Die Sellaronda mit dem klassischen Rennrad
Die Idee
Nachdem ich mir im Winter 2016/17 ein 1987er Rickert Spezial neu aufgebaut habe, war es diesen Sommer an der Zeit, nach einer sportlichen Herausforderung für Mensch und Maschine zu suchen. Meine Wahl fiel dabei auf die bekannte Sellaronda („Sellarunde“), da sie versprach, gleich vier Pässe in der schönsten Alpenregion zu einer Tour zu verbinden. Außerdem sind Höhenmeter, Steigung und Streckenlänge dabei noch moderat.
Die Strecke
Die Tour ist eine Runde um das Sellamassiv in den italienischen Dolomiten. Bekannt geworden ist sie ursprünglich als Skirunde. Im Sommer dagegen ist sie mittlerweile auch bei uns Radfahrern äußerst beliebt. Die Landschaft ist beeindruckend und es müssen vier Pässe bezwungen werden: Der Campolongopass („Passo Campolongo“, 1875m), das Poroijoch („Passo Pordio“, 2239m, bekannt vom Giro d´Italia), das Sellajoch („Passo Sella“, 2018m) und das Grödner Joch („Passo Gardena“, 2121m). Daraus ergibt sich, dass die komplette Strecke eigentlich nur aus vier Anstiegen und vier Abfahrten besteht. Lediglich bei der Fahrt zum Grödner Joch kommt eine kurze Flachpassage dazwischen.
Die Länge beträgt nach verschiedenen Angaben im Internet ca. 55km. Dabei sind etwa 1750 Höhenmeter zu bewältigen. Dummerweise hat mein GPS (aufgrund eines Bediehnungsfehlers) aus unerfindlichen Gründen die Strecke nicht komplett aufgezeichnet und ich kann somit keine zuverlässigen eigenen Daten einstellen.
Ausgangspunkt meiner Tour war der Parkplatz am Pralongia-Lift zwischen Corvara und dem Campolongo-Pass. Gefahren bin ich dann im Uhrzeigersinn. Zuerst ging es also nicht allzu steil zum niedrigsten und unspektakulärsten Pass. Vorsichtig warmfahren kann man hier aber trotzdem vergessen und mein Puls ist sofort in die Höhe gesprungen. Oben angekommen führt die Route dann auch gleich weiter ins Tal hinab nach Arabba. Von dort geht es anschließend hinauf zum Poroijoch. Dies ist der längste Anstieg der Runde, wobei die Steigung allerdings noch moderat bleibt. Trotzdem war ich ganz schön aus der Puste, als ich nach gut 55min die Auffahrt bezwungen hatte. Auf dem Pass steht, neben anderem, das Denkmal für Fausto Copi. Ich habe also eine Italienerin überredet, ein Bild vom Denkmal, meinem Rad und mir zu machen bevor ich nach zwei Energieriegeln auf die Abfahrt ging. Das Teilstück zwischen Arabba und dem Abzeig zum Sella Joch (SS/SR48) ist übrigens das von Rennradfahrern am stärksten frequentierte Teilstück. Danach wurden es deutlich weniger. Ab der Zweigung von der SS48 begann dann der steilste Anstieg des Tages hinauf zum Sella Joch. Diese etwa 5,5km haben es wirklich in sich. In 40min habe ich mich hochgequält. Tief schnaufend bin ich also oben angekommen, habe die obligatorischen Bilder gemacht und auch wieder jemanden gefunden, der mich mit meinem Rickert ablichtete. Weiter ging es talwärts bis zum Abzweig Grödner Joch. Der Weg von hier hinauf ist nicht mehr so lang und auch nicht mehr so Steil wie zum Sella Joch. Dazwischen liegt sogar eine ca. 2km lange Flachpassage. Auch auf dem Grödner Joch gab es natürlich wieder Bilder+Energieriegel, denn das Tagesziel war schon fast erreicht. Es folgte die wohl schönste Abfahrt bis hinab nach Corvara, wo zum Schluß der wiederum recht Steile Aufstieg zum Ausgangspunkt wartete. Dabei zeigte mein Pulsmesser schon bedenkliche Werte, was wohl auch daran lag, das ich übermütig wurde und dachte, ich müsse eine Gruppe italienischer Rennradler überholen. So weit ist es dann aber nicht mehr gekommen, den ich hatte den Parkplatz am Lift recht schnell wieder erreicht.
Infrastruktur
Die Rundstrecke führt ausnamslos über asphaltierte Straßen in ordentlichem, wenn auch nicht hervorragendem Zustand. Gerade bei Passabfahrten sollte man deshalb immer mit Frostrissen und Schlaglöchern rechnen.
Ansonsten ist man bestens versorgt. Drei der vier Pässe sind touristisch erschlossen und man bekommt alles, von der Brotzeit bis zum Souvenier. Dazu ist man sowohl in Arabba als auch Corvara zu hundert Prozent auf Bergsport eingestellt. Und da in Italien Rennradfahren Volkssport ist, kommt man sich nie fehl am Platz vor und alleine ist man mit seinem Rad sowieso nirgends. Historische Räder sind allerdings die absolute Ausnahme. Außer meinem Youngtimer habe ich kein einziges altes Eisen den ganzen Tag gesehen. Hier fährt man mit modernem High-Tech-Material.
Im übrigen muss man sich die Straßen natürlich mit vielen Autos und Motorrädern teilen. Bis auf wenige Ausnahmen (Zuffenhausener Zweisitzer mit deutschen Kennzeichen) nimmt man dabei trotzdem Rücksicht aufeinander.
Technik
Die Runde sollte für kein ordentliches Rennrad eine Herausforderung darstellen. Für ein Rickert sowieso nicht. Mit dem Rahmen aus Raynolds 531 ist es schön stabil und hat nirgends geflext oder ist mir irgendwie weich vergekommen.
Gleiches gilt für die restliche Ausstattung aus
Shimano Dura Ace 7400 Komponenten (7-Fach UG). Es ist eher erschreckend, wie gut diese Teile auch nach 30 Jahren noch funktionieren. Indiziertes Schalten ist übrigens kein überflüssiger Luxus (Ich habe immerhin viermal vom ersten in den letzten und wieder zurück schalten müssen;-).
Einschränkungen: Bei meinem Klassiker haben sich dann doch zwei Dinge als technisch Überholt herauskristallisiert. Der größte Nachteil ist dabei die Übersetzung. Im Jahr 1987 waren 50/39 vorne und 13-26 hinten schon eine ausgesprochene Bergübersetzung. Heute tut man sich da schon richtig schwer damit. Dazu sollte ich anmerken, dass ich diese „Bergübersetzung“ in meiner bayrisch schwäbischen Heimat dazu benutze, ganz modern immer um die 85 Umdrehung pro Minute zu kurbeln. Da es hier ja nur Hügel und kurze Anstiege gibt, ist das auch gar kein Problem. Auf der Tour bin ich allerdings niemals soweit gekommen, meine Trittfrequenz wie gewohnt zu halten. Absteigen und schieben musste ich natürlich nicht und etliche schlecht trainierte Fahrer auf modernem Material konnte ich auch hinter mir lassen. Trotzdem wäre ich mit einer zeitgemäßen Übersetzung wohl deutlich schneller und komfortabler unterwegs gewesen.
Der zweite Hacken am Vintage-Bike sind natürlich die
Bremsen. Bei mir sind die zeitgerechten
Shimano DA 7400
Bremsen mit 7401 „Aero“-Hebeln montiert und ich weiss genau, wie viel leistungsfähiger die Nachfolgemodelle sind („Dual Pivot“ ab der 7402). Hier waren erhöhte Vorsicht und frühzeitiges
Bremsen angesagt. Bergab Autos jagen habe ich mir deshalb verkniffen...
Bei den Laufrädern war ich dagegen übervorsichtig und bin mit dem Trainingssatz gefahren (DA 7400 Naben mit
Mavic Open Pro CD
Felgen und Conti
Grand Prix Classic
Reifen). Damit gab es keine Probleme. Es spricht aber nichts dagegen, hier seinen schönsten Laufradsatz mit den wirklich guten Schlauchreifen aufzuziehen. Ein typisch bayrischer Radweg ist in wesentlich ungepflegterem Zustand.
Tipps
Auch wenn es mitte August sommerlich warm in den Tälern war, oben ab etwa 2000m wurde es doch recht kühl und zugig. Ich war deshalb froh, dass ich doch noch Regenschutz und eine Windstopper-Weste dabei hatte.
Mitte August ist Hauptreisesaison in Italien, gerade auch für Italiener. Einfach losfahren und dort dann nach einem Hotelzimmer zu suchen war ziemlich naiv, obwohl die Gegend Tourismushochburg ist.
Als Sportler ist man in den Dolomiten übrigens bestens versorgt und bekommt eigentlich alles, was man zuhause vergessen hat.
Fazit
Eine Traumtour in einer traumhaft schönen Alpenregion. Einziger Wehrmutstropfen: Nach 3h13 war der Spass schon wieder vorbei. Ich würde sie jederzeit nochmal fahren. Das ich auf der anderen Seite dann auch die Grenzen des Materials, bzw. den technischen Fortschritt der letzten 30 Jahre praktisch erfahren konnte machte das Ganze nochmals interessanter.