bigsize
Heavy Metal User
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Ich halte ja nicht damit hinterm Berg, mal mit 140kg Nettogewicht auf dem Rennrad angefangen zu haben. Gelegentlich schreiben mich dann schwere Jungs an und fragen nach dem geeigneten Rennrad und anderen Tips. Um den Austausch mal für alle zugänglich zu machen und um mich korrigieren zu lassen wenn ich bislang Blödsinn geantwortet habe hier mal der Versuch einer Zusammenfassung der Themen.
Ab welchem Gewicht ist man ein „Schwerer Fahrer“?
Die Antwort hängt vom Einsatzzweck ab und unterscheidet sich auch je nach Komponente. Aus meiner Sicht am kritischsten sind die Laufräder. Viele Laufräder, sowohl günstige Einsteigermodelle als auch teure und auf Leichtbau getrimmte, sind schon für Fahrer mit 85kg grenzwertig. Grenzwertig meint, sie können sich unter Belastung verbiegen oder gar dauerhaft verformen (Seiten- und Höhenschlag), Speichen können brechen. Vergleichsweise leichte Rahmenkonstruktionen sind für Fahrer jenseits der 100kg nicht mehr uneingeschränkt zu empfehlen, wohingegen Standardrahmen genügend Reserven auch für deutlich schwerere Fahrer haben sollten. Ab 110kg sollte man auf die gängigen Laufräder verzichten und generell von Leichtbaulösungen am Rennrad eher Abstand nehmen. Bringen einem ja ohnehin nichts!
Welches Rahmenmaterial?
Wie immer die Frage Aluminium oder Carbon (Titan und Stahl sind ja „leider“ bei Einsteigern eher zu vernachlässigen). Grundsätzlich rate ich Einsteigern immer zu Alu. Zum Reinschnuppern bedeutend günstiger, weniger anfällig bei den meist nicht zu vermeidenden Umfallern und kleinen Stürzen und im Zweifelsfall günstig zu ersetzen. Aber auch Carbon dürfte die Belastungen eines schweren Fahrers durchaus aushalten, wobei einige Hersteller explizit Gewichtsbegrenzungen angeben. Für beide Materialien gilt aber: Leichtbau hilft uns nicht weiter!
Welche Laufräder?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Systemlaufrädern (das fertige Laufrad kommt von einem Hersteller geliefert) und klassisch gebauten Laufrädern (Felge, Nabe und Speichen werden individuell auf Fahrer und Einsatzzweck angepasst und vom Fachmann montiert). Die meisten Einsteigerräder haben heutzutage günstige Systemlaufräder montiert. Die üblichen Verdächtigen sind Shimano WH500/501, Shimano RS10, Mavic Aksium, DT Swiss 1900, Easton EA30 oder auch Campagnolo Khamsin (Ergänzungen nehme ich gerne auf!). Die Belastbarkeit dieser Laufräder wird auch im Forum unterschiedlich bewertet. Das hängt vermutlich mit Unterschieden in den Produktionsjahrgängen und der herstellungsbedingten qualitativen Streuung innerhalb eines Laufradmodells zusammen. Von Shimano RS10 und Mavic Aksium wird vergleichsweise häufig berichtet, dass diese Laufräder schon Fahrern deutlich unter 100kg Probleme bereiten (etwa im Wiegetritt). Von Easton werden häufiger Speichenbrüche berichtet. Als vergleichsweise robust auch bei Fahrern um die 110kg gelten hingegen die DT Swiss 1900 und die Campa Khamsin.
Sehr günstige Einsteigerräder verzichten oftmals aus Kostengründen auf Systemlaufräder. Dann werden vom Hersteller des Rades speziell beschaffte Laufräder verbaut, die im Grunde klassisch aufgebaut werden. Basis ist meist eine günstige Nabe (z.B. Shimano 2200) mit einfachen Stahlspeichen und einer Alufelge. Für schwere Fahrer können diese Konstruktionen von Vorteil sein, da deutlich mehr Speichen (32 oder 36) verbaut werden als bei den üblichen Systemlaufrädern und damit eine größere Stabilität erreicht wird. Diese ist allerdings auch von der Verarbeitungs- und der Materialqualität abhängig, und zu beidem ist in Vorfeld meist wenig zu erfahren.
Fahrer mit mehr als 110kg fahren am Besten mit klassisch aufgebauten Laufrädern mit 36 Speichen und einer stabilen Nabe und Felge. Ich selbst schwöre auf einen Laufradsatz mit Ultegranabe und Rigida DP18 Felge. Auch Mavic CXP33 Felgen werden immer wieder gerne genannt. Diese Laufräder sind zwar relativ schwer, halten aber auch einer Baumwurzel oder einem übersehenen Schlagloch stand.
Welche Schaltung?
Kein spezielles Thema für Schwergewichte, deshalb nur kurz: Die im Einsteigersegment dominierende Marke ist weiterhin Shimano. Von Tiagra aufwärts wird wohl niemand die Eignung der Schaltungen in Abrede stellen. Aus meiner Sicht ist auch die Sora eine günstige und voll funktionsfähige Alternative. Ich selbst fahre sie seit Jahren ohne Probleme. Schaltungen von Campagnolo und SRAM sind natürlich vollwertige Alternativen!
Interessanter ist da schon die Frage nach der passenden Übersetzung. Ob ich einen Anstieg hoch komme hängt maßgeblich damit zusammen, ob ich eine für mein Leistungsvermögen geeignete Übersetzung mitbringe. Da das Leistungsvermögen übergewichtiger Fahrer meist suboptimal ist, braucht es also eine wohlüberlegte Übersetzung. Die Übersetzung hängt von der Größe der Kettenblätter (vorne an der Kurbel) und der Größe der Ritzel (hinten am Laufrad) ab. Dabei gilt: Je kleiner das Kettenblatt und je größer das Ritzel, desto einfacher der Gang.
Gerade übergewichtigen Einsteigern wird gerne zu einer Triple-Kurbel geraten (wenngleich diese Alternative in zeiten von 11fach-Schaltungen meist aus dem Programm genommen wurde und nur noch bei Restbeständen, sehr einfachen Einstiegsmodellen und Gebrauchträdern zu finden ist). Es sind also drei statt nur zwei Kettenblätter verbaut. Der hier maßgebliche Vorteil ist, dass dieses dritte Kettenblatt sehr viel kleiner ist (30 Zähne) als bei den alternativen Kompakt-Kurbeln (34 Zähne). Somit sind sehr einfache Übersetzungen möglich. Leider wird dieser Vorteil oft wieder verschenkt, weil weiterhin mit Ritzeln in Standard-Abstufungen (etwa 11-25, also Ritzel mit 11 bis 25 Zähnen) gefahren wird. Die Einfachste Übersetzung ist dann 30 (Kettenblatt) zu 25 (Ritzel). Diese Übersetzung ist schwerer zu treten als die Variante Kompaktkurbel (34er Kettenblatt) und eine Kassette mit einem 29er Ritzel.
Beim Kauf sollte also darauf geachtet werden, dass gegebenenfalls die Kassette gegen eine bergtaugliche ausgetauscht wird. Interessant wäre hier auch die Schaltung „Apex“ von SRAM. Zwar nicht als Triple verfügbar gibt es hier Kassetten mit bis zu 32er Ritzeln, womit die Übersetzung 34/32 möglich wird. Zur Veranschaulichung der Übersetzungsverhältnisse ist der Ritzelrechner sehr hilfreich und das Thema ist hiermit noch lange nicht erschöpft!
Komfort für schwere Fahrer?
Hersteller von Rahmen und Anbauteilen bieten unterschiedliche Lösungen für die Mode „Komfort“ an. Gerade schwere Fahrer belasten sich jedoch häufig schon durch ihr Eigengewicht und fehlende Fitness, weshalb es Sinn macht, das Sportgerät Rennrad etwas zu entschärfen. Mit einem passenden Rahmen ist schon mal die beste Grundlage gelegt. Für eine komfortorientierte Anpassung sind dann einfach umzusetzende Maßnahmen meist effektiv genug.
Am wichtigsten für Komfort ist aber mit Sicherheit die richtige Sitzposition. Zu gestrecktes Sitzen belastet Rücken, Arme und Hände (weil man sich stärker abstützen muss). Zu kompaktes Sitzen erschwert die Atmung, gerade wenn noch der Bauch im Weg ist. Zu weit hinten und zu tief Sitzen ist schlecht für die Knie. Zu viel Überhöhung (Überhöhung = Sattel ist höher als Lenker) belastet Rücken und Nacken, außerdem rammt man sich die Knie in die Wampe. Für all das ist die Vermessung vor dem Kauf und die vernünftige Einstellung wichtig. Alles nötige hierzu bietet der Thread Rahmengröße und Geometrie mal zusammengefasst.
Was man aber nicht ermessen kann ist die nötige Länge des Steuerrohres. Es ist maßgeblich für die Überhöhung. Sportliche Rahmen haben kurze Steuerrohre die dem Fahrer eine sehr aerodynamische Sitzposition ermöglichen. Gerade im Einsteigersegment gibt es aber auch Rahmen mit deutlich längeren Steuerrohren (z.B. Merida Ride Lite oder Canyon Roadlite AL). Oft sieht man Fahrer, die zwischen dem Steuerohr und dem Vorbau eine ganze Menge Distanzscheiben (Spacer) verbaut haben (umgangssprachlich „Spacerturm“). Sofern der Gabelschaft nicht ab Werk zu stark gekürzt wurde ist dies eine Möglichkeit, die Sitzposition trotz kürzerem Steuerrohr weiter aufzurichten. Reicht auch dies nicht aus oder ist die Gabel zu stark gekürzt worden kann der Vorbau gedreht werden. Statt z.B. mit 6° nach unten zeigt der Vorbau dann 6° nach oben. Diese 12° können mehrere cm wett machen. Das diese Lösung optisch kein echter Genuss ist sollte uns nicht weiter stören: Bequem geht vor! Ein Rahmen mit längerem Steuerrohr ist sicher eleganter, er kann aber nachträglich nur schwer wieder sportlicher gemacht werden.
Ist der richtige Rahmen gewählt lässt sich für kleines Geld noch einiges biegen. Rennradreifen gibt es in unterschiedlichen Breiten. Je breiter desto besser die Federeigenschaften. Reifen in 25mm Breite (Statt 23 oder gar 20mm) wären die erste Wahl. An den Lenker sollte man mit hochwertigen Handschuhen greifen, die an den wichtigen Stellen (Nervenbahnen) entsprechende Polsterungen haben. Man kann auch spezielle Geleinlagen unter das Lenkerband wickeln. Dem Hintern tut es gut wenn ein vernünftiger Sattel und ein gutes Sitzpolster aufeinander treffen, eventuell unterstützt durch eine spezielle Sattelstütze. Die richtige Kombination von Sattel und Polster zu finden kann aber dauern und Tips bringen nur bedingt weiter: Jeder Arxch ist anders!
Rennradkleidung in 5XL?
Ich kann es gut nachvollziehen, wenn man sich mit Übergewicht nicht gleich in Rennradkluft traut. Dennoch macht es Sinn, sich spezielle Kleidung für den Radsport zu kaufen. In Baumwoll-T-Shirt und Jogginghose wird man keinen Spaß haben!
Wer auf hautenge Rennradkleidung verzichten will kann sich bei MTB-Kleidung umsehen. Ich habe mit einer weit geschnittenen MTB-Hose angefangen. Die hat den Vorteil am Rücken höher geschnitten zu sein (wer schon mal auf dem RR saß wird wissen wozu das gut ist). Für die Polsterung sorgten Unterhosen mit eingenähtem Polster.
Trotzdem würde ich raten, mit echter Rennradkleidung zu fahren. Sie ist bequemer, flattert nicht im Wind, ist atmungsaktiv und wirft keine Falten an Stellen, an denen man es später bereut. Im Laden um die Ecke wird man in der Regel schwer fündig, aber einige Onlineshops bieten teils riesige Größen an! Ich selbst bin bei "Jollywear" gelandet, die haben Größen bis zu 5XL und sind auch über Amazon zu haben (Andere Anbieter nehme ich gerne auf!).
Generell sollte man nicht den Fehler machen, unifarbene Trikots zu tragen. Am scheußlichsten sah bei mir ein komplett orangenes Trikot mit schwarzen Ärmeln aus! Lieber reichlich Motive oder Text auf dem Stoff! Bei Hosen rate ich zu Trägerhosen, die bleiben so sitzen wie sie sollen und geben keine ungewollten Einblicke frei. Wie jeder Rennradfahrer sollte man sich auch mindestens mit einer Windweste eindecken, Arm- und Beinlinge sind auch nicht verkehrt.
Volles Training?
Hat man das ganze schöne Geld ausgegeben will man auch was davon haben. Also wird die erste Tour geplant, man schwitzt und kämpft, leidet, erreicht mit letzter Kraft das Ziel, ist stolz wie Oskar auf das Geleistete. Am nächsten Tag fühlt man sich so elend, dass man sein Lebtag nicht mehr aufs Rad steigen möchte.
So extrem muss es nicht ausfallen, aber viele Einsteiger übernehmen sich zu Beginn. Muskeln und Sehnen müssen sich für die ungewohnte Belastung fit machen. Man selbst muss lernen, das Herz-Kreislaufsystem nicht zu überfordern, rechtzeitig zu trinken und zu essen und zu wissen, welche Signale einem der Körper sendet.
Deshalb sollte man es vorsichtig angehen. Wer richtig powern möchte (das macht auf dem RR einfach Spaß!) sollte dafür seine Tour erstmal recht kurz wählen. Längere Touren sollten hingegen langsamer angegangen werden, am besten mit Blick auf eine Pulsuhr und jede Stunde eine Pause ist am Anfang auch nicht verkehrt. Man muss ja nicht immer im GA1 Bereich juckeln, aber 3h bei 85% der maximalen Herzrate sind zu vermeiden! Es kann auch nicht schaden, sich mal mit Übungen zur Stärkung der Rumpfmuskulatur vertraut zu machen. Ich weiß dass sich darum letztlich keiner kümmert, aber schreiben kann man es ja mal!
Richtige Ernährung?
Besonders haarsträubende Geschichten hört man zur Ernährung, gerade wenn Gewichtsverlust erwünscht ist. Jenseits aller Theorien von Fettverbrennung und Trennkost: Am Ende nehmen wir ab wenn wir mehr Energie verbrauchen als zu uns nehmen (Nein, bitte keine Grundsatzdiskussionen!). Sport erhöht unseren momentanen Energieumsatz, wir müssten also bei gleicher Energieaufnahme wie zuvor Gewicht verlieren. Die meisten von uns sehen aber ein, dass durch eine gleichzeitige Reduzierung der Energieaufnahme ein schnellerer Gewichtsverlust eintreten wird. Soweit, so gut.
Leider neigen die meisten dazu, zeitgleich zur Steigerung des Energieumsatzes die Energiezufuhr zu beschränken. Ausgerechnet während der Sporteinheit wird dann nicht oder nicht ausreichend gegessen. (Vielleicht weil der leere Magen das Gefühl des „etwas gutes tun“ steigert!?) Das Ergebnis: Nach anfänglich gutem Gefühl wird nach ca. 1,5h auf dem Rad eine Leistungsminderung eintreten. Das liegt (grob gesagt) daran, dass die Kohlenhydratspeicher im Körper geleert sind und der Körper jetzt allein auf die verbleibenden Energieträger Eiweiß und Fett angewiesen ist. Da diese nicht so schnell verwertet werden können sinkt die Leistungsfähigkeit, man fühlt sich ausgepowert, der Puls und Blutdruck steigt, man bekommt Kopfschmerzen und wird sich wegen der Überforderung vermutlich noch am nächsten Tag sehr elend fühlen. So erzielt man weder einen Trainingseffekt noch einen Gewichtsverlust, sondern man erlebt die blanke Demotivation!
Gerade wenn der Körper aktiv ist sollten wir regelmäßig Energie nachlegen, auch wenn wir theoretisch genug davon auf den Hüften haben. Alle halbe Stunde ein Müsliriegel kann da schon Wunder wirken. Es dürfen aber auch mehr sein! Wer stark übergewichtig ist kann pro Stunde auf dem Rad bis zu 1000 kcal zusätzlich verbrennen. Ein ungesüßter Müsliriegel hat ca. 70 kcal, man verbrennt also alle 5 Minuten einen Müsliriegel (oder jede halbe Stunde eine Tafel Schokolade, die hilft aber nicht wirklich weiter!). Zusammen mit ausreichend Flüssigkeit kann so der Körper weiter Leistung bringen und auch längere Touren führen nicht zur totalen Erschöpfung.
Es ist übrigens ein Märchen, dass der Körper beim Sport kein oder kaum Fett verbrennt. Eine Körperzelle mit Kohldampf verbrennt alles was sie in die Finger bekommt, aber bevorzugt natürlich Energieträger die schnell zu verfeuern sind. Beim Sport werden die Kohlenhydratspeicher aufgemacht und da nur Alkohol schneller Energie liefert als Kohlenhydrate werden davon besonders viele verbrannt.
Letztlich ist das aber egal, wenn wir eisern weniger Kalorien zu uns nehmen als wir verbrennen. Dann wird das Fett halt zuhause auf dem Sofa verbrannt, oder nachts beim Schnarchen. Dem Körper bleibt ja nichts anderes übrig!
Um sich mal zu veranschaulichen, ab wann die Kalorienbilanz defizitär wird, lohnt eine Berechnung mit dem Energiebedarfsrechner der Uni Hohenheim. Der Grundumsatz wird natürlich nur mit einer Näherungsformel errechnet, aber für eine Veranschaulichung reicht es. Mein Grundumsatz lag mal bei über 4500kcal. Ich musste also acht Tafeln Schokolade pro Tag essen, nur um mein Gewicht zu halten! Als ich das gesehen habe hab ich mir gedacht: Mit 6 Tafeln am Tag komme ich auch hin! Und wenn ich trotzdem mehr essen will muss ich halt Sport machen. Der Grundumsatz ist ja schon verbraucht, wenn ich garnicht erst aus dem Bett steige.
Ich hoffe diese Zusammenfassung hilft etwas weiter und erreicht auch diejenigen, die sich bisher nicht getraut haben zu fragen! Ergänzungen nehme ich gerne in der Eröffnungspost auf. Wenn ich irgendwo Blödsinn geschrieben habe und es einsehe, werde ich das zähneknirschend korrigieren.
Ab welchem Gewicht ist man ein „Schwerer Fahrer“?
Die Antwort hängt vom Einsatzzweck ab und unterscheidet sich auch je nach Komponente. Aus meiner Sicht am kritischsten sind die Laufräder. Viele Laufräder, sowohl günstige Einsteigermodelle als auch teure und auf Leichtbau getrimmte, sind schon für Fahrer mit 85kg grenzwertig. Grenzwertig meint, sie können sich unter Belastung verbiegen oder gar dauerhaft verformen (Seiten- und Höhenschlag), Speichen können brechen. Vergleichsweise leichte Rahmenkonstruktionen sind für Fahrer jenseits der 100kg nicht mehr uneingeschränkt zu empfehlen, wohingegen Standardrahmen genügend Reserven auch für deutlich schwerere Fahrer haben sollten. Ab 110kg sollte man auf die gängigen Laufräder verzichten und generell von Leichtbaulösungen am Rennrad eher Abstand nehmen. Bringen einem ja ohnehin nichts!
Welches Rahmenmaterial?
Wie immer die Frage Aluminium oder Carbon (Titan und Stahl sind ja „leider“ bei Einsteigern eher zu vernachlässigen). Grundsätzlich rate ich Einsteigern immer zu Alu. Zum Reinschnuppern bedeutend günstiger, weniger anfällig bei den meist nicht zu vermeidenden Umfallern und kleinen Stürzen und im Zweifelsfall günstig zu ersetzen. Aber auch Carbon dürfte die Belastungen eines schweren Fahrers durchaus aushalten, wobei einige Hersteller explizit Gewichtsbegrenzungen angeben. Für beide Materialien gilt aber: Leichtbau hilft uns nicht weiter!
Welche Laufräder?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Systemlaufrädern (das fertige Laufrad kommt von einem Hersteller geliefert) und klassisch gebauten Laufrädern (Felge, Nabe und Speichen werden individuell auf Fahrer und Einsatzzweck angepasst und vom Fachmann montiert). Die meisten Einsteigerräder haben heutzutage günstige Systemlaufräder montiert. Die üblichen Verdächtigen sind Shimano WH500/501, Shimano RS10, Mavic Aksium, DT Swiss 1900, Easton EA30 oder auch Campagnolo Khamsin (Ergänzungen nehme ich gerne auf!). Die Belastbarkeit dieser Laufräder wird auch im Forum unterschiedlich bewertet. Das hängt vermutlich mit Unterschieden in den Produktionsjahrgängen und der herstellungsbedingten qualitativen Streuung innerhalb eines Laufradmodells zusammen. Von Shimano RS10 und Mavic Aksium wird vergleichsweise häufig berichtet, dass diese Laufräder schon Fahrern deutlich unter 100kg Probleme bereiten (etwa im Wiegetritt). Von Easton werden häufiger Speichenbrüche berichtet. Als vergleichsweise robust auch bei Fahrern um die 110kg gelten hingegen die DT Swiss 1900 und die Campa Khamsin.
Sehr günstige Einsteigerräder verzichten oftmals aus Kostengründen auf Systemlaufräder. Dann werden vom Hersteller des Rades speziell beschaffte Laufräder verbaut, die im Grunde klassisch aufgebaut werden. Basis ist meist eine günstige Nabe (z.B. Shimano 2200) mit einfachen Stahlspeichen und einer Alufelge. Für schwere Fahrer können diese Konstruktionen von Vorteil sein, da deutlich mehr Speichen (32 oder 36) verbaut werden als bei den üblichen Systemlaufrädern und damit eine größere Stabilität erreicht wird. Diese ist allerdings auch von der Verarbeitungs- und der Materialqualität abhängig, und zu beidem ist in Vorfeld meist wenig zu erfahren.
Fahrer mit mehr als 110kg fahren am Besten mit klassisch aufgebauten Laufrädern mit 36 Speichen und einer stabilen Nabe und Felge. Ich selbst schwöre auf einen Laufradsatz mit Ultegranabe und Rigida DP18 Felge. Auch Mavic CXP33 Felgen werden immer wieder gerne genannt. Diese Laufräder sind zwar relativ schwer, halten aber auch einer Baumwurzel oder einem übersehenen Schlagloch stand.
Welche Schaltung?
Kein spezielles Thema für Schwergewichte, deshalb nur kurz: Die im Einsteigersegment dominierende Marke ist weiterhin Shimano. Von Tiagra aufwärts wird wohl niemand die Eignung der Schaltungen in Abrede stellen. Aus meiner Sicht ist auch die Sora eine günstige und voll funktionsfähige Alternative. Ich selbst fahre sie seit Jahren ohne Probleme. Schaltungen von Campagnolo und SRAM sind natürlich vollwertige Alternativen!
Interessanter ist da schon die Frage nach der passenden Übersetzung. Ob ich einen Anstieg hoch komme hängt maßgeblich damit zusammen, ob ich eine für mein Leistungsvermögen geeignete Übersetzung mitbringe. Da das Leistungsvermögen übergewichtiger Fahrer meist suboptimal ist, braucht es also eine wohlüberlegte Übersetzung. Die Übersetzung hängt von der Größe der Kettenblätter (vorne an der Kurbel) und der Größe der Ritzel (hinten am Laufrad) ab. Dabei gilt: Je kleiner das Kettenblatt und je größer das Ritzel, desto einfacher der Gang.
Gerade übergewichtigen Einsteigern wird gerne zu einer Triple-Kurbel geraten (wenngleich diese Alternative in zeiten von 11fach-Schaltungen meist aus dem Programm genommen wurde und nur noch bei Restbeständen, sehr einfachen Einstiegsmodellen und Gebrauchträdern zu finden ist). Es sind also drei statt nur zwei Kettenblätter verbaut. Der hier maßgebliche Vorteil ist, dass dieses dritte Kettenblatt sehr viel kleiner ist (30 Zähne) als bei den alternativen Kompakt-Kurbeln (34 Zähne). Somit sind sehr einfache Übersetzungen möglich. Leider wird dieser Vorteil oft wieder verschenkt, weil weiterhin mit Ritzeln in Standard-Abstufungen (etwa 11-25, also Ritzel mit 11 bis 25 Zähnen) gefahren wird. Die Einfachste Übersetzung ist dann 30 (Kettenblatt) zu 25 (Ritzel). Diese Übersetzung ist schwerer zu treten als die Variante Kompaktkurbel (34er Kettenblatt) und eine Kassette mit einem 29er Ritzel.
Beim Kauf sollte also darauf geachtet werden, dass gegebenenfalls die Kassette gegen eine bergtaugliche ausgetauscht wird. Interessant wäre hier auch die Schaltung „Apex“ von SRAM. Zwar nicht als Triple verfügbar gibt es hier Kassetten mit bis zu 32er Ritzeln, womit die Übersetzung 34/32 möglich wird. Zur Veranschaulichung der Übersetzungsverhältnisse ist der Ritzelrechner sehr hilfreich und das Thema ist hiermit noch lange nicht erschöpft!
Komfort für schwere Fahrer?
Hersteller von Rahmen und Anbauteilen bieten unterschiedliche Lösungen für die Mode „Komfort“ an. Gerade schwere Fahrer belasten sich jedoch häufig schon durch ihr Eigengewicht und fehlende Fitness, weshalb es Sinn macht, das Sportgerät Rennrad etwas zu entschärfen. Mit einem passenden Rahmen ist schon mal die beste Grundlage gelegt. Für eine komfortorientierte Anpassung sind dann einfach umzusetzende Maßnahmen meist effektiv genug.
Am wichtigsten für Komfort ist aber mit Sicherheit die richtige Sitzposition. Zu gestrecktes Sitzen belastet Rücken, Arme und Hände (weil man sich stärker abstützen muss). Zu kompaktes Sitzen erschwert die Atmung, gerade wenn noch der Bauch im Weg ist. Zu weit hinten und zu tief Sitzen ist schlecht für die Knie. Zu viel Überhöhung (Überhöhung = Sattel ist höher als Lenker) belastet Rücken und Nacken, außerdem rammt man sich die Knie in die Wampe. Für all das ist die Vermessung vor dem Kauf und die vernünftige Einstellung wichtig. Alles nötige hierzu bietet der Thread Rahmengröße und Geometrie mal zusammengefasst.
Was man aber nicht ermessen kann ist die nötige Länge des Steuerrohres. Es ist maßgeblich für die Überhöhung. Sportliche Rahmen haben kurze Steuerrohre die dem Fahrer eine sehr aerodynamische Sitzposition ermöglichen. Gerade im Einsteigersegment gibt es aber auch Rahmen mit deutlich längeren Steuerrohren (z.B. Merida Ride Lite oder Canyon Roadlite AL). Oft sieht man Fahrer, die zwischen dem Steuerohr und dem Vorbau eine ganze Menge Distanzscheiben (Spacer) verbaut haben (umgangssprachlich „Spacerturm“). Sofern der Gabelschaft nicht ab Werk zu stark gekürzt wurde ist dies eine Möglichkeit, die Sitzposition trotz kürzerem Steuerrohr weiter aufzurichten. Reicht auch dies nicht aus oder ist die Gabel zu stark gekürzt worden kann der Vorbau gedreht werden. Statt z.B. mit 6° nach unten zeigt der Vorbau dann 6° nach oben. Diese 12° können mehrere cm wett machen. Das diese Lösung optisch kein echter Genuss ist sollte uns nicht weiter stören: Bequem geht vor! Ein Rahmen mit längerem Steuerrohr ist sicher eleganter, er kann aber nachträglich nur schwer wieder sportlicher gemacht werden.
Ist der richtige Rahmen gewählt lässt sich für kleines Geld noch einiges biegen. Rennradreifen gibt es in unterschiedlichen Breiten. Je breiter desto besser die Federeigenschaften. Reifen in 25mm Breite (Statt 23 oder gar 20mm) wären die erste Wahl. An den Lenker sollte man mit hochwertigen Handschuhen greifen, die an den wichtigen Stellen (Nervenbahnen) entsprechende Polsterungen haben. Man kann auch spezielle Geleinlagen unter das Lenkerband wickeln. Dem Hintern tut es gut wenn ein vernünftiger Sattel und ein gutes Sitzpolster aufeinander treffen, eventuell unterstützt durch eine spezielle Sattelstütze. Die richtige Kombination von Sattel und Polster zu finden kann aber dauern und Tips bringen nur bedingt weiter: Jeder Arxch ist anders!
Rennradkleidung in 5XL?
Ich kann es gut nachvollziehen, wenn man sich mit Übergewicht nicht gleich in Rennradkluft traut. Dennoch macht es Sinn, sich spezielle Kleidung für den Radsport zu kaufen. In Baumwoll-T-Shirt und Jogginghose wird man keinen Spaß haben!
Wer auf hautenge Rennradkleidung verzichten will kann sich bei MTB-Kleidung umsehen. Ich habe mit einer weit geschnittenen MTB-Hose angefangen. Die hat den Vorteil am Rücken höher geschnitten zu sein (wer schon mal auf dem RR saß wird wissen wozu das gut ist). Für die Polsterung sorgten Unterhosen mit eingenähtem Polster.
Trotzdem würde ich raten, mit echter Rennradkleidung zu fahren. Sie ist bequemer, flattert nicht im Wind, ist atmungsaktiv und wirft keine Falten an Stellen, an denen man es später bereut. Im Laden um die Ecke wird man in der Regel schwer fündig, aber einige Onlineshops bieten teils riesige Größen an! Ich selbst bin bei "Jollywear" gelandet, die haben Größen bis zu 5XL und sind auch über Amazon zu haben (Andere Anbieter nehme ich gerne auf!).
Generell sollte man nicht den Fehler machen, unifarbene Trikots zu tragen. Am scheußlichsten sah bei mir ein komplett orangenes Trikot mit schwarzen Ärmeln aus! Lieber reichlich Motive oder Text auf dem Stoff! Bei Hosen rate ich zu Trägerhosen, die bleiben so sitzen wie sie sollen und geben keine ungewollten Einblicke frei. Wie jeder Rennradfahrer sollte man sich auch mindestens mit einer Windweste eindecken, Arm- und Beinlinge sind auch nicht verkehrt.
Volles Training?
Hat man das ganze schöne Geld ausgegeben will man auch was davon haben. Also wird die erste Tour geplant, man schwitzt und kämpft, leidet, erreicht mit letzter Kraft das Ziel, ist stolz wie Oskar auf das Geleistete. Am nächsten Tag fühlt man sich so elend, dass man sein Lebtag nicht mehr aufs Rad steigen möchte.
So extrem muss es nicht ausfallen, aber viele Einsteiger übernehmen sich zu Beginn. Muskeln und Sehnen müssen sich für die ungewohnte Belastung fit machen. Man selbst muss lernen, das Herz-Kreislaufsystem nicht zu überfordern, rechtzeitig zu trinken und zu essen und zu wissen, welche Signale einem der Körper sendet.
Deshalb sollte man es vorsichtig angehen. Wer richtig powern möchte (das macht auf dem RR einfach Spaß!) sollte dafür seine Tour erstmal recht kurz wählen. Längere Touren sollten hingegen langsamer angegangen werden, am besten mit Blick auf eine Pulsuhr und jede Stunde eine Pause ist am Anfang auch nicht verkehrt. Man muss ja nicht immer im GA1 Bereich juckeln, aber 3h bei 85% der maximalen Herzrate sind zu vermeiden! Es kann auch nicht schaden, sich mal mit Übungen zur Stärkung der Rumpfmuskulatur vertraut zu machen. Ich weiß dass sich darum letztlich keiner kümmert, aber schreiben kann man es ja mal!
Richtige Ernährung?
Besonders haarsträubende Geschichten hört man zur Ernährung, gerade wenn Gewichtsverlust erwünscht ist. Jenseits aller Theorien von Fettverbrennung und Trennkost: Am Ende nehmen wir ab wenn wir mehr Energie verbrauchen als zu uns nehmen (Nein, bitte keine Grundsatzdiskussionen!). Sport erhöht unseren momentanen Energieumsatz, wir müssten also bei gleicher Energieaufnahme wie zuvor Gewicht verlieren. Die meisten von uns sehen aber ein, dass durch eine gleichzeitige Reduzierung der Energieaufnahme ein schnellerer Gewichtsverlust eintreten wird. Soweit, so gut.
Leider neigen die meisten dazu, zeitgleich zur Steigerung des Energieumsatzes die Energiezufuhr zu beschränken. Ausgerechnet während der Sporteinheit wird dann nicht oder nicht ausreichend gegessen. (Vielleicht weil der leere Magen das Gefühl des „etwas gutes tun“ steigert!?) Das Ergebnis: Nach anfänglich gutem Gefühl wird nach ca. 1,5h auf dem Rad eine Leistungsminderung eintreten. Das liegt (grob gesagt) daran, dass die Kohlenhydratspeicher im Körper geleert sind und der Körper jetzt allein auf die verbleibenden Energieträger Eiweiß und Fett angewiesen ist. Da diese nicht so schnell verwertet werden können sinkt die Leistungsfähigkeit, man fühlt sich ausgepowert, der Puls und Blutdruck steigt, man bekommt Kopfschmerzen und wird sich wegen der Überforderung vermutlich noch am nächsten Tag sehr elend fühlen. So erzielt man weder einen Trainingseffekt noch einen Gewichtsverlust, sondern man erlebt die blanke Demotivation!
Gerade wenn der Körper aktiv ist sollten wir regelmäßig Energie nachlegen, auch wenn wir theoretisch genug davon auf den Hüften haben. Alle halbe Stunde ein Müsliriegel kann da schon Wunder wirken. Es dürfen aber auch mehr sein! Wer stark übergewichtig ist kann pro Stunde auf dem Rad bis zu 1000 kcal zusätzlich verbrennen. Ein ungesüßter Müsliriegel hat ca. 70 kcal, man verbrennt also alle 5 Minuten einen Müsliriegel (oder jede halbe Stunde eine Tafel Schokolade, die hilft aber nicht wirklich weiter!). Zusammen mit ausreichend Flüssigkeit kann so der Körper weiter Leistung bringen und auch längere Touren führen nicht zur totalen Erschöpfung.
Es ist übrigens ein Märchen, dass der Körper beim Sport kein oder kaum Fett verbrennt. Eine Körperzelle mit Kohldampf verbrennt alles was sie in die Finger bekommt, aber bevorzugt natürlich Energieträger die schnell zu verfeuern sind. Beim Sport werden die Kohlenhydratspeicher aufgemacht und da nur Alkohol schneller Energie liefert als Kohlenhydrate werden davon besonders viele verbrannt.
Letztlich ist das aber egal, wenn wir eisern weniger Kalorien zu uns nehmen als wir verbrennen. Dann wird das Fett halt zuhause auf dem Sofa verbrannt, oder nachts beim Schnarchen. Dem Körper bleibt ja nichts anderes übrig!
Um sich mal zu veranschaulichen, ab wann die Kalorienbilanz defizitär wird, lohnt eine Berechnung mit dem Energiebedarfsrechner der Uni Hohenheim. Der Grundumsatz wird natürlich nur mit einer Näherungsformel errechnet, aber für eine Veranschaulichung reicht es. Mein Grundumsatz lag mal bei über 4500kcal. Ich musste also acht Tafeln Schokolade pro Tag essen, nur um mein Gewicht zu halten! Als ich das gesehen habe hab ich mir gedacht: Mit 6 Tafeln am Tag komme ich auch hin! Und wenn ich trotzdem mehr essen will muss ich halt Sport machen. Der Grundumsatz ist ja schon verbraucht, wenn ich garnicht erst aus dem Bett steige.
Ich hoffe diese Zusammenfassung hilft etwas weiter und erreicht auch diejenigen, die sich bisher nicht getraut haben zu fragen! Ergänzungen nehme ich gerne in der Eröffnungspost auf. Wenn ich irgendwo Blödsinn geschrieben habe und es einsehe, werde ich das zähneknirschend korrigieren.
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