AW: Berlin - Usedom 29.4.2007
Man hätte meinen können, die Götter hätten sich gegen uns verschworen. Beinahe winterliche Temperaturen und starker Wind von vorne sollte das Unternehmen schwieriger machen als erhofft.
Dennoch setzte sich um 6:09 ein Trek von etwa 10 Leuten in Bewegung, um am Rathaus Pankow etwa nochmal so viele Mitfahrer in Empfang zu nehmen. Entgegen der Ankündigung warteten wir noch ausgiebig auf Nachzügler, sodass wir beinahe exakt um 6:30 in Pankow starten konnten. 20 Mitfahrer - das gab es auch bei kürzeren Höllentouren, bei denen man nicht mitten in Nacht aufstehen musste, um Wind und Wetter zu trotzen doch eher selten. Im Windschatten so vieler Mitstreiter war vom Wind nicht allzuviel zu spüren: die volle Härte des Unbills entlud sich allerdings auf den wackeren Kämpfer, wenn er durch (zunächst sehr diszipliniert und harmonisch durchgeführte) Führungswechsel an die Spitze des Pelotons gespült wurde, um selbst sein Scherflein zum Gelingen des Unternehmens beizutragen.
Beim Zurückfallenlassen nach Ende der Führung dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis ich wieder das Ende erreichte, so groß war die Gruppe selbst noch in Zweierreihe. Ich zitiere twobeers: "Das ist Rennradfahren". Ich dachte, dass es bei dem Wind sicher von Vorteil wäre, wenn möglichst lange alle zusammenblieben, denn einmal hinten rausfallen bedeutete mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass man nicht mehr an die Gruppe rankommt. Das durfte ich nach nach einem wirklich sehr kurzen voodoo-verabschiedungs-stop kurz vor Liebenwalde eindrucksvoll erfahren. Ein fünfminütiger Kampf mit hochrotem Kopf gegen den Wind endete erst bei der ersten kollektiven Pinkelpause. Glück muss man halt auch manchmal haben...
Dann waren die ersten Verluste zu beklagen: Köpenicker liess reissen und profitierte von der ersten (und glücklicherweise einzigen) Reifenpanne kurz hinter Zehdenick. Er und campi sahen schon sehr angestrengt aus, sodass ich den Fehler beging, den beiden zu empfehlen, gemütlich alleine weiterzufahren, bis wir hinterhergekommen sind. Ich sagte zwar ausdrücklich, sie sollten niemanden mitnehmen, aber das wollte vom Rest keiner hören. *Diese* Gruppenteilung war unnötig! So mussten wir uns zu sechst zum Rest der Gruppe durchkämpfen, die wir erst kurz vor Prenzlau erreichten.
Es war klar, dass sich ab Prenzlau die Gruppe spalten würde (was ja de facto eigentlich schon vorher passiert war). Die Gegend wurde hügeliger - das wäre genau das richtige Terrain für sheep gewesen, wenn der nicht wegen Knieprobleme hätte aufgeben müssen. Ausserdem dachte ich bis dahin noch, dass Wind von vorne das schlimmste wäre, was passieren kann. Ich wurde eines besseren belehrt: Der dann vorherrschende Wind von seitlich vorne führte dazu, dass eigentlich jeder im Wind fahren musste. Dazu kam, dass der Wind bis dahin einigermassen kräftig war: ab Prenzlau war er aber richtig stark. Am ersten längeren Hügel war es dann soweit: wir waren nur noch zu acht. Boniperti, artvandelay, Matze, twobeers, schosseeradler, geotone, Wunderkind und ich. Kurze Zeit später sprintete dann noch grege von hinten ran.
Ab hier würde ich gerne einen Bericht der B-Gruppe lesen
Die restliche Fahrt bis Anklam war dann hart. Jedesmal, wenn sich der Tunnelblick etwas lichtete, sah man wunderschöne Rapsfelder unter blauem Himmel - ein schöner Ausblick. Blos blieb es leider meist beim Tunnelblick. Wir waren zwar zu neunt in der Gruppe, aber nennenswerte Führungsarbeit leistete eigentlich nur noch knapp die Hälfte. Boniperti und artvandelay übernahmen dabei den Löwenanteil, Matze warf sich auch des öfteren aufopferungsvoll dem Wind entgegen. twobeers und ich taten auch unser Möglichstes. Leider war nicht mehr allzuviel möglich
Irgendwann musste ich das Stadium des Deliriums erreicht haben. Ich hörte Dinge, die eigentlich gar nicht sein können und die es noch nie gab: twobeers sagte: "Ich bin ziemlich platt". Schossee und geotone mussten alsbald abreissen lassen. Einmal haben wir noch auf sie gewartet - allerdings eher zufällig, denn artvandelay kam auf die Idee anzuhalten und zur Diskussion aufzurufen, ob wir die verbliebene Gruppe nicht spalten wollen. Bei verbliebenen sieben Leuten wusste aber niemand sonst so recht, wozu das gut sein soll. Irgendwann war dann twobeers zusammen mit schossee weg. Sie starteten eine wilde Aufhol- und Flaschenaufsammeljagd und schafften es tatsächlich noch, uns vor Anklam einzuholen.
Anklam - ich starrte dauernd auf meinen Tacho und versuchte zu rechnen, wie lange es wohl noch dauern möge. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, aber irgendwie genauso unrund, wie die Beine ums Tretlager kreisten. In Anklam hatten wir dann fast eine volle Stunden Pause gemacht, bis wir und einigermassen erholt hatten. Im Windschatten vor dem Bahnhof und auch vor dem Cafe erschien es uns beinahe sommerlich warm. Twobeers musste dann fast mit Gewalt dazu gezwungen werden, weiterzufahren. Wir entschieden uns, spontan die Route zu ändern und doch über Usedom nach Ückeritz zu fahren.
Ab Anklam war mir alles egal. Es tat nichts mehr weh - über dieses Stadium war ich hinaus. Ich fragte mich, wie Boniperti und artvandelay noch so lange Führungen fahren konnten. Ich war hinter Boniperti in zweiter Position meist schon so mürbe, wenn ich vorne ankam, dass ich nur noch in Trance vor mich hintreten konnte. Auf der Brücke nach Usedom dachte ich, ich fahre rückwärts. Dann kam der rettende Wald. Und an einem der letzten Hügel war es soweit: Ich war mit Matze hinten rausgefallen. Mit vereinten Kräften und unter maximalem Aufbäumen schafften wir es noch, an die Gruppe ranzufahren.
Dann waren wir endlich da. Unglaublich, wir hatten es geschaff!. 245km standen auf meiner Uhr und etwas über einem 30er Schnitt. Das klingt nicht schnell. Aber es war auf jeden Fall deutlich anstrengender als die 200km im Spreewald letzte Woche.
Dennoch war es eine schöne Tour und ich bedanke mich beim Organisator und natürlich bei den unermüdlichen Windschattenspendern Boniperti und artvandelay. Bei einer solchen Tour bin ich jederzeit wieder dabei. Nächste Mal bitte weniger Wind und wärmeres Wetter bestellen