Inwiefern verändert sich das Sozialstaatverständnis? Ich habe das Gefühl die Abwertung von Migranten, Sozialhilfeempfängern usw. ist schon immer da gewesen. Außerdem zeigt sich auch schon sehr lange sehr deutlich, dass sich dieses Milieu stark reproduziert und sich Auswüchse in Subkulturen bilden, wenn das Bildungssystem den Problemstellungen nicht nach kommt. Diese Umstände komplett zu ignorieren (wie es hier scheinbar Lindner tut) kann doch nur auf kompletter Uninformiertheit beruhen (was ich nicht glaube) oder mit ganz bestimmten Absichten zusammen hängen.
Diese Veränderung lässt sich mindestens auf die Schröder-Jahre (Stichwort: Agenda 2010) zurückführen, als der Sozialstaat grundlegend umgebaut wurde. Davon tangiert waren im erheblichen Maße die verschiedenen Sozialen Dienste. Die Entwicklung hin zum sog. aktivierenden Sozialstaat begann. Damit verbunden waren und sind bspw. Sanktionsmechanismen, die "Aktivierung" von Langzeitarbeitslosen usw. usf.
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Wie auch immer, man kann der Auffassung sein, dass solche Maßnahmen notwendig waren/sind (mittlerweile wird die Agenda 2010 ja in konservativen Parteien als richtiger Schritt gewürdigt) oder eine andere Auffassung vertreten. In jedem Fall aber hat sich seitdem die Sicht auf schwache Gruppen verändert und die gesellschaftlich-politische Debatte in dieser Hinsicht eine Zuspitzung erfahren. Nicht von ungefähr wird - m. E. - seit längerer Zeit massiv Stimmung ggü. Transfergeldempfängern erzeugt, die schon historisch gut etablierte Vorurteile über die "Arbeitsfaulen" wieder aktualisiert. Im Übrigen sind wir damit in bester Gesellschaft. Weltweit sind politische Entwicklungen zu beobachten, in denen der Sozialstaat massiv abgebaut wird (bspw. Argentinien).
Vorurteile ggü. Minderheiten, Deklassierten usw. wurden schon immer vertreten. Bedenklich erscheint mir jedoch, dass solche autoritären Positionen - zumindest ist das meine Wahrnehmung für Deutschland - zunehmend in bürgerliche Gruppen vordringen und von etablierten politischen Parteien geteilt werden. Die Massivität, mit der von einigen Akteuren z. B. die Zuwanderung als Schlüssel aller Probleme proklamiert wird, oder die Nonchalance, mit der über Deportationen gesprochen wird, beunruhigen mich - und zwar deutlich mehr als vor 20 Jahren.