... und nun? Mentale Vorbereitung!
Bumbum Boris hat's so gemacht, die Formel-1-Fahrer machen es, Rennrodler, Bobfahrer und ansonsten auch alle anderen. Warum also nicht wir? Was? Die Strecke vor dem geistigen Auge durchgehen. Die Strecke auf den Hohen Peißenberg. Aber wo anfangen? Am Start vielleicht? Probier'ma's halt.
Ortsausgang Peißenberg. An der Hauptstraße nach Hohenpeißenberg sind wir gerade am Wegweiser nach St. Georg nach rechts abgebogen, an ein paar Häusern vorbeigeradelt und nun stehen wir an der Bahnunterführung. Letzte Vorbereitungsmaßnahmen. Überflüssige Wasserflaschen ausleeren, schnell noch einen Riegel oder besser ein Gel reinziehen, Westen und sonstige beim bergauf Radln überflüssige Bekleidung ausziehen und irgendwo unterbringen, sich weiteren überflüssigen Gewichts entledigen und noch ein letztes Mal darüber nachdenken, ob man sich wirklich für rechts und damit den Berg namens Hoher Peißenberg oder für geradeaus und damit den Ort Hohenpeißenberg entscheiden soll. Aber wie auch immer. Einmal ist die Entscheidung getroffen, und es geht los. Klar, wir haben uns vorbereitet, und die Strecke in handliche Ein-Kilometer-Stücke aufgeteilt. Sechseinhalb solcher Stücke haben wir hinter uns zu bringen. Wenn wir davon ausgehen, daß wir pro Kilometer 4 bis 5 Minuten brauchen - manche werden schneller sein, manche langsamer -, dann rechnen wir mit einer Fahrtzeit von gut 26 bis 32 Minuten. Aber solche Überlegungen helfen uns nicht, denn wie gesagt, es geht los:
Kilometer 1
Es geht gleich gescheit bergauf. Aber nur ein Stück. Okay, aus dem
Sattel gehen und diese 100m hinter uns bringen. Mist, da ist ja gleich noch so ein Stück! Puh, also wieder hinsetzen. Dann geht wenigstens der Puls nicht so weit rauf. Hoffentlich geht das nicht die ganze Zeit so weiter. Nein, pffff, jetzt wird's flacher. Gut. Durch den Wald. Mit der einen oder anderen Welle, aber insgesamt packen wir das und bringen so den ersten Kilometer hinter uns.
Kilometer 2
Fein, wir haben uns eingeradelt. Geht eigentlich ganz gut. Ungefähr 500 weitere Meter sind schon wieder geschafft. Da kommen wir aus dem Schatten des Waldes wieder ins Sonnenlicht. Straße ist gut. Am Ende der Straße sehen wir ein Haus. „Wie mag es da nur weitergehn?“, fragen wir uns. Aber nichts ist zu sehen. Also weiterradln, weiterradln, bis wir da sind. Ui, eine Linkskurve, und nochmal ui, phhhhhhhhhhh, da geht's aber rauf. Gut, keine 10 Meter, aber sofort aus dem
Sattel... Mist, der total falsche Gang. Aber irgendwie geht's schon. ... Gott sei Dank. Das waren aber 10 Meter! Ne, so ein Mistteil! Aber gut, es geht fast flach weiter ... ausruhen - wieder im Wald und der zweite Kilometer ist auch geschafft.
Kilometer 3
Wieder kommen wir aus dem Wald. Boah, hey, tolle Aussicht da rechts. Und da vorne ist rechterhand ein Haus - der Weinbauer, glaub ich, ist das - und direkt am Haus führt die Straße in eine Linkskurve. Aber wir genießen die Aussicht und übersehen fast, daß es am Ende der Kurve gleich wieder bergauf geht. Schaut aber nicht so schlimm aus. Ah, eine Bodenwelle. Gut, bergauf. Stört nicht. Aber irgendwie hat die Welle klargemacht, daß es doch nicht so ganz banal ist, da raufzukommen. Außerdem meldet sich das erste Puddinggefühl in den Oberschenkeln. Ja, okay, Zähne zusammenbeißen und weiter. Geht scho! Und da: noch eine Bodenwelle. Aber gut, sie kündigt das Ende des Anstiegs an. Nein, ganz hört er nicht auf, aber er wird flacher und wir freuen uns darauf, wieder ein Stück bergauf ausruhen zu können. Ja, gut, es zieht sich doch wieder ein wenig hin, aber es geht und so bringen wir auch diesen Kilometer zu einem guten Ende.
Kilometer 4
Das ist der entspannteste Kilometer. Ein echt flacher Kilometer. Anfangs glaubt man's fast nicht, aber er ist wirklich flach, und es lohnt sich sogar, ihn auf dem großen Blatt zu fahren. Wir können nun Kraft schöpfen, einen kräftigen Schluck aus der Flasche nehmen und neben all der landschaftlichen Schönheit um uns herum linkerhand die wunderbare Aussicht auf die kilometerlange Alpenkette genießen. Und da wissen wir, warum wir uns das nun schon seit vier Kilometern antun. Na ja, bringen wir den Kilometer also hinter uns ... aber halt! Da war doch was. Abbiegen! Jawohl! Abbiegen. Nach rechts. Am Ende dieses entspannten Kilometers, dessen Streckenverlauf uns ganz intensiv und gemeinerweise zum Geradeausfahren verleiten mag. Wie viele da wohl schon falsch geradelt sind? Ein Haufen! Und manche sogar mehrmals. Nein, so eine Vergeudung! Nach Hohenpeißenberg wollen wir ja schon überhaupt nicht. Also bleiben wir auf dem rechten Weg und biegen da, wo zu unserer Rechten zunächst ein dichter Baum oder Busch, dann ein geteerter Weg und danach das erste Haus nach der entspannten Fahrt auf dem großen Blatt kommt, rechts in besagten Weg und wissen sofort, daß es wieder zur Sache geht, denn Kilometer vier ist nun Vergangenheit.
Kilometer 5
Der Anstieg ist nicht schlimm. Es geht wieder in den Wald. Da ist's auch nicht schlimmer. Dann ist der Wald aber zu Ende und dann, dann steht da schon wieder so ein Miststück von Rampe im Weg. 100 Meter vielleicht. Packen wir. Logo! Und da oben ist es ja auch schon wieder vorbei. Also aus dem
Sattel und diese 100 Meter niederradln! Toll. Noch zwei Meter und dann wieder gemütlich ... hey, ne, das ist aber jetzt nicht ernst gemeint, oder? Da geht's ja noch ewig weiter, und das bergauf. Flacher, aber das geht jetzt total in die Beine. Und wir wissen, wenn Panchon bei der Auffahrt einen Krampf oder gleich zwei bekommt, dann hier. Nirgendwo sonst. Puh, also nochmal den Frust weggedrückt und weiter. Es geht so richtig schlecht, und das sehen uns die Wanderer auch an. Aber so geht's auch nicht. Wir setzen also das entspannteste verkrampfte Lächeln auf, zu dem wir fähig sind, und grüßen die überraschten Wanderer mit einem möglichst ungepreßtem und festen "Servus". Dann lassen wir sie stehen und hoffen, daß diese furchtbaren 500 Meter irgendwann vergehen mögen. Und das tun sie dann auch.
Kilometer 6
Es ist nicht mehr weit. Der Fernsehturm ist schon zum Greifen nahe. Da muß es doch dann auch sein, oder? Na ja, weiter und schauen. Leicht bergauf. Bis zum Ende der geteerten Wirtschaftswege. Da ist die normale Bergstraße. Da geht's jetzt weiter. Noch gut ein Kilometer, aber nicht so schlimm - über leichte Wellen insgesamt bergauf und nun sehen wir, daß nicht der Fernsehturm das Ende der Reise markiert, sondern ein anderes Gebäude, ein Restaurant. Und wir sehen auch den weiteren Straßenverlauf. Schaut nicht mehr schlimm aus. Mit einem Blick auf unsere Bordinstrumente prüfen wir, wie wir in der Zeit liegen. Nein, wir haben nicht gestoppt. Wir machen ja auch alles, nur kein Bergzeitfahren, aber wissen, wissen möchten wir das jetzt schon. So ungefähr jedenfalls. Außerdem können wir jetzt mit unseren Reserven locker Gas geben, denn das ist ja alles gar nicht mehr tragisch. Wozu also noch Reserven aufheben? Das fragt man sich am Ende dieses Kilometers.
Noch 500m
Alles ganz locker und entspannt. Links unterhalb des Restaurants ein Parkplatz. Ja, und da ist auch die letzte Linkskurve und rechts die Friedhofmauer, auf der dieser Panchon immer so herumgeritten ist. Stimmt, ja, da geht's ja doch nochmal gescheit rauf. Aber die Reserven? Wo sind die jetzt hin? Jetzt, nach 6 Kilometern und 300 Metern nochmal aus dem
Sattel? Geht das noch? Probieren! Vorsichtig. Kurbelumdrehung für Umdrehung. Den Blick auf die zwei Meter Teer vor der Vorderrad gerichtet. Wie viele Umdrehungen noch? Ein vorsichtiger, flüchtiger Blick nach oben. Und da oben stehen schon die anderen. Wie lange sind die da nur schon? Schreien tun sie auch noch. Hopp, hopp, hopp... Jetzt durchhalten. Noch 50 Meter... noch 35, ... noch 25, .... ja, wir schaffen das! Hey! Und wir grinsen! Jemand fotografiert das Grinsen. Und dann sind wir da!
Viele Grüße
Franz