Bei Geschichten bin ich immer gerne dabei
Und der Krug wäre vielleicht ein Ansporn, doch mal noch die große Runde zu machen.
Meine Geschichte spielt bei der ersten
Tour - Transalp 2003 und ich habe sie gewählt, da es draußen gerade so schön kalt ist.
Kalt erwischt - auf dem Kaiserjägerweg
Noch nie kam mir eine Abfahrt so lange vor und noch nie habe ich mich so sehr nach dem nächsten Anstieg gesehnt. Mit etwa 70 Stundenkilometern jage ich gefühllos hinter meinem Freund Bernd her, versuche sein Hinterrad nicht aus den Augen zu verlieren, obwohl ich kaum mehr meinen Lenker halten kann. Wir sind in diesem Abschnitt zu schnell zum Treten, und trotzdem lasse ich die Beine kreisen, so schnell ich es noch kann. Immer wieder lässt ein unkontrolliertes Zittern meinen ganzen Körper erbeben. Ich friere erbärmlich und langsam beschleicht mich sogar so etwas wie Angst. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so kalt gefühlt. Was ich gerade erlebe, ist absolutes Neuland für mich, und es kommt völlig unerwartet. Während der vorangegangenen fünf Etappen seit unserem Start in Oberammergau war es mir bei sommerlichen Temperaturen im Grunde immer zu heiß gewesen.
Mein Stoffwechsel war schon immer eher der eines Nord- als eines Südländers. Ich friere nicht schnell, meist macht mir eher das Gegenteil zu schaffen. Natürlich habe ich trotzdem schon vorher Situationen erlebt, in denen es mir wirklich kalt war. Während meiner Wehrdienstzeit zum Beispiel, beim Winterbiwak und zweistelligen Minusgraden. Während meiner Grundausbildung lag ich einmal mehrere Stunden in einer mit Regenwasser vollgelaufenen Schützenmulde und durfte mich im Beobachten üben, auch damals quittierte mein Körper das mit Dauerzittern und schon damals wurde mir klar, dass die Nässe der größere Feind ist als die Kälte. Doch stets hatte ich das Gefühl, dass das Frieren zwar unangenehm ist, aber ungefährlich.
Genau das fehlt mir gerade. Ich frage mich nämlich ernsthaft, ob ich schon dabei bin Schaden zu nehmen und mir fällt nichts ein, was ich dagegen tun könnte.
Durch meinen Kopf schwirrt da erstmals das Bild einer heißen Badewanne. Ein Traum, der mich den ganzen restlichen Tag nicht mehr loslassen wird.
Jetzt wird die Straße wieder kurvig. Es fällt mir schwer meine Finger zum
Bremsen zu bewegen und als sie den Befehl aus meinem ebenfalls schon verlangsamten Gehirn endlich umsetzen, greifen sie viel zu beherzt und vor allem zu lange zu, so dass ich schon vor der Kurve fast zum Stehen komme. Nach drei weiteren Kurven ist mein vorausfahrender Freund Bernd nicht mehr zu sehen. Ihm scheint es mal wieder besser zu gehen als mir.
Hätte ich doch nur eine vernünftige Regenjacke eingepackt statt des allenfalls wasserabweisenden Windbreakers, der dem Regen schon nach Minuten nichts mehr entgegenzusetzen hatte, der schon seit heute Morgen beim Start in Levico Terme auf uns niederprasselte.
Schon im steilen Anstieg über den Kaiserjägerweg hinauf zum Passo Vezzena war mir trotz der Anstrengung kalt gewesen, auch das hatte ich vorher nie erlebt. Wieder zittert mein Körper unkontrolliert und mir entfährt eine seltsame Mischung zwischen Lachen und Weinen wie es mir nur in Momenten echter Verzweiflung passiert.
Zeitungspapier. Ich brauche unbedingt Zeitungspapier. Endlich wenigstens eine Idee. Bernd hat gewartet und wir passieren erste Häuser am Straßenrand und kurz später das Ortsschild. Ein Segen, dass nahezu jedes italienische Dorf noch eine Bar im Ortszentrum hat, kaum auszudenken wie lange man dafür in der deutschen Peripherie manchmal fahren muss. Der Besitzer hinter dem Tresen starrt mich zunächst nur an als ich ihn um Giornali statt um einen Cafe bitte und ihm mit Gesten zu verstehen gebe, dass ich diese nicht etwa lesen, sondern sie unter mein Trikot zu schieben gedenke. Doch letztlich scheint er meine Situation und Verzweiflung zu erfassen. Kurz später erscheint seine Frau mit einem Stapel alter Gazetten und ich stopfe sie unter Beobachtung und aktiver Mithilfe der mich mittlerweile umringenden Barbesucher üppig unter die Kleidung. Es fühlt sich sofort gut an und mit einem Schulterklopfen schicken mich die Italiener zurück auf die Straße, wo mein Mitstreiter schon ungeduldig auf mich wartet.
In folgenden Anstieg hinauf zum Passo Campomolon regnet es nicht mehr und als die Kleidung nach etwa der Hälfte wieder halbwegs trocken ist, entledige ich mich der dicken Zeitungsschichten wieder, die zwar sperrig wie eine Rüstung zu tragen waren, aber nicht weniger als mein Leben gerettet haben. So jedenfalls empfinde ich das, als ich sie an einer Mülltonne endgültig entsorge.
Warm wird es mir die ganze restliche Etappe nicht mehr, die nach der Abfahrt vom Passo Coe im sonnigen Folgaria zu Ende geht. Immer wieder träume ich in den folgenden Stunden von einem heißen Bad. Nach der Ankunft sitze ich noch lange auf einer Treppe in prallen Sonne und versuche so viel Wärme wie möglich aufzunehmen.
Ich kann es kaum fassen und bin einfach nur dankbar, dass ich das Ziel nach dieser Tortur heute noch erreicht habe. Statt eines heißen Bades wartet zwar nur die Sammeldusche und eine weitere harte Nacht in einer Turnhalle, aber das stört mich jetzt schon nicht mehr. Wäre nach der Abfahrt vom Passo Vezzena heute unterwegs ein Begleitfahrzeug gestanden, ich wäre ohne Zögern eingestiegen und hätte das Rennen beendet. Schön, dass keines der vielen Begleitfahrzeuge bei dieser Veranstaltung zu uns gehört.
Wir haben im Regen wegen mir viel Zeit verloren und sind auf dieser sechsten Etappe der ersten Tour-Transalp erst als 39. Zweierteam ins Ziel gekommen, unser bisher schlechtestes Tagesergebnis. Aber andere mussten heute ganz aufgeben, auch ein Team, das vor uns lag. Und so behalten wir unseren 22. Platz in der Gesamtwertung, den wir bis zum letzten Tag verteidigen werden.
Anhang anzeigen 868665
Im Ziel noch immer mit Regenjacke (der ohne Haare), aber wieder halbwegs unter den Lebenden.