Das sind vor allem mal wieder tolle Fotos und ich finde das Rad auch selbst weder unansehnlich, noch irgendwie fragwürdig; der Preis ist fair.
Jetzt soll auch keine Argumentation im Sinne von "hatten'wa nit, brumma au nit" oder "früher war alles besser" folgen. Ganz sicher stimmt das nämlich nicht, und ganz sicher "können" viele moderne Räder wirklich vieles sehr viel besser.
Aber...
Wenn ich das Rad mit meiner "roten Ratte" aus überwiegend geschenkten Teilen vergleiche, komme ich auf ein sattes Kilo weniger Gewicht trotz Stahlrahmen und ansonsten auf eine Geometrie, die fast identisch mit Größe S ist. Nur der Lenkwinkel ist etwas steiler und das Oberrohr ist natürlich gerade, weil eben "old".
1x10 wie in der Einsteigerversion habe ich da auch und kam seltsamerweise mit dürren 34er Schlauchreifen bislang überall ganz gut zurecht. Scheibenbremsen habe ich höchstens bei Schnee mal vermisst, bin aber auch nicht so der waghalsige (oder überhaupt besonders fähige) Fahrer.
Die uralten, dürren Felgen halten auch mit ebenso dürren Speichen und der 130er Schnellspann-Nabe hinten seit sieben Jahren ohne Schlag oder Schaden, auch dann, wenn ich gerade mal so halbwegs fett bin (also im Winter fast immer, und genau dann nutze ich ja dieses Rad). 110 Kilo Systemgewicht sind es dann zwar trotzdem nicht, auch noch längst keine hundert, aber die würde es trotzdem aushalten. Das haben wir mit einem anderen Fahrer ausprobiert und auch der hat es nicht geschafft, irgendwas an dem Gerät "wegzubomben".
Ein gedämpftes Schaltwerk habe ich bislang nicht vermisst, aber ein modernes "Narrow-Wide"-Kettenblatt hatte ich recht schnell montiert. Aus Gründen.
Und wenn ich aus irgendwelchen Gründen wirklich Gepäck im Gelände mitnehmen will, würde ich das wohl in einem Rucksack tun, aber nicht am schutzblechlosen Rad irgendwo im Spritz- oder Sabberbereich direkt neben den Rädern. Das Oberrohrtäschchen ist vielleicht noch die sinnvollste Idee im Bikepacking-Trend.
Damit will ich sagen, dass es zwar durchaus handfeste Vorteile von breiten Hinterbauten, breiten Reifen und Scheibenbremsen gibt, aber ein "Irgendwie-Rennradfahrer" die wenigsten davon wirklich braucht oder sinnvoll nutzt, während der "Irgendwie-eher-so-nicht-Rennradfahrer" dann auch einfach zum Hardtail-MTB greifen könnte.
Und für mich persönlich gilt, dass ich Einfach-Antriebe gerade deshalb schätze, weil man damit die Pedale wirklich nah zusammen bekommen kann und deshalb sogar etwas Bodenfreiheit in Schräglage gewinnt (tiefes Tretlager funktioniert im Gelände eigentlich nur mit geringem Q-Faktor einigermaßen). Mit einem Boost-Hinterbau erzwingt man dummerweise genau das Gegenteil - und bekommt sowieso keine halbwegs aktuellen Kurbeln, die für 1-fach-geeignet sind und einen geringen Q-Faktor um die 140 mm haben. Damit wird einer der größeren Vorteile leider verschenkt, ausgerechnet für "Irgendwie-Rennradfahrer", die gern mal viele Stunden lang am Stück auf ihren Rädern sitzen und deshalb eine schmale Fußstellung oft recht angenehm finden.
Boost, Boost Road, 142, 148, Gravelbike, Bikepacking, achliebergott.
Aber ja, geben muss es das natürlich. Und jeder, wie er mag.
Das Marketing-Sprech stört mich daran viel mehr, als die Idee an sich.