Stadtmenschen sind komisch. Man sollte meinen, dass sie es gewohnt sind, sich den limitierten Lebensraum Stadt mit anderen Menschen zu teilen. Wenn nicht sie dank tagtäglicher Übung besondere Fähigkeiten haben, spielend leicht mit anderen Menschen umzugehen, so dass alle Beteiligten stressfrei ihres Weges gehen können, wer dann? Wieso sollten es ausgerechnet Landmenschen besser können?
Da ist heute morgen diese Frau, die an der roten Fußgängerampel wartet. Sie hat ein Baby in einer Tragehilfe vor ihrer Brust. Ich fahre auf der für Radfahrende freigegebenen Busspur bis an den Fußgängerüberweg heran und halte dann an der für den Straßenverkehr ebenfalls roten Ampel, um dann in Kürze genau wie sie bei Grün die Straße zu kreuzen. Es ist tatsächlich so vorgesehen, dass hier Radfahrende die Straße an diesem Überweg queren; hier verläuft eine Radvorrangroute.
Wie ich mein Rad langsam zum stehen bringe und dabei die rote Fußgängerampel im Blick habe, lenke ich mein Rad schon weit ein. Ich stehe halb vor dem Auto, das auf der rechten Fahrspur wartet. Die Frau räuspert sich laut. Ich blicke zu ihr, sehe den Babyknubbel vor ihrem Oberkörper, blicke wieder zurück vor mir auf die rote Fußgängerampel. Wundere mich über das Räuspern. Galt es mir? Beginnt sie schon jetzt mit der Verkehrserziehung ihres schlafenden Kindes und will mich darauf hinweisen, dass auch ich eine Vorbildfunktion für ihr Kind habe und es tunlichst unterlassen soll, über die noch rote Ampel bis zur Straßenmitte zu rollen?
Die Ampel springt auf grün und ich rolle los. Keine Ahnung, wie es diese Mutter geschafft hat, im gleichen Augenblick loszuspurten, um mich dann von kurz hinter mir empört anzublöffen. Sie hätte ja extra auf sich aufmerksam gemacht, damit ich sie wahrnehme, damit ich sie nicht einfach gedankenlos über den Haufen fahren würde. Und jetzt das!
Es muss die Hitze der Stadt sein, die bei null Grad Celsius im Winter in ihr brodelt. Ich gebe ihr den Schlafmangelbonus und auch der von Mutter Natur aus dem Gleichgewicht gebrachte Hormonhaushalt wird seinen Anteil daran haben, aber ist ein mindestens drei Meter breiter Überweg für eine zu Fuß gehende Mutter, die ein ohne Zweifel besonders schützenswertes Baby umgeschnallt hat, und einen Radfahrenden, der sich eine Busspurbreite vor ihr aufgestellt hat, und ansonsten keiner weiteren Person mehr, nicht breit genug? Sind diese gestrichelten Linien, die den Überweg nach links und rechts begrenzen, vorgegebene Ideallinien für übernächtigte Mütter, auf denen diese Vorrang haben?
Manchmal verstehe ich die Menschen nicht.