MISSION TWO - Kamikazes Bericht
MISSION TWO:
Tagelang verfolgte ich im Rennradforum die Diskussion zu MISSION ONE – 24-Std.-Radfahren nonstop, durchgeführt von zwei Ladies, am ersten Tag des Winterpokals. Der eine fand es super, der andere fand es nicht sinnvoll. Kaum war die MISSION ONE in „Vergessenheit” geraten, kam die Ankündigung: Es gibt eine MISSION TWO: 48-Std.-nonstop-Radeln. Ich dachte: „Jetzt sind sie völlig durchgedreht“. 24-Std.- nonstop sind ja gerade noch „normal”. Aber 48 Stunden??? Die zwei Ladies suchen noch Mitfahrer. Eine erneute Diskussion kommt auf. Ich lese jeden Tag die neuen Beiträge und dann folgendes: MISSION TWO wird als Spendenaktion zugunsten der anwr-Kinderhilfe durchgeführt. „O.k.“ denke ich mir: „Wenigstens ein sinnvoller Hintergrund bei dieser Schinderei.“
Ich überlege, mitzuradeln - auch wenn es nur ein Teilstück ist, erzähle Freunden und Radkollegen von dieser Aktion. Sie halten es für verrückt!!! Dadurch wird mein Ehrgeiz noch mehr angestachelt und ich sage fünf Tage vor Start zu. Mein Ziel: den ganzen Samstag die MISSION TWO zu begleiten. Wäre gerne am Freitag Mittag schon gestartet, aber ich muss noch arbeiten. Folgende Gedanken beschäftigen mich seit der Zusage: Was muss ich einpacken? Welche Kleidung? Regnet es? Vielleicht schneit es auch? Welche Ersatzteile benötige ich für mein Rad? Was nehme ich zum Essen mit??? Am Donnerstag will ich packen, doch es kam wie immer anders als man denkt. Keine Zeit, muss länger arbeiten und so komme ich erst am Freitag Mittag zum Packen. Ich stopfe alles, was mir einfällt in den Rucksack. Und dann ab ins Bett, will vorher noch ein paar Stündchen schlafen.
Freitag, 8.12.2006, 23.40 Uhr Parkhaus Altsachsenhausen in Frankfurt. Etwas müde baue ich mein Rad zusammen. Ich hatte versucht, vorher noch etwas zu schlafen, aber es kamen letztendlich nur anderthalb Stunden zusammen. Die MISSION TWO läuft bereits seit 14 Uhr. Ich fahre mit meinem Rad das Parkhaus hinunter. Die Leute schauen mich leicht verwirrt an, sagen aber nichts. Pünktlich stehe ich am vereinbarten Treffpunkt vor dem Parkhaus. Genau 24 Uhr. Der Wind pfeift und je länger ich warte, desto konfuser werden meine Gedanken: hier heute mitfahren? Na ja, ein bisschen verrückt war ich schon immer und so passte auch dieses Event ganz gut zu mir. Nach 20 Minuten Warten, ruft Nette an und deutet an, dass sie sich etwas verspäten werden. Kein Problem für mich – ich warte im "warmen" Parkhaus. Ein betrunkenes Pärchen ist sichtlich interessiert, möchte sich mein Rad ausleihen und fragt, was ich denn jetzt damit machen möchte und warum ich hier stehe. Nach 15 Minuten verlassen sie mich – und hinterlassen mich leicht genervt. Ich schnappe mein Bike und gehe raus an die frische Luft – eine steife Brise weht.
Kurz darauf kommen Nette und die restlichen Fahrer - Goody, Kuota, Pepper.Salt und Elch angerauscht. Wir machen kurz Pause und Nette öffnet ihren Rucksack, welcher fast die Ausmaße eines Seesacks besitzt. Ich erwarte, dass dort Bekleidung, Energieriegel und so ein Zeugs zum Vorschein kommt. Aber Denkste: Nette holt cirka fünf Tüten Haribo aus ihrem Rucksack zu meiner Verwunderung. Nach einem kurzen Landkarten-Check fahren wir los. Ich fühle mich direkt wohl in der Gruppe. Lauter leicht verrückte Radfahrer, die mal was anderes machen wolle Durch Frankfurt geht es schleppend. Unzählige rote Ampeln und das ein oder andere Fotomotiv halten auf. Dann werden Speichenreflektoren montiert - sicherheitstechnisch schon sinnvoll – jedoch äußerst widerspenstig zu montieren. Es geht weiter, endlich aus Frankfurt heraus und in die dunkle Nacht hinein - Hauptrichtung Wiesbaden/Mainz.
Alles still und leise - nur sechs Radfahrer mit einem Radio bewaffnet machen die Straßen unsicher. Für mich war die Fahrt im Dunkeln nichts Neues, habe ich doch schon zwei 24 Stunden-Rennen mit dem MTB und die ein oder andere Nachtfahrt mit Freunden hinter mir. Hin und wieder klingelt Nettes Handy. SMS oder Anrufe verschiedener Forumleser, die uns aufmuntern. Das Thermometer zeigte sieben Grad. Ziemlich warm für Dezember – ziemlich kühl zum Radeln. Und der ständige Wind macht daraus gefühlte null Grad. Wir müssen nun öfters auf die Karte schauen, um uns nicht zu verfahren. Bei einem weiteren Stopp - es muss so gegen 4 Uhr und in Eddersheim sein – bringt Pepper.Salt belegte Brötchen ins Spiel. Richtig lecker und genau zum richtigen Zeitpunkt serviert. Wir fahren weiter, wollen die nächste Bäckerei stürmen.
Bei einer Abfahrt nach Mainz-Kostheim passiert es: Elch will mit seinem Rad auf den Radweg abbiegen, das Vorderrad kommt den Bordstein nicht hoch und er schlägt auf dem Radweg auf. Echtest. Es sieht böse aus: eine große Schürfwunde ziert seine rechte Wange und sein Bein ist auch nicht in Ordnung. Pepper.Salt hat ein paar Taschentücher parat und Nette holt ihr Erste-Hilfe-Set aus dem überdimensionalen Rucksack (dort ist wohl außer Gummibärchen noch etwas anderes eingepackt, denke ich mir). Nach der Erstversorgung beschließen wir, in die endlich in der nächste Bäckerei einzukehren, um uns kurz aufzuwärmen und Elch danach bis zum Bahnhof in Wiesbaden zu begleiten. Kurze Zeit später finden wir sie und sind froh, endlich im Warmen zu sein. Der Kaffee und die heiße Schokolade sind schnell bestellt und die Kaffeeteilchen sehr lecker. Als wir wieder aufbrechen, bekommen wir noch etwas „Wegverzehrung“ geschenkt. Goody versucht in der Zwischenzeit verzweifelt, ihren Freund Oli24 per Handy zu erreichen und zu wecken. Er soll uns den Weg bis zu Radsport Smit zeigen. Nach zahllosen Versuchen und dieversen Urschreien ins Handy ist er wach. Man einigt sich, dass er uns auf der Strecke einholt oder uns bei Radsport Smit in Ginsheim-Gustavsburg trifft. Wir starteten von der Bäckerei Richtung Bahnhof, fahren nach Wiesbaden hinein. Immer wieder merkte ich, dass meine Konzentration auf Abwegen ist und ich leichte Schlangenlinien fahre.
Um sieben Uhr erreichen wir den Bahnhof. Kuota legt ein zweiminütiges Power-Nickerchen auf einer Bank ein, während Elch uns verlässt. Wir, die restlichen Fünf, machen uns auf den Weg zu Radsport Smit. Die Stimmung ist momentan bei manchen leicht gereizt. Kein Wunder, immerhin sind sie jetzt schon zum Teil fünfzehn Stunden mit dem Rad unterwegs und haben die schlimmste Müdigkeitsphase - zwischen vier und sieben Uhr - gerade überstanden. Endlich wird es wieder hell – freue mich!
Um 8.30 Uhr kommen wir bei einem unserer anwr-Kinderhilfe-Sponsoren an: Radsport Smit. Überpünktlich – das erste mal. Dort wartet ein zweites Frühstück auf uns und die Energie können wir gut gebrauchen. Auch der warme Verkaufsraum kommt zum Auftauen nicht ungelegen. Nach einem Plausch mit dem Inhaber verdrückt sich Nette zum Frischmachen. Sie kommt und kommt nicht wieder. Es machten Gerüchte die Runde, sie sei eingeschlafen - hihi. Na ja wir wissen nicht, wie sie es angestellt hat - aber sie kommt frisch wie „aus dem Ei gepellt“ wieder zurück. Unser Supporter OliA ist mittlerweile auch schon eingetroffen und bringt Tupper-Tonnen mit Nudeln und süßem Apfelauflauf sowie Getränke vorbei zum Auffüllen der Vorräte für uns mit. Was für ein Service!!! Einmalig!!! Nette lasst sich schnell noch ihren Hinterreifen wechseln, der in Mainz durch Glasscherben in Mitleidenschaft gezogen wurde. Weiter geht’s Richtung Groß-Gerau. Die Hoffnung, dass es wärmer wird, schwindet. Es bleiben lausige acht Grad.
Keine fünf Minuten unterwegs, sehen wir eine Radarfalle. Nette bleibt wie das Eselchen Grissella direkt vor dem Blitzer stehen, um Supporter OliA per Handy davor zu warnen. Da springen zwei Polizisten aus ihrem Versteck im Gebüsch, sichtlich erbost, laufen wild mit den Armen rudernd auf uns zu und machen uns klar, dass wir hier unerwünscht sind. Das ist nun das zweite Mal, dass Nette Bekanntschaft mit der Polizei bei MISSION TWO macht. (Das erste Mal ermahnte sie uns, um drei Uhr nachts nicht neben- sondern hintereinander zu fahren.)
Wir fahren weiter Richtung Groß-Gerau und Darmstadt, als wir einen Anruf der Frankfurter Rundschau bekommen. Es ist derselbe Reporter, der schon am Start der Tour einen Bericht mit Fotos verfasste. Er möchte wissen, ob MISSION TWO bis Sonntag Mittag die 400 km-Marke schafft. Hochrechnungen werden aufgestellt und der Ehrgeiz wächst. Ein weiterer Kartenstopp wird kurz vor Darmstadt nötig. In welche Richtung sollen wir fahren? Wir sind früh dran, haben noch ausreichend Zeit für eine Ausweitung der Tourstrecke. Salt.Pepper schlägt zwei Varianten vor: eine Extraschleife Richtung Bensheim oder nach Alzenau die restliche Zeit der MISSION TWO mehr oder weniger große Runden um Alzenau und Frankfurt zu ziehen – immer in sicherer Nähe zum Stützpunkt Alzenau, für den „Fall der Fälle“, dass jemand „aus MISSION TWO“ aussteigen möchte. Nach einiger Diskussion entscheiden wir uns für die Fahrt nach Alzenau. Inzwischen hatte sich Goody einen Behälter mit Nudeln geschnappt und aß gemütlich vor sich hin. Kaum zu glauben, welche Mengen! Langsam wurde die Anstrengung der Tour körperlich spürbar.
Kaum wieder auf den Rädern fängt es an, leicht zu regnen. Als wäre es eine Vorhersage für den kommenden Streit. Der erste und einzigste Streit, den ich auf dieser Tour erlebe. Ich möchte auf ihn nicht näher eingehen, nur soviel: er führt fast zum Abbruch der MISSION TWO. Aus meiner Sicht auch auf den fehlenden Schlaf zurückzuführen. Mies gelaunt fahren wir in ein Cafe. Nach einer Aussprache & Schilderung des "Vorfalls" raufen wir uns alle zusammen und fahren weiter Richtung Hanauer Hauptbahnhof. Jetzt kommen wir ordentlich voran. Inzwischen schon wieder mit voller Radbeleuchung, fahren wir teilweise auf einem sehr idyllischen Radweg - direkt neben einer Autobahn bzw. zweispurigen Schnellstraße. Seit 18 Uhr wartet am Hauptbahnhof schon OliA mit unserem Abendessen, in der Annahme, es sei sein letzter Support-Einsatz. Denkste!!! Die Nudeln schmecken sehr lecker. Jeder macht einen abgekämpften Eindruck, aber inzwischen waren wir alle wieder gut gelaunt. Salt.Pepper verlässt uns. Er hatte – wie geplant die Tour fast 24 Stunden begleitet.
Die verbliebenen vier - Nette, Goody, Kuota, ich (Kamikaze) machen sich kurz vor 19 Uhr auf den Weg Richtung Frankfurt. Noch in Hanau, ca. zehn Minuten unterwegs, möchte Goody nicht mehr weiter mitfahren – zu viel Schlaf fehlt ihr. Habe GROSSEN RESPEKT davor!!!! Respekt, es sich einzugestehen, dass nichts mehr geht. Sie ist seit Anfang an dabei bei MISSION TWO dabei, das heißt seit ca. 28 Stunden und 330 Kilometern unterwegs. 20 Stunden stehen jedoch noch bevor – vor dem Ende der MISSION TWO. Wir begleiten sie zurück an den Hanauer Hauptbahnhof. OliA - schon fast zu Hause angekommen – dreht um und bringt Goody mit dem Auto nach Hause in Wiesbaden. An dieser Stellle muss es gesagt werden: OliA hat einen SUPER SUPPORT GELEISTET und dafür möchte ich mich recht herzlich bedanken!!!!
Nun sind wir nur noch zu dritt – Nette, Kuota und ich. Kuota macht Tempo - meist zwischen 25 und 30 km/h, damit er nicht friert sagt er!!! Das Thermometer zeigt nur noch vier Grad an. Wir fahren durch die Dunkelheit Richtung Frankfurt - Parkhaus Altsachsenhausen, bei dem für mich die geplante Endstation sein soll. In der Zwischenzeit telefoniert Nette mit dem nächsten Supporter-Team Elli und Adi - Treffpunkt 22 Uhr am Parkhaus. Wir kommen viel zu früh in Frankfurt Stadtmitte an 20.45 Uhr. Nette macht eine Stadtrundfahrt mit uns beiden und es wird immer lustiger. Die besten Sprüche werden wieder aus ihrer Versenkung geholt. Der meist benutzte Spruch ist: „Nette: die Ampel ist Rot - du kannst fahren!!!!“ (Nette fuhr bei fast jeder Ampel über Rot, da ihre Klickpedale nicht mehr wirklich funktionstüchtig waren. Manchmal benötigte sie so lange zu Einklicken, dass sie erst seit 10 Sekunden wieder im Pedal eingeklickt war während die vor uns liegende Ampel wieder auf Rot schaltete. Wir dachten erst, Frauen und Technik *kleiner Scherz*, bis wir die verschlissenen Pedale sahen.)
Nach einigen Extrarunden durch das nächtliche, prächtig beleuchtete Frankfurt kommen wir pünktlich wie die Radler am Parkhaus an und treffen Elli und Adi. Auf zwei Parkplätzen erreichten sie für uns ein kleines Paradies. Sie haben echt alles dabei: Campingstühle, Schlafsäcke, Bunsenbrenner, Tee, Keckse, Suppen. Einfach alles – Wahnsinn!
Für mich ist hier am Parkhaus Endstation: 21 Stunden habe ich die MISSION TWO begleitet. 208 Kilometer und eine Fahrzeit von 10,5 Stunden stehen auf meinem Tacho. Es war ein Erlebnis, eine Herausforderung. Habe neue, nette Leute kennen gelernt. Es hat mir Spaß gemacht und das ist das Wichtigste!!!
Ich packe mein Rad ins Auto, verabschiede mich von Nette und Kuota, die noch eine Fahrt ins Ungewisse bis Sonntag Mittag 14 Uhr vor sich haben und fahre nach Hause. Bei 48 Stunden radeln kommt man an seine Grenzen - körperlich ebenso wie psychisch.
Ein großer Dank geht an:
- Nette, die das Ganze wie Strecke, die anwr-Kinderhilfe-Spendenaktion, Presse und den Support plante.
- Bei Pepper.Salt, der für jeden Streckenabschnitt die richtige Karte dabei hatte.
- Bei Goody, die im Raum Wiesbaden meistens wusste, wo es lang geht.
- Bei Elch & Kuota, dass sie dabei waren und wir viel Spaß miteinander hatten und an
- Whynot, der die Strecke mit Nette plante & die Idee mit der MISSION TWO-Homepage hatte und umsetzte.
- Alle die MISSION TWO-Supporter: OliA, Elli & Adi-the Body
- und diejenigen aus dem Forum, die uns immer wieder aufmunterten per SMS oder mit einem netten Anruf.
Wenn ich jetzt jemanden oder etwas vergessen habe, nicht böse sein: 22 Std. Radeln waren lang für mich
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