Nach Jahrzehnten bin ich mal wieder mit einem Italiener in Italien unterwegs. Vor über 30 Jahren fuhr ich mit einem Bianchi 910S in Metallic-Rot
durch die Umgebung Sienas, bestimmt auch in der heutigen Eroica-Region. Das Bianchi ist lange Geschichte, viele andere meiner Räder haben Italien gesehen und nun stand die Entscheidung vor dem Urlaub: Klassiker statt Postmoderner. Mit dem Faggin habe ich mich technisch-zeitlich noch vor das Bianchi begeben: 6fach Reibschalthebel an Gradparallelogrammschaltwerk, GPM-
Bremsen mit Originalbremsgummis, 52/42 GPM Dual-Sprint-Kurbel. Weil auch an mir die Jahre nicht spurlos vorübergegangen sind, wurde oberhalb des Oberrohrs konsequent ergonomisch aufgebaut.
Ebenso ist moderne Beleuchtung an Bord. Was Ergonomie und Sicherheit angeht bin ich ungeniert pragmatisch.
Das Faggin hat einen verchromten Aelle-Rahmen. Der Lack ist ziemlich ramponiert, die Decals auch, hier und da Rost, die darunterliegende Verchromung sorgt aber immer noch für Glanz und Gloria. Eine Oberfläche, die so nur im Gebrauch entsteht, das kannste für Geld nicht kaufen.
Nachsaison in der Versilia, über zwanzig Kilometer am Meer entlang, breite Straßen und/oder gute Radwege, ab und an auf dem Steg aufs Meer geblickt, milder und mäßiger Gegenwind. Endlich: Gestern hat es noch dauergeregnet, aber Schwimmen ging trotzdem.
Wollte eigentlich nur flach fahren, und bin mit sechzehn Km/h dahingetrödelt, aber plötzlich bin ich im Industriegebiet, alles ist riesig und laut, ich werde instinktiv schneller. Und schon ist entschieden, die Serpentinen nach Montemarcello hinauf zu fahren, hab keine Ahnung ob 42/28 reichen werden.
Haben sie, war steil, aber die Saison mit dem Faggin und über 8600 km haben positive Spuren hinterlassen. Ein übriges taten die Kollegen mit den Postmodernen, allesamt leichter und teurer und kompaktgekurbelt. Immerhin gab's oben einen Sprint um's Ortschild und einen Espresso in der Sonne.
Die Abfahrt hab ich genutzt, um die tollen Aussichten festzuhalten, die im Anstieg zu sehen waren.
Blick auf die Steinbrüche von Carrara.
Nach der Abfahrt fahr ich den gleichen Weg zurück, zumindest versuch ich's und finde dann doch eine Ecke die der Tourismus nicht erreicht hat, ein Ort von eigener Schönheit ...
Zurück auf dem "Highway" treibt mich der Rückenwind die Küste in Richtung Süden hinab.
Mit 52/14 und 38 km/h fliege ich über den (hier echt guten) Asphalt. Hubraum ist einfach durch nichts zu ersetzen
Ein Postmoderner versucht dranzubleiben, ich fahre weiter, könnt ewig so gehen. Der Kollege entschwindet hinter mir, es ist langsam dunkel, egal, irgendwann kommt bestimmt die Bar am Strand, an der ich abbiegen muss ...
Die Gegend ist immer noch schön, irgendwie sieht alles immer schöner aus und der Wind treibt, aber der Name des letzten Ortsschild kommt irgendwie nicht in meinem Wortschatz vor.
Unweit einer Bar in einer schönen Stadt halte ich wiederwillig, zücke das Handy und stelle fest, dass ich knapp sieben Kilometer übers Ziel hinausgeschossen bin ...
Bestens, dann nehm ich mal auf alle Fälle ein Frühstück abends um Acht zu mir, man weiß ja nie, sieben Kilometer können lang werden.
Herrlich, dieser laue Wind an der Küste, das Faggin war die richtige Wahl denke ich, während ich der rotierenden GPM-Kurbel im Scheinwerferlicht zuschauend die Strecke zurück zum Ferienhaus rolle ...