In Gr. S OR 540 und 72,5° Sitzwinkel? Häää?
Mir würde das passen und ist damit eine echte Ausnahme bei modernen Rädern, weil ich relativ klein bin, mit langen Armen und kurzen Beinen.
Das längere Oberrohr wäre dann einfach nur das Ergebnis des flacheren Sitzrohrwinkels: wenn Du an einem beliebigen Rahmen das Sitzrohr "ums Tretlager nach hinten drehst", wird das Oberrohr automatisch länger. An der sonstigen Geometrie und der möglichen Sitzposition ändert sich dadurch aber erstaunlich wenig, weil das Vorderteil des Rahmens ja nicht insgesamt länger wird und man ggf. einfach eine Sattelstütze (oder eben einen Dom) ohne Versatz nehmen kann, oder den Sattel etwas weiter nach vorn schieben.
Geometrie ist letztendlich eine Frage des Verwendungszwecks und Fahrertyps, und ein wenig auch des Zeitgeists:
Rennräder der 80er waren im Vergleich zu heutigen eher vorne kurz und hinten lang, mit Lenkwinkeln zwischen 73 und 74,5 Grad. Fußfreiheit beim Lenken gab es häufig nicht, aber das hat niemanden gestört (und würde es auch heute nicht). Wirklich hektisch fuhr sich so ein Gestell trotz des steilen Lenkwinkels nicht, weil wegen des kurzen Vorderteils relativ viel Gewicht auf dem Vorderrad lag. Der relativ lange Hinterbau beruhigte bei hohem Tempo und trug ebenfalls zur Verschiebung des Schwerpunkts nach vorn bei. Ergebnis: Diese Rahmen fahren sich auch in bequemer, relativ aufrechter Sitzposition noch angenehm, und davon geht der Hobbyfahrer ja viel eher aus.
Seit ca. Mitte der 90er etablierten sich Geometrien mit langem Vorderteil und kurzem Hinterbau; flache Lenkwinkel und steile Sitzwinkel wählt man außerdem oft, um in einen kleinen Rahmen mit fetten Rohren überhaupt noch 28"-Räder zu bekommen und die angeblich so wichtige Fußfreiheit zu erhalten. Die Oberrohre werden dadurch zumindest virtuell kürzer, im Wirklichkeit werden kleine Fahrer aber einfach nur ein paar Zentimeter nach vorn geschoben. Das alles ergibt bei einer ausgesprochen sportlichen Sitzposition auch Sinn: Der Schwerpunkt wandert ebenfalls wieder nach vorn und gleicht damit das längere Vorderteil aus, der Hüftwinkel öffnet sich und sorgt für einen schöneren Bewegungsablauf mit möglicherweise besserer Kraftübertragung. Das ist im Grunde genommen nichts anderes, als die alte Tria-Position: Der relativ entspannt sitzende Radler wird einfach ein Stück weit ums Tretlager nach vorn gedreht und damit aerodynamisch. Nachteile: Der Kopf muss entsprechend weiter angehoben werden, und solche Geometrien fahren sich bei entspannter Sitzposition relativ beschissen. Meiner Meinung nach ist das eine hervorragende Idee für Wettkampffahrer, aber eine schlechte für Durchschnittstypen.
Wie gesagt: alles eine Frage des Verwendungszwecks und der Mode.
Der flache Lenkwinkel würde mich hier jedenfalls viel stärker stören, als das lange Oberrohr. 71 Grad reichten früher für MTBs, um die 70 für schnelle Motorräder.