Wir reden hier doch über Wahrscheinlichkeiten.
Es gibt keine positiven Tests. Wenn gibt es noch nicht getestete oder nicht testbare Substanzen oder Methoden zur Leistungssteigerung oder neue Wege zur Verschleierung des Einsatzes solcher Mittel.
Mangels positiver Tests kann nur indirekt aus den gezeigten Leistungen abgeleitet werden, ob sie innerhalb der Range des dopingfrei Machbaren liegen.
Dabei sind ja nicht nur die Leistungen des Tourpodiums sondern auch die des gesamten Pelotons zu sehen. Wir haben nicht nur 3 Aliens auf dem Podium, sondern auch Durchschnittsgeschwindigkeiten auf Bergetappen, die jenseits von gut und böse sind.
Teams und unkritische Fans erklären das mit marginal gains oder veränderter Fahrweise: leichte Aeroräder, mehr KH-Aufnahme pro Stunde, besseres und gesamtheitlicheres Management der Ernährung und Erholung, besseres Training, schnelleres Reinfahren in den Berg etc.
Das können aber auch Maskierungen sein, denn wer dopt sollte am besten die Leistungssteigerung mit anderen Ursachen erklären können.
Die Aussagen involvierter Personen sind vollkommen bedeutungslos, die Vergangenheit hat gezeigt, dass auch absolute Sympathieträger ohne mit der Wimper zu zucken jahrelang lügen und manipulieren, und dass das für ein ganzes Team funktionieren kann, vom Star, über Helfer, sportl. Leiter, Teamarzt ...
Was bleibt und zu hinterfragen wäre ist, ob die marginal gains plausibel das aktuelle Leistungsniveau, das über dem der Hardcore EPO-Zeit liegt, erklären können.
Ich persönlich denke, dass das nicht der Fall ist. Wir reden ja nicht von einem Vergleich mit 1950 sondern den 90er und 2000er Jahren.
Sollen wir wirklich glauben, dass das Ernährungsmanagement und die KH-Zufuhr heute soviel besser ist als vor 20, 30 Jahren, dass man also quasi davon ausgehen muss, dass ein Pantani oder Armstrom ihre Leistungen mit Hungerast gefahren sind und erst heute so triviale Dinge wie Zufuhr von Maltose und Zuckerwasser beherrscht werden? Sollen wir glauben, dass die Sportwissenschaft damals noch in den Anfängen war, ein Armstrong stark suboptimal trainierte, obwohl Intervalltraining mit
Powermeter seit 1991 verfügbar war, dass die Verbesserungen bis heute den damaligen, maximal ausgereizten Einsatz von EPO mehr als ausgleichen? Dass die heutigen Aerobikes, die nicht einmal leichter sind als Räder vor 20 Jahren, uphill einen derartigen Vorteil bringen sollen?
Man schaue sich die Entwicklung von Rekorden in der Leichtathletik in der gleichen Periode an, dann wird klar, dass man damals schon so gut und weit war, dass seitherige Verbesserungen trotz massiver Optimierungsbemühungen wirklich nur marginal ausfallen.
Ja, es gibt im Radsport viele kleinere Verbesserungen, aber ich persönlich glaube nicht, dass sie ausreichen, um Sportler sauber die Rekorde der EPO-Zeit brechen zu lassen. Wo sie genannt werden, halte ich sie eher für Maskierungen der tatsächlichen Ursachen.
Daher kann ich nicht anders als annehmen, dass wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wieder in Zeiten eines noch nicht aufgedeckten Dopinghöhepunkts leben.
Die steigenden Gelder, die in den Sport fließen, der wachsende internationale Erfolgsdruck, die Beschäftigung von Personen aus der Zeit des EPO-Dopings, die zunehmende Rolle des Sportwashing und von Sklavenhalter- und Folterstaaten als Sponsoren/Teameigentümer sprechen durchweg nicht gegen diese Annahme.
Sollte man dann sagen: egal, die dopen eh, lass uns das Doping doch freigeben? Sicher nicht, dann hätten wir bald eine wirkliche Mutantenshow. Ein Spannungsfeld zwischen erlaubter und nicht erlaubter Leistungssteigerung im Sport hat es immer gegeben, das gehört dazu.
Aktuell geht dieses Spannungsfeld im Radsport aber mit sehr starken wenn auch indirekten Indizien in die falsche Richtung.
Und der supernette aktuelle Protagonist in dem Spiel? Wenn man davon absieht, dass er für einen der übelsten Sponsoren fährt und in einem Umfeld mit Dopervergangenheit unterwegs ist, bleibt die persönliche Sympathie oder Antipathie.
Persönlich ist mir der ewig grinsende Pogacar eher unsympathisch, er weiß zu genau was das Richtige ist, was jemand in seiner Rolle tun und sagen sollte, um sympathisch rüberzukommen. Seine ultrasympathische Art erscheint mir daher ebenso unecht wie seine Leistungen. Da sind mir Typen mit Ecken und Kanten um einiges lieber.
Sollte er weiter so dominieren, halte ich das für schlecht für den Radsport - ich persönlich würde das Interesse an Rennen verlieren, an denen er teilnimmt.