AW: Rund um`s DIAMANT - Technik-Touren-Typen. - Teil 2
Bitte informiert Euch vor einer Neuverchromung über das Thema "Wasserstoffversprödung" im Zusammenhang mit dünnwandigen Teilen aus Stahl. Im galvanischen Bad lagert Stahl Wasserstoff ein und versprödet dabei für anschließende mechanische Belastung, zu der auch Biegebelastung gehört. Dies geschieht von der Oberfläche an: je dünnwandiger der Stahl, desto größer ist also die Bedeutung für die Sicherheit des betroffene Teiles. Es kommt auch auf die vorherige Härte des Stahles an; je härter, desto mehr Wasserstoff wird eingelagert. Ebenso kommt es auf die Temperatur der Bäder an, je höher, desto größer die Versprödung. Dadurch, daß der Preiskrieg im galvanischen Gewerbe die langsame Handbearbeitung von Teilen zugunsten zeitsparender Prozesse fast völlig verdrängt hat, würde ich lieber mit dem Thermometer danebenstehen wollen.
Das erneute Verchromen eines massiven Teiles, wie einer Kurbel, mag unproblematisch sein (jedoch besteht auch hier die Möglichkeit, daß es durch übermäßiges Schleifen in seiner Form verunstaltet wird), bei einer Gabel jedoch, die bereits einmal verchromt war, wäre es mir nicht geheuer, denn die Wasserstoffaufnahme addiert sich: war das erste Verchromen und der damit einhergegangene Verlust an Belastbarkeit noch bei der Herstellung eingeplant, ist nach dem zweiten vielleicht schon so viel Versprödung eingetreten, daß die Gabel fortan unsicher zu fahren ist. Bei einer Gabel, die bisher nie verchromt war, besteht natürlich weniger Gefahr. Die größte Versprödung tritt an gehärteten Teilen ein, beispielsweise Sattelgestellen mit ihren gehärteten Federn, die nach einer zweiten Beschichtung gerne so hart werden wie eine Brezel, nur noch zu Schauzwecken zu gebrauchen sind und selbst dort dem ernsthaften, an Originalität interessierten Sammler störend auffallen.
Im Übrigen hat es sich mir bisher immer gezeigt, daß Teile mit guter Originalbeschichtung nach einigem Suchen zu gleichem oder gar geringeren Preis zu finden sind, der für eine Neubeschichtung hätte bezahlt werden müssen, dazu noch einen wesentlich höheren Wert besitzen und sich wesentlich harmonischer in das Gesamtbild eines Rades mit Originallack einfügen. Mit galvanischen Neubeschichtungen und auch Neulackierungen löst man immer eine ganze Lawine von Zugzwängen aus: mit der Neuverchromung von Teilen zwingt man sich zur Neulackierung des Rahmens; begann mit aber mit einer neuer Lackierung, so ist man spätestens jetzt gezwungen, alle alten Teile neu beschichten zu lassen, damit das Ergebnis halbwegs rund und glaubwürdig erscheint - wenn man bei einem Jahrzehnte alten Rad im Neuzustand überhaupt noch von Glaubwürdigkeit sprechen kann. Hat man richtig Pech gehabt, konnte der Schleifer nicht alle Rostkrater herausschleifen, entweder weil er befürchtete, eine Wandung zu durchbrechen, oder weil er mit dem Polierfilz nicht an diese Stelle gelangte. Hatte man sich nicht für das äußerst teure Verkupfern der Rostkrater entschlossen, verbleiben in diesem Falle Krater in der neugeschaffenen Chromoberfläche, die jedem Fachkundigen sofort zeigen, daß er sich um das Ergebnis einer Neuverchromung handelt. Von demselben Problem ist übrigens auch das Polieren von Aluteilen betroffen: tiefe Kratzer im Aluminium lassen sich oft nur unter Verlust der Form des Teiles verschleifen/-polieren und beläßt man es bei einer nur oberflächlichen Politur, entsteht durch die dann verbleibenden Kratzer im Alu eine befremdliche Mischung aus Original und Aufhübschung. Das kosten- und zeitsparenste, dazu nervenschonende und preiswerteste Verfahren ist es, die Teile original zu belassen, sie allenfalls vorsichtig zu reinigen.
Auch der Aspekt der Umweltverträglichkeit sollte nicht unbeachtet bleiben. Ein Bekannter läßt regelmäßig Motorrad- und Fahrradteile in Masuren, Polen, verchromen. Auf die Frage nach der Umweltverträglichkeit pflegt er zu antworten: "Na und? Ist doch nicht bei uns."