AW: Eure Rennberichte...
Engadin Radmarathon 6.7.2008
211 KM, 3827 HM
Einer hatte seinen Schlafsack vergessen und schlief die Nacht bei 9°C in Bläßchenfolie eingehüllt in seinem Sprinter. Die allgemeine Müdigkeit am Start um 7.00 morgens in Zernez war nach dem Startschuß und dem allseits hörbaren Pedalklicken rasch vergessen, als die 1500 Radsportfreunde ihren Rhythmus am ersten Anstieg suchten. So ging es in lockerer Stimmung Richtung Ova Spin (Ofenpass, 1832m):
Mit einer Gruppe lautstark palavernder Italiener, deren italiensiche Sprachfetzen im Unt la Schera Tunnel widerhallten, ging es flüssig Richtung Italien:
In einer großen Gruppe, aus Bayern, Holländern, Italienern und vielen anderer ging es durch lange Viadukte flüssig mit 40+ x Richtung Livigno.
Irgendein Bedürfnis an der ersten Labestation anzuhalten bestand bei den Wenigsten.
Dann stand der 2. Anstieg zum Forcolapass (2315m) an. Es wurde ruhiger in den Gruppen, das Feld zog sich auseinander, man freut sich über ein kassiertes Hinterrad - andere freuen sich, wenn sie einen kassieren.
Ich lies es locker angehen, Puls zwischen 150 - 160/min, nur nicht überziehen. Nach einer Zwischenabfahrt und der Rückkehr in die Schweiz kommt der Anstieg zum Berninapaß (2328m):
Herrlich, wie man in die langgezogenen Serpentinen einsehen kann, die Gletscher der Diavolezza und die Wolkenfetzen welche Abschnitte des tiefblauen Himmels freigeben. Jeder fährt seinen Rhythmus hoch, es wird kaum gesprochen, es ist ein stiller, introvertierter Kampf jedes einzelnen.
Ich fotografiere ein Mädchen und freue mich, daß auch mal jemand lächelt und wundere mich, daß ich mit meinen 39/26 bis jetzt ganz gut hochkomme.
Für Stimmung sorgt wohl der Anhang von einigen der zahlreichen Bayern:
Bei so bezauberndem Support habe ich auch die Labestation auf dem Berninapaß rasch erreicht und ziehe mir ein paar Orangen, Bananen und reichlich Cola rein. Nach ein paar Minuten geht`s schon weiter - nur keine kostbaren Minuten verlieren - dann surren die Laufräder bei Südwind mit 89 Km/h den Bernina runter. (Gib` Autos keine Chance). Der Bahnübergang mit eingebauter Sprungschanze ist - wie der gesamte Marathon - vorbildlich durch Streckenposten gesichert - und wird mit 50 (ohne Abheben) genommen, dann gibts ein paar Schräglagen-Duelle gegen Harleyfahrer (diese Fettsäcke) in den Serpentinen hinab nach Pontresina. Jetzt heißt es Gruppe suchen nach Zernez. Diese ist auch schnell gefunden. So geht es immer leicht bergab Richtung Zernez, hier ist eine 4 links auf dem Tacho Pflicht. Eigentlich wollte ich mich hinten reinsetzen, aber vor mir werden es immer weniger, 4 - 3 - 2 - einer noch und jeder führt anständig mindestens 3 bis 4 Minuten. Tja, da ist es ist wohl reine Ehrensache sich auch ein paar Minuten reinzuhängen. Der erste löst ab, jetzt bin ich dran. Ausgangstempo war bei so zwischen 43- 45 Km/h, idas ich kann gut halten, die Pulsuhr geht gegen 175/min, meine Beine sind aber immernoch ganz locker. Sei es eine Windböe oder ein paar Promille mehr Gefälle - der Tacho steht plötzlich jenseits 50 +. Ich verpulver hier zwar meine Reserven, aber es ist einfach zu faszinierend und ich bleibe relativ lange vorne. Irgendwann setz` ich mich wieder weiter hinten rein, aber nicht weit genug hinten, so daß ich schneller als mir lieb ist, wieder mit Führen dran bin. Na, ja. Dann geht´s es über einige Kurven, einem wachsamen Auge, ständigem Antippen der
Bremsen und Beschleunigen nach Zernez. Die kurze Strecke (97 Km, 1325 Hm) ist also nach 3:18 h geschafft, die Labestation lasse ich aus - jetzt geht die RTF eigentlich erst richtig los. Bislang war es trocken und Radsport vom Feinsten.
Als Grupetto fahren wir nach Susch, dann geht es hinauf zum Flüela.
Am Anfang übe ich mich zusammen mit einem Lindauer in Selbstironie und wir fahren mit schwarzem Humor die ersten Steilstücke. Mit meinen 39/26 habe ich eine Trittfrequenz in Slow Motion - da hilft nur ab und zu in den Wiegetritt zu gehen.
Da bemerkt der Lindauer - Kollesch, daß da Radler in Regenkleidung vom Flüela runterkommen - was er - zutreffenderweise - als schlechtes Zeichen deutet.
Dann kommen immer mehr enttäuscht dreinblickende Marathonteilnehmer den Paß heruntergefahren. Sie haben wegen des Wetters aufgegeben.
Wie schlimm wird es oben werden ? Ich habe nur ein Wolltrikot, aus Übermut und Freude meinen Kollegen am Vorabend zu treffen habe ich meine Regenjacke nicht mitgenommen. Ich bin dem Wetter schutzlos ausgeliefert. Ich könnt mich schwarzärgern über soviel Leichtsinn.
Ja, und eigentlich hat es schon lange zugezogen - kommt nun auch der Regen, anfangs leicht, dann stärker, dann laufen Bäche die Straße herab und es wird immer finsterer:
Wie ein mühsamer, demütiger kleiner Käfer krieche ich den Flüelapaß (2383m) hoch. Immerhin habe ich noch die Luft jemanden anderen aufzumuntern, den ich überhole. Oben zeigt mein Tacho 9°C, es weht ein schneidender Wind, der mir sofor die Körperwärme aus dem patschnassen Wolltrikot zieht und ich friere wie ein Schneider:
Nach kurzer Rast an der Labestation, zwingt mich die Kälte rasch wieder nach unten. Es war mir klar bei der Abfahrt nun die Komplettdusche zu kriegen. Sollte zufällig eine Faser noch nicht durchnäßt gewesen sein - so ist sie es mit Sicherheit nach dieser Abfahrt. So war es dann auch.
Frieren und Zittern, Zähneklappern und richtiges Frieren sowie die Sorge mir eine Lungenentzündung holen waren angesagt.
Eine nervige Abfahrt in reichlich Auto- und Motorradverkehr, Baustellen und roten Ampeln (gut zum Pissen) nach Davos folgte.
In Davos fiel Starkregen. Viel sah ich durch meine dunkle Sonnenbrille nicht mehr. (Da -5 dpt geht`s aber auch nicht ohne Brille)
Mittlerweile war ich allein und wußte auch nicht mehr ob ich noch auf der richtigen Route war. Als von hinten 2 weitere Teilnehmer kamen war ich sehr froh mich wieder an ein Hinterrad klemmen zu können.
Jetzt gings wieder bergab und der Vordermann fuhr volles Rohr. Vom Tacho habe ich nix mehr gesehen, aber Autos haben uns kaum noch überholt. Der hörte vorne nicht auf Tempo zu machen, trotz Starkregen, laufenden Bächen auf der Straße und Baustellen. Bei Glaris fuhren wir mit geschätzten 50+ in ein langes dunkles Tunnel, in dem ich mit meiner beschlagenen Sonnenbrille praktisch nur noch ein paar Neonröhren an der Decke sah. Nach unten waren weder Straße noch Räder zu sehen. Es war schon ein schwammiges Gefühl so im Dunkeln mit geschätzen 45 - 50 ohne Licht durch dieses lange Tunnel zu rasen.
Ich sehnte mir den Anstieg zum Albula herbei damit es mir endlich wieder wärmer werden würde. Es kam ein Zwischenanstieg, dann ging es aber immer weiter hinab, bis mein Höhenmesser irgendwas von 1098 oder so zeigte, bevor er ganz seinen Geist aufgab. Es ging durch Alvaneu, Filisur, Bergün und dann kam der lange Anstieg zum Albulapaß.
Er hatte lange, gleichmässige, nicht übertrieben aber konstant schwere Steigungspassagen mit wenigen flacheren Stellen. Er saugte die Kraft langsam aber gründlich aus meinen kalten Oberschenkeln raus. Er schien einfach nicht aufhören zu wollen. Mittlerweile ohne Brille sah ich nicht mehr beonders viel, aber bei 8 - 9 Km/h braucht man auch nicht so viel zu sehen. Was ich sah war Nebel, Regen, eine nasse, immer ansteigende Straße, Wolken und grüner Wald. Ohne Höhenmesser wartete ich, bis die Baumgrenze kam, um davon ausgehen zu können, endlich über 2000m zu sein. Die kam aber einfach nicht.
Es schien nicht aufhören zu wollen. Mein Puls sank immer weiter runter, zum Schluß kam er nicht mehr über 125 BpM. Es war einfach keine Kraft mehr da. Endlich kamen die ersten Geröllfelder, und der Zweifel ob die sichtbare Kuppe die letzte sein wird oder nicht. Es war natürlich nicht die letzte, es kamen weitere. schließlich wurde die Paßhöhe sichtbar. An und für sich harmlose Passagen die noch zwischen mir und der Paßhöhe standen wurden zum Hindernis. Lange hätte es nicht mehr dauern dürfen. Dann das Schild: Labe 500m. Noch 500m zur Verpflegungstation, verdammte 500m, dann ist es geschafft. Oben stopfte ich gierig 2 Käsesemmeln in mich rein, putzte meine Brille und fror mal wieder.
Dann ging es - wieder rasch - zitternd den Albula (2315) runter. Mit klammen Händen war es eine Abfahrt, die wenig Freude machte.
Ich war froh endlich wieder in La Punt zu sein, dann ging es dieselbe Strecke wie heute morgen statt mit 50 Km/h mit 38 Kmh nach Zernez. Etwa ein Drittel war ich allein, dann kam nochmal eine 8er Gruppe zusammen und es wurde wieder geholzt, die Kurven runter bei Näße allerdings vorsichtiger.
Mein rechter Arm war irgendwie so verspannt, daß ich nicht mehr Hochschalten konnte, so daß ich im Strampelgang nach Zernez kurbelte, da ich nicht im zu schweren Gang steckenbleiben wollte.
Nach 9:15 Stunden Bruttozeit war ich dann im Ziel.
Es waren die Schwerkaraft und die Witterung (falsche Klamotten) die ihren Tribut gefordert hatten.......
Cu Mark