AW: Lokomotive Rotes Ritzel
Spaß oder Qual?
Spaß! Eigentlich war es "richtig geil", wie die Jugend so schön sagt.
(Ich kann aber nur aus meiner Sicht berichten. Die Sicht von jemandem, der vor 18 Monaten im Krankenhaus lag mit Lähmungserscheinungen von etwas oberhalb der Blase bis in die rechten Zehenspitzen als Folge eines krassen Bandscheibenvofalls und erst vor einem Jahr im Alter von 47 mit Radfahren als "Sport" angefangen hat.)
Mein Ziel war die 74-er Strecke zu fahren und (sturzfrei) ins Ziel zu kommen in deutlich unter 3 Stunden.
Eine schöne Anfahrt mit dem Rad morgens um 8 durch aus dem Nordend ins MTZ durch die fast leeren Strassen Frankfurts. Das alte T-Shirt, das ich als Windschutz trug, beim Mülleimer am MTZ gelassen und das Getummel in und um den Blöcken der 100-er Fahrer zusammen mit einem anderen 74-er Fahrer beobachtet. Leises Kopfschütteln von uns als einige sich in die Quere kommen beim "Runden drehen" und unsanft zu Boden fallen. Zeit ein PowerBar und noch ein paar Worte mit dem netten Sportstudent aus dem Nordend zu geniessen.
Eine Dreiviertelstunde später kann's bei uns losgehen. Sehe den ersten Plattfuß nach 3 km. Der Arme.
Schnell geht's durch die Strassen, Zuschauermassen, die einen richtig antreiben. Ein paar nette Worte mit einem Schotten (unverkennbar an seiner Sankt-Andreas-Kreuz-Kreuz-hinterm-
Sattel *-wehenden-Fahne) gewechselt, mich als "Sassenach", das schottische Schmähwort für Engländer, vorgestellt. Sport/Leid verbindet doch also. Recht bald sind wir aber dann in Hofheim und es kann richtig losgehen.
Die einsame (aber doch schöne) Schinderei in der Wetterau und Umgebung in den letzten Wochen und Monaten hat sich gelohnt. Ich komme locker, nicht langsam hoch nach Fischbach. Eine Fahrerin in der Gruppe zweifelt, fragend: "Ich dachte DIE Strecke wär flach?!?" 3 Skater gleiten auch hoch. Beeindrückend. Und doch beängstigend. Die haben keine schweineteuren
Bremsen * ....
Auf der Abfahrt zur Gundelhardstrasse kommen einige 100-er Fahrer vorbeigerauscht, und hinterher so ein THW-ähnliches "Materialwagen", der dann gnädigerweise zurückfällt. Mit voller Bewunderung für das, was die 100-er schon in den Beinen haben, und mit voller Konzentration bereite ich mich auf diesen Kopsteinpflasteranstieg, den ich nur von der Marschtabelle kenne, vor. Kurve richtig erwischt, aus der Kurve heraus schon auf das kleine Blatt gewechselt, ich teste, dass der Druck auf der Pedale stimmt. Alles Paletti. Durch die nächste kleine Kurve bevor es losgeht. Sehe schon 3 oder 4 mit der Kette hantierenden Fahrer unten an beiden Seiten, wiederum einige die auf halbe Höhe zum Stehen gekommen sind. Mir schwant nichts Gutes.
Und dann auf einmal ist der fette Materialwagen direkt neben mir wo es eng wird. Zum x-ten Mal an dem Tag musste der arme Fahrer wohl einige rasch ausgewählten Schimpfwörter anhören müssen. Hiermit entschuldige mich in aller Form beim "Unbekannten Autofahrer".
Ich entschloss Fersengeld zu geben. Raus aus dem
Sattel * und Attacke! Ich bin den ganzen Ansteig im Wiegetritt hochgespurtet. Riesenjubel und Anfeuerung von vier mir völlig unbekannten Frauen. Das war wohl das berühmte belgische Feeling. Unbeschreiblich. (@ eule: Und viel schöner als die Wilhelmshöher Str.)
Auf dem Weg nach Sulzbach Wasser geschnappt an der Verpflegung. Wie ich Schraubflaschen beim Radfahren liebe! Etwas PowerBar essen und Wasser tanken, dann klicke ich aufs Tacho und sehe schon einen Durchschnitt von dreißigkommaeppes. Oha! Dass ich sowas kann, war ich mir sicher. Nur gemacht hatte ich es noch nie.
Richtung Rödelheim spüre ich ein bisschen Krampf im rechten Bein (hatte ich oft als Folge des Bandscheibenvorfalls aber kaum seit Weihnachten und dann nur bei nächtlichen Körperaustobungen, die mit Sport nichts zu tun haben). Ein halbes PowerBar gemampft, runtergespült mit der geheimen, leckeren Bananensaft-und-Wasser-Mischung von B-Probe. Und wieder Gas geben Richtung Innenstadt. Haarige Situation am Hausener Schwimmbad beim Kreisel: Grosse Gruppe, einige 100-er Fahrer vorneweg, gerade alle in Kurvenlage linksrein, da tauchen 3 Skater auf und überholen alle auf der Innenseite. Hoffentlich bleiben die dann aussen wenn es rechts heraus geht, denke ich. Gottseidank ist nichts passiert.
Irgendwann blicke ich auf die Zeit. Die beiden Frauen in meinem Leben wollten sich auf dem Weg zur Bockenheimer Landstrasse machen gegen 11:30 und mich anfeuern. Ich fahre schneller als erwartet ... Ob die zu spät kommen? Oder ich zu früh? Schliesslich ist meine liebe Tochter nicht so schnell mit dem Rad ... Halte mich bewusst aus der Gruppe auf der Bockenheimer Landstrasse heraus, sehe und höre sie aber nicht. Sowieso wenig Zuschauer im noblen Westend. Dann wieder Gas geben Richtung Alte Oper. Und da sehe ich sie, sitzend am Strassenrand in der Kurve. Kurz anhalten trotz Proteste meiner Frau. Zeit den beiden einen Kuss zu geben muss ja sein - die machen auch die einsame Schinderei in den frühen Morgenstunden und am Wochenende auch irgendwie mit. Sie zu sehen hat mehr gestärkt als das nächste Stückchen PowerBar.
Und ab durch das leere Bankenviertel zum Main runter bzw. entlang und auf die Darmstädter Landstrasse zu. Beine noch gut. Für meine Verhältnisse bin ich die Darmstädter hochgeflogen, bis zur Wasserausgabe in Wiegetritt. Die Junioren auf der abgetrennten linken Seite waren aber viel schneller ...
Der Schiesshüttenweg war ein Meer von leeren und halbleeren blaue Flaschen. Ein dickes Lob an dem Herrn, der scheinbar dabei war die aufzusammeln damit keiner dadurch zum Fall kommt. Dann wieder runter zum Main. Nur 20 km ins Ziel. Die gehen vorbei wie im Rausch. Bis ein Skater bei mir Windschatten sucht. Fand ich irgendwie unlustig. An und für sich spricht nichts dagegen. Nur wenn er nach vorne stürzt und seine Finger in meine Speichen kommen ...
Ein paar Sekunden später ahnte ich, dass die Stelle mit den Schienen in Höchst bald kommt. In meinem Windschatten würde er das Fahrbahnteiler-Schild nicht sehen können. Ich hab ihm in knappen Worten und Gesten zu verstehen gegeben, dass eine Weiterverfolgung seinerseits zwecklos sei, und mich aus dem Staub gemacht. Nur eins hatte ich im Kopf: Alles geben bis zum Schluss und einen 30-er Schnitt schaffen.
Ich komme ins Ziel und stelle fest: Eine Fahrzeit von ca. 2 Stunden 26 Minuten mit einem Schnitt von knapp über 30 kmh.
Noch im Getummel um den Transponder loszuwerden mit 2 Bekannten von unterwegs gebabbelt. Getränke und Futter geschnappt. Wasserflaschen aufgefüllt bevor ich mich auf dem 15 km nach Hause mache. Gerade dann sehe ich zum erstenmal an dem Tag 2 Ritzler. Hab mich kurz vorgestellt bei joebuck und Rücklicht, die einen sehr frischen Eindruck machten.
Schöne Heimfahrt vom MTZ ins Nordend, die Mainzer Landstrasse immer noch relativ leer, also ohne Radweg und ohne zu viele Erschütterungen ab nach Hause ...
Liebe Grüsse
B-Probe, der sich hiermit für jedwede Pathos, Ausschweifungen, Grammatik- bzw. Tippfehler, und Missbrauch der "Radler-Sprache" entschuldigt.