Dass jeder alte Rahmen mit originalem und vielleicht sogar gut erhaltenem Lack historisch interessanter ist, als ein Rahmen ohne diesen, ist sicher richtig. Und ich halte es für wichtig, originale Oberflächen zu erhalten und auch dafür zu werben.
Dass ein Rahmen aber mangels Lack zwangsweise "keinerlei historische Relevanz" mehr hat oder haben kann, ist sicher nicht richtig. Ich denke, das muss man bei jedem Objekt individuell bewerten und entscheiden.
Originale Oberfläche ist ja nur ein Aspekt für die historische Bedeutung eines Objektes und in vielen Fällen nicht unbedingt der wichtigste.
Diese Bedeutung "fetischhaft" auf originale Lackierungen zu reduzieren, wie heute häufig gemacht, hallte ich für falsch und auch gefährlich, denn im Umkehrschluss wäre dieses ja der Freibrief, alles ohne originale Oberfläche ungesehen zu zerstören oder zu entsorgen.
Wie groß die Bandbreite ist, erkennt man vielleicht an der großen Bedeutung der originalen Oberfläche zum Beispiel bei Gemälden und der eher geringeren Bedeutung bei historischen Gebäuden (Farbe, Außenputz).
Individuelle Bewertung ist sicher das richtige Stichwort und das was auch diesem Rahmen habe angedeien lassen.
Ginge es darum, eine
alte Lackierung und damit meine ich
nicht nur die originale, sondern auch alle, die danach (in würdigbarer Art und Weise) aufgebracht wurden, abzutragen, wäre ich wie ihr auf den Barikaden. Aber hier gibt es nichts mehr zu erhalten; stattdessen geht es ja eher um die Wiederbelebung einer Leiche.
Aus einem blanken Fetzen Leinwand würde man auch kein altes, im Krieg zerstörtes Meisterwerk rekonstruieren, nur weil die Spektralanalyse gezeigt hat, dass der Fetzen mal auf die Rückseite des Bilderrahmen genagelt war.
Zur Geschichte gehört auch der Mangel an allem Möglichen in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Da wurde recht hemmungslos kombiniert, was verfügbar war. Wenn man an den D67 Rahmen Teile montiert, die in den frühen 50ern verfügbar waren, kommt dabei ein Fahrrad heraus, das so oder ähnlich damals benutzt wurde. Es vermittelt zumindest das Fahrgefühl einer Rennmaschine aus der Zeit.
Genau das kann manches Rad im Originalzustand nicht leisten, weil
Sattel,
Reifen,
Bremsbeläge und Seilzüge nicht mehr brauchbar sind.
Im Laufe der Jahrzehnte blebt dann oft wenig vom Auslieferungszustand erhalten. Die "Grenze des guten Geschmacks" ist für mich allerdings überschritten, wenn eine komplette 11-fach Gruppe und Carbonteile an einen Vorkriegsrahmen montiert werden.
Alles richtig und ein authentisch gewachsenes Rad sollte man auch so erhalten. Habe ich mit meinem 67er auch gemacht und habe ihm sogar seine Unfahrbarkeit gelassen, weil es zu einem Zeitpunkt war, als man mir im Restaurierungsfall noch unterstellt hätte, dass ich nur zu faul gewesen wäre, die richtigen Teile zusammenzusuchen.
Dennoch würde ich nicht soweit gehen und irgendwo wahllos eine Linie ziehen, bis wann Teile montiert werden durften.
Wie würdest du folgendes Modell 67 bewerten?
https://www.ebay-kleinanzeigen.de/s-anzeige/diamant-rennrad-ddr/665747837-217-3952
Generalsaniert in den 80er Jahren inkl. Austausch des kompletten Hinterbaus, der Gabel und aller Teile.
...Vor dem WK war der 67er einer der begehrten Rennradrahmen seiner Zeit und auch nach dem WK dürfte er noch oft im Renneinsatz gewesen sein und zwar im Osten wie im Westen. Im Osten kam der Nachfolger erst Mitte der 50er auf den Markt und dürfte vermutlich für viele zunächst unerreichbar gewesen sein. Und auch im Westen dürften nicht viele Rennfahrer in der Lage gewesen sein, für einen neuen Renner 2 Monatsgehälter oder so auf den Tisch zu legen. Also wurde gefahren, was noch im Schuppen stand, zB der 67er vom Vater, der nicht aus dem Krieg wieder gekommen ist. Neuer Lack auf den Rahmen, peu à peu, wie man mit dem Geld hinkam, neue Schaltung,
Bremsen, Laufräder dran und man blieb im Rennen. Und das ist die "historische Relevanz" dieses Rahmens, die, so jedenfalls meine Meinung, bei einem Neuaufbau auch gewürdigt werden sollte. Und das unterscheidet diese Art von Rahmen auch von einem beliebigen 80er/90er-Jahre Stahlrahmen, den ich mir ins Haus hole, weil er mir gefällt und den ich mir nach meinem Gusto aufbaue. Da kann ich mir dann auch topmodernes Zeug dranbauen als reizvollen Kontrast zu der altmodischen Optik des Stahlrahmens. Aber bitte nicht an so einen Geschichts- und Geschichtenträger wie den Diamant, um den es hier geht.
Ein Neuaufbau im vermeintlich klassischen Nachkriegsstil ist in meinen Augen aber noch eine größere Geschichtsverfälschung, als der krampfhafte Aufbau von Rädern in Katalogausstattung. Mit einer alten Renovierungslackierung, die wenigstens noch den Zeitraum vorgibt, vielleicht noch denkbar, aber eine Nachkriegslackierung zur heutigen Zeit nachempfinden? Wirklich?
bei der Suche nach etwas ganz anderem, bin ich Heute über diese Variation eines D67 gestolpert... sollte es über die Jahre so "gewachsen" sein, fände ich es zu
100% historisch authentisch.
https://www.flickr.com/photos/classic-lightweights/albums/72157622174046006
Hübsch, aber kurz nach den Aufnahmen aller Authentizität zum Trotz gestripped ...
Auch sind Originalteile, oder 50er Jahre Teile, mittlerweile sehr teuer, da alle scheinbar das Gleiche machen.
Naja zeitweise wird mal das gleiche gemacht. Als nächstes kommen die Sammler vielleicht darauf, dass Rahmen viel weniger Platz wegnehmen und auch toll aussehen und dann wird wieder alles auseinander gebaut