch schnell 'was und legt sich direkt in das Bett in dem ich geschlafen habe. Nur die Radschuhe zieht er noch aus.
Ich bin mir sicher, dass der es nicht mehr vor Kontrollschluss nach Loudéac schaffen wird - aber wenn der jetzt nicht schlafen geht fällt er mir auf den nächsten 34 km bis Loudéac vom Rad.
Ich schnappe noch 'was Fertig-Gebäck vom Buffet und tue es in meine Lenkertasche.
Ich bin schon draussen, kann aber die Tür von draussen nicht abschließen, da kommt ein Russe an und guckt von draussen durch's Fenster in den beleuchteten Innenraum.
Ich frage Ihn ob er reserviert hat.
Nein, hat er nicht. Er will auch nicht schlafen aber: „I am Empty of Food“
OK - da kann man Abhilfe schaffen.
Ich gebe Ihm das Gebäck aus meiner Lenkertasche, meine zwei letzten Pellkartoffeln, ein Snickers von mir und mache noch seine Flasche mit heißem Wasser aus dem Wasserhahn in der Küche voll. Die Nacht ist mit 8°C doch recht frisch.
Er fährt wieder los - wahrscheinlich um noch rechtzeitig an der Kontrolle in Loudéac zu sein.
Ich gehe nochmal 'rein - nehme nochmal 2 abgepackte „Pain au Chocolat“ ein paar abgepackte Crèpes und Madeleines sowie 2 Pfirsische vom Buffet und tue sie in meine Tasche.
Gegen 04:30 bin ich Unterwegs.
Wenige km später habe ich den Russen eingeholt.
Ich gebe Ihm noch zu Essen und er guckt mich an, als sei ich der Weihnachtsmann.
Ich bin Frisch & Fit, er kann mein Tempo bei weitem nicht halten. Und das obwohl ich hier verhalten fahren muss, denn es geht im Dunkeln viel durch den Wald auf teilweise einspurigen Straßen mit fragwürdigem Belag und ohne weiße Fahrbahnmarkierung.
Um 05:58 komme ich nach 34 km in Loudéac zum ausgiebigen Frühstück an.
½ Stunde und ich bin wieder auf dem Rad.
Am Ortsausgang Loudéac muss ich noch 'mal Wasser lassen. Als ich damit fertig bin sehe ich dass von hinten eine Truppe angerauscht kommt. Acht Belgier, alles eine Mannschaft. Drei von denen kenne ich von meinen Teilnahmen an Brevets in Belgien. Ich reihe mich in den belgischen Kreisel ein und nach 3:10 Stunden haben wir die 92 km nach Tinténiac „abgefrühstückt“.
Ab diesem Teilstück bin ich voll mit Endorphinen bis in die Haarspitzen - ich glaube ich kann fliegen.
In Tenténiac verliere ich nicht viel Zeit.
Nachdem ich so etwa 20 km Unterwegs bin habe ich bereits eine stattliche Zahl von anderen Kollegen hinter mir versammelt. 15 - 20 Mann werde es sein.
Ich rechne nicht mehr damit, dass von hinten noch gute Gruppen kommen wo ich mich reinhängen könnte; denn ich bin in einer der letzten Gruppen gestartet, ich habe 2 x 5 Stunden geschlafen und die wirklich guten Fahrer müssten fast alle vor mir sein.
Also fahre ich mein Ding.
Da sehe ich Roy. Ich lade Ihn herzlich ein, sich in „meine“ Gruppe als „VIP Member“ rein zu hängen. Der lässt sich das nicht zweimal sagen...
So rollen wir flach nach Fougères rein.
2 km vor der Kontrolle gehe ich 'raus um einen Supermarkt zu stürmen.
1 L Apfelsaft & 1 Flasche Mineralwasser zum anmischen in den Flaschen und teilweise um sofort zu trinken. Dann noch 2 Bananen & 1 große Tüte Haribo für Unterwegs.
In der Kontrolle gehe ich wieder richtig Mittag essen. Roy rollt schon 'mal langsam los um zurück in den Rhythmus zu kommen und sagt „du sammelst mich sowieso gleich wieder ein“.
Abgemacht.
Kaum aus Fougères 'raus habe ich ihn dann wieder. Auch habe ich wieder eine Menge anderer Fahrer im Schlepptau. In wechselnder Besetzung ziehe ich meist 15 - 20 Kollegen hinter mir her.
Damit habe ich keine Probleme. Ich habe davon profitiert bei den Österreichern und Belgiern mitfahren zu dürfen, jetzt können halt 'mal andere von meiner Arbeit im Wind profitieren.
Es geht noch etwa 60 km relativ flach bevor es ~ 20 km vor Villaines wieder hügeliger wird.
„Meine“ Gruppe ist nur auf der Überholspur. Es kommt niemand mehr von hinten.
Viele der Leute die wir überholen fahren nicht mehr „rund“.
Ich warte noch auf Roy an einer „privaten“ Verpflegung dass er noch 'was Wasser kriegt und nutze die Zeit für ein Foto:
Weiter geht’s.
Bevor es richtig Hügelig wird sagt er mir, dass er gleich abreissen lassen wird. Er ist nach eigener Einschätzung bereits „über seinen Möglichkeiten“.
Ein paar kleinere Wellen noch nehme ich darauf Rücksicht und achte darauf, dass er dran bleiben kann.
Am ersten größeren Anstieg vor Villaines bleibt dann keiner von der Truppe mehr dran.
Ich fahre an jemandem vorbei, der auf dem Boden liegt. Aber da sind bereits Leute, die sich offensichtlich um Ihn kümmern. Er ist in Thermofolie eingewickelt und ein anderer winkt die Leute durch, dass man weiter fahren solle damit es sich hier nicht staut und nicht noch mehr passiert.
Im Nachhinein vermute ich, dass muss der Chinese gewesen sein um den sich Roy gekümmert hat.
Jetzt lasse ich wieder laufen und fahre 100%ig mein Ding.
Ich fliege wieder mit 10 Mann im Schlepptau um 17:07 nach Villaines 'rein und genieße die Party und den Jubel der vielen Zuschauer.
Es ist zwar noch früh - viel früher als geplant - aber Abendessen geht schon.
17:50 Uhr geht’s weiter.
Kurz hinter Villaines durchbricht man die 1000-km Schallmauer:
Ich habe zwischen Villaines und Mortagne-en-Perche in Forlay ein günstiges Hotel gebucht und vorbezahlt.
Da fahre ich dran vorbei. Es ist noch so früh, es ist Hell, es ist warm, der Wind steht günstig und es läuft grad so gut.
Dann verfällt das Hotel halt - egal. Ausserdem bekomme ich dann weniger Probleme morgen früh vor Kontrollschloss in Mortagne zu sein.
In Mortagne soll es einen Schlafsaal geben.
Auf dem Weg kurz vor Mortagne steht eine Griechin und hat 'nen Platten, aber keinen
Schlauch mehr.
Aber ich habe noch den von Giant übrig. Sie will mir 10 Euro geben aber davon will ich nix wissen.
In Mortagne komme ich noch an bevor es ganz dunkel ist.
Ein Snack essen, Schlafsaal kostet 3 Euro, Dusche 1 Euro.
Die Helfer fragen mich, ob sie mich in 2 - 3 Stunden wecken sollen.
Das scheint so üblich zu sein.
Nein, sollen sie nicht, sie sollen mich gar nicht wecken. Die sollen mich schlafen lassen so lange ich das für nötig halte. Ich bin mehr als komfortabel in der Zeit.
Ich bitte um einen Platz am hinteren Ende wo nicht so viel los ist.
Um 22:00 liege ich auf der Matte unter der Decke, frisch geduscht und mit einer sauberen Unterhose und Unterhemd. In den Nächten vorher in den Hotels konnte ich naggich schlafen.
Ohrenstöpsel in die Ohren, weil das ist nicht nur ein Schlafsaal, sondern auch ein Schnarchsaal. Dann noch die Augenmaske und ich schlafe ohne Wecker ein.