Winterbrevet
Heute geht’s los. Das Ziel ist die Emmericher Rheinbrücke, der Hinweg über Ruhr und Rhein, der Rückweg quer durchs Münsterland, gute 200 km. Der Blick nach draußen verrät einen herrlichen Tag mit viel Sonnenschein und blauem Himmel. Für den Nachmittag ist zwar ein Tief vorhergesagt, aber das soll südlich von Köln durchziehen, und der Sonntag ist keine Alternative: Am Montagabend sind Schwimmprüfungen angesagt, da will ich einigermaßen ausgeruht sein.
Leider ist das Rad nicht ganz fahrbereit. Die Schaltung zickt, und die neue Lenkertasche (lag unterm Weihnachtsbaum) muss nach Vorbauexperimenten wieder dran. Zum Glück haben die
Reifen den Druck gehalten, was wichtig für die Motivation ist, weil ich die Conti GP4000 nach einer Pannenserie wegen der Arbeitswege gegen die
Schwalbe Marathon getauscht hatte. Jetzt sind die Conti wieder drauf, gut dass sie gehalten haben.
So ist 10:00 durch, bis ich mich auf den
Sattel schwinge und losrolle. Wegen des herrlichen Wetters habe ich nur ein Laufhemd und ein Trikot an, und hole nach 150 gerollten Metern die Regenjacke raus und ziehe sie an. Das schöne Wetter täuscht: Es ist kalt. Auf die Idee, zurückzufahren und mehr Kleidung mitzunehmen komme ich nicht, was ich später noch bereue.
Bis zum Niederrhein rollt es sich sehr angenehm, das Wetter ist klasse, die Motivation hoch. Nach 40 Kilometern ist die erste Flasche leer, der Mensch im Schnellimbiss ist irritiert und genervt, füllt mir aber die Flasche auf. Danke nochmal!
Dann zieht von Westen eine scharf umrissene Wolkenfront auf, und es wird deutlich kühler. Jetzt würd ich gern noch was anziehen, und erhöhe ein wenig die Leistung, um mich aufzuwärmen, was auch gut klappt. Der Wind kam die ganze Zeit aus Südosten, was mich an der Ruhr nicht gestört hat und am Rhein angenehm schiebt. So komme ich gut voran.
Der Rhein führt grade Hochwasser, beeindruckend! Das Fuzzehandy mag die Stimmung nicht ganz einfangen, die Ufer sind unter Wasser, und oft reicht das Wasser bis zum Deich hoch! Die Anrheiner haben kleine Fluttore geöffnet und fluten das Hinterland. Was ich sehr umsichtig finde, anstatt das Problem an die Niederländer weiterzureichen. Die würden sich ja auch bedanken.
Der Rhein führt Hochwasser - auf der anderen Seite sind die Felder geflutet
Dann dreht der Wind auf Ost und frischt enorm auf. Mittlerweile hat es sich zugezogen, es wird kalt, und der Wind wird langsam schneidend. Von Sven Plöger habe ich gelernt, dass Tiefdruckgebiete sich gegen den Uhrzeigersinn drehen, was bedeutet, dass ich nun auf seiner Nordseite bin. Vielleicht habe ich Glück und komme trocken nach Hause.
Dann erreiche ich um 14:15 die Emmericher Rheinbrücke. Seit Stunden überlege ich, nun einfach umzukehren und den gleichen Weg zurückzufahren, zumal ich ziemlich genau auf der Hälfte bin. Von vergangenen Fahrten habe ich gelernt, dass Gegenwind im Münsterland nichts ist, worüber man Witze macht. Die Fahrt zurück bedeutet erstmal südliche Fahrtrichtung bei Seitenwind, und das Gegenwindproblem auf die letzten 30 km zu verschieben. Bis dahin kann mag er aber auch drehen. Knifflig. Ich fahre weiter.
Die Emmericher Rheinbrücke
Eigentlich wollte ich auf der Brücke ein mitgebrachtes Puddingteilchen essen, aber da war es zu kalt und zu windig. Am Grenzkanaal halte ich an, mache ein kleines Foto und verzehre das Teilchen, was mir eine Stunde später noch im Magen zwickt. Aber es war lecker, und schiebt mächtig.
Deutsch-Niederländischer Grenzübergang
Eine Weile geht es jetzt nach Osten, genau in den Wind, über Felder ohne Hecken, Wäldchen oder Bebauung. Teilweise fühlt es sich an, als ob mir einer Klebstoff ins Tretlager gekippt hätte. Ich fahre viel im Unterlenker, und die neue Tasche bewährt sich glänzend. Sie verursacht viel weniger Widerstand als eine Seitentasche am Gepäckträger. Dann geht der Kurs wieder überwiegend auf Süd, und ich komme besser voran.
Langsam kommen erste Tropfen runter, im Münsterland muss ich noch eine Flasche füllen, um einigermaßen durchzukommen. Und es zeichnet sich ab, dass ich dabei bin, den Wasserverbrauch zu senken. Sonst rechne ich einen Liter Wasser (mit 80g Maltodextrin+Salz) auf 35-40 km, jetzt komme ich 50 km weit. In einem Hotel-Restaurant ignoriert man mich (hab ich auch noch nicht erlebt), dafür hilft später eine reservierte, aber sehr freundliche Köchin, die an der Außentür steht und eine Zigarettenpause macht.
Das Münsterland durchquere ich unspektakulär, ein Brötchen und einen Apfel esse ich auf meiner Lieblingsbank zwischen Wesel und Raesfeld bei km 160. Von hier gebe ich sonst meinen Liebsten Bescheid, dass ich bald da bin, aber die sind gerade verreist (was ich ja auch grade nutze).
Leider setzt jetzt Regen ein. Der laufende Motor hält mich zwar warm, aber bei 3°C kaltem Wasser werden die Finger langsam taub.
Bremsen kann ich zwar, aber nur in den Bremsgriffen. Das Trinken aus den Flaschen geht auch nicht mehr gut, nur mit Kraft dran nuckeln hilft, zusammendrücken geht kaum noch. Der Wind erstirbt, da ich mich nun im Zentrum befinde. Hab ich auch von Sven P. gelernt.
Ein Planungsfehler führt mich durch drei Waldstücke mit unbefestigten Wegen (mannmannmannichhattediedochschonrausgebügeltwiesoistndasnochdrin?!), und das Gerappel gibt meinen Fingern den Rest. Außerdem muss ich wegen Schlamm das Tempo drastisch reduzieren, was meine Laune nochmal verschlechtert. Ab Bottrop hab ich kaum noch Gefühl in den Händen.
Bremsen funktioniert aber noch, sonst hätte ich abbrechen müssen.
Irgendwann erreiche ich Essen, und gerate im Stadtverkehr an einen alten Herrn, der an einer roten Ampel die Scheibe runterfährt, und mich im strömenden, eiskalten Regen aufklärt, mein Rücklicht sei sehr schwach aber es ginge grad noch, es sei in Ordnung. Irgendwie hebt das meine Stimmung wieder...
Zuhause angekommen taue ich erstmal auf. Die Hände sind binnen einer Stunde wieder da (die Feinmotorik braucht noch bis morgens), und ich konnte sogar meinen Schnitt ein wenig verbessern. Ein tolles Gefühl, den widrigen Bedingungen getrotzt haben. Die Regenjacke hats wohl gerettet: Die Membran hält den Wind gut ab, und hält so ein wenig die Wärme drin.
Eine gute Vorbereitung auf die Langstreckensaison!