Da bin ich aber froh, daß ihr euch besser auskennt als einer vom Fach....
Ich habe nur auf die Rechtslage hingewiesen und es gilt immer noch:
Der Richter entscheidet, nicht du und ich auch nicht. Entscheiden wollte ich ja nicht, deshalb bin ich ja auch nicht Richter geworden.
Ich kenne den Fall eines Kollegen, da ist ein Radfahrer weil er jemanden absichtlich ausgebremst hat, wegen Nötigung verurteilt worden (Überholmöglichkeit spielte da überhaupt keine Rolle).
Aber du hast es ja erkannt, das persönliche Rechtsempfinden vieler Verkehrsteilnehmer ist schon kurios.
Schlechte Anwälte oder Richter gibt es im Einzelfall immer, das ändert aber nichts an der rechtlichen Bewertung.
§2(2) StVO:
"Es ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit."
"Möglichst" weit" ist nicht rein physikalisch gemeint - nach der herrschenden Meinung* ist dies so auszulegen, dass alle anderen Rechtsnormen (insbesondere der StVO) erfüllt sind. Zu diesen gehört insbesondere §1(2) StVO:
"Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird."
Dass man sich selber auch nicht "schädigen, gefährden oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindern" muss, steht zwar nicht ausdrücklich im Gesetz, ist aber denklogisch und ständige Rechtsprechung.
Wenn ich rechtlich vertretbare Gründe habe, darf ich genauso weit links vom Fahrbahnrand fahren, wie es diese Gründe erfordern, ohne dabei das Rechtsfahrgebot zu verletzen. Zu diesen Gründen zählen z.B. Mindestabstand, Vermeidung von Eigengefährdung etc.
Zum Thema Behinderung bzw. Nötigung: spätestens seit der Konkretisierung des minimalen Überholabstandes bedarf es in den üblichen Situationen, die hier besprochen werden, streng genommen nicht einmal der Bewertung/Auslegung der Gründe für das Fahren nahe der Mitte der Fahrspur, da es bereits tatbestandlich an einer Behinderung fehlt:
- I.d.R. ist ein legales Überholen mit rechtlich erforderlichem Mindestabstand ohne Spurwechsel nicht möglich. Regelbreite Fahrspuren messen zwischen 2,75 m und 3,75 m. Davon abzuziehen: ca. 1m Abstand Fahrrad zur Fahrbahnkante, plus ca 0,8m Breite Fahrrad, plus min. Überholabstand innerorts von 1,5m. Das ergibt 3,2m Mindestabstand des überholenden Fahrzeugs zur rechten Kante. Für ein regelkonformes Überholen auf der gleichen Fahrspur dürfte das überholende Fahrzeug selbst bei maximal breiter Fahrspur also nur höchstens 55cm schmal sein.
- Daher muss ein KFZ in der Regel immer auf der Gegenfahrbahn oder einer zweiten Fahrspur überholen (oder - falls dies nicht möglich ist - angemessen warten, bis es möglich ist**). Die Tatsache, dass man z.B. statt 1.00 m nun 1.50 m vom Fahrbahnrand entfernt fährt (und nur darum geht es in dieser Frage!) führt daher nicht zu einer Behinderung, denn die (rechtskonformen) Verhaltensmöglichkeiten des KFZ-Fahrers ändern sich dadurch in keiner Weise, es macht daher keinerlei Unterschied.
- Eine Behinderung könnte also nur darin gesehen werden, dass der Radfahrer überhaupt auf der Straße fährt; dies ist aber (ohne Lolli) ausdrücklich erlaubt.
Das gilt natürlich nicht, wenn man so weit links fährt, dass ein regelkonformes Überholen auch auf der anderen Spur nicht möglich ist (dafür gibt es aber auch meist auch keinen guten Grund).
Es gibt in der Realität nur recht wenige, spezielle Situationen, in denen ein nahe der Mitte einer üblich breiten Fahrspur fahrender Radfahrer tatbestandlich eine Behinderung verwirklicht, und in diesen Fällen muss dann noch entschieden werden, ob diese dann auch unnötig bzw. unvermeidbar ist (oder ob Gründe dafür vorlagen, Stichwort Vermeidung von Eigengefährdung).
Ergo: Zu denken, sich maximal an den rechten Rand zu quetschen zu müssen, um ein (in den meisten Fällen regelwidriges) Überholen zu ermöglichen, ist nicht nur aus gesundheitlichen Gründen dumm, sondern rechtlich falsch. All dies gilt natürlich nicht, wenn man mutwillig und ohne guten Grund andere Verkehrsteilnehmer blockiert oder ausbremst, weil man denen "eins auswischen" möchte, dies verstößt gegen das Rechtsfahrgebot und kann in schweren Fällen eine Nötigung darstellen.
Auch lesenswert:
https://www.zeit.de/zett/2016-04/darum-solltest-du-mit-dem-rad-in-der-mitte-der-spur-fahren
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*...die auch die meisten Richter vertreten, daran ändern einzelnen (Fehl-)urteile, die meist spezielle Umstände haben, nichts.
** Damit
@Waldkäuzchen nicht per PM meckert: Es gibt einige seltene Fälle (z.b. lange & enge Serpentinenstraße), in denen ein deutlich langsamerer Verkehrsteilnehmer nach einer angemessenen Zeit rechts ranfahren muss, um den hinter ihm aufgestauten Verkehr vorbeizulassen (§5 Abs.6 StVO). Voraussetzung sind: Deutlicher Geschwindigkeitsunterschied (in der Stadt meist nicht gegeben), mehrere aufgestaute Fahrzeuge (min. 3), absehbar lange andauernde Unmöglichkeit (!) eines Überholens.