Habe mir wegen der immer wieder aufkommenden Diskussionen rund um die Seiler-Intervalle und Berichte, dass Sportler die Intervalle bei X% der FTP kaum umgesetzt bekamen, die Original-Studie nochmal angesehen. Ein paar Anmerkungen dazu. In der Arbeit von Seiler von 2013 wurden die Intensitäten der Intervalle nur qualitativ, nicht aber quantitativ vorgegeben, es existieren keine Angaben darüber, bei wieviel % der FTP die Intervalle tatsächlich absolviert wurden (Der Begriff FTP kommt in der Studie nicht vor). Die Probanden konnten die Intensität der Intervalle selber bestimmen, die Anweisung lautete, die Intervall- Sessions mit der "maximal sustainable intensity" zu fahren. Es gab nicht nur keine Wattvorgabe, auch keine zur Hf. Die Hf für die Intervall-Sessions wurde zwar aufgezeichnet, wurde aber lediglich zur nachträglichen Auswertung der Intervall-Sessions herangezogen. Hier die Beschreibung der Intervalle aus der Studie:
Anhang anzeigen 1231735Es gibt in der Studie zwei Hinweise zur konkreten Intensität der Intervalle. Der erste findet sich in der obigen Tabelle in Form der Hf-Angaben. Wie man der Beschreibung der Tabelle entnehmen kann, sind die dokumentierten Hf-Angaben ermittelt als Durchschnitt über die letzten 25% der Arbeitsperioden in den Intervallen. Ich interpretiere das so, dass z.B. bei den 4*8 min. der Durchschnitt über die letzten 2 Minuten aller vier Intervalle genommen wurde, bei den 4*4 der Durchschnitt über die letzte Minute aller vier Intervalle. Angegeben ist die Hf als % der HfPeak, wobei HfPeak laut Studientext der Durchschnittswert über die letzten 5 Sekunden eines Stufentests sind. HfPeak liegt damit zwar sehr wahrscheinlich in der Nähe der Hfmax der getesteten Sportler, ist aber nicht zwingend identisch (wie hoch die Hfmax der Probanden war, wurde in der Studie nicht untersucht).
Laut Tabelle erreichten die Teilnehmer in den drei Gruppen (4*16,4*8,4*4) bei den Intervall-Sessions am Ende der Intervalle im Durchschnitt Hf-Werte von 88, 90 und 94% der HfPeak. Im wieder wird postuliert, dass "echte Vo2max-Intervalle" möglichst viel Zeit mit einer Hf von mehr als 90% der Hfmax auslösen sollten um das HKS auszubelasten. Wenn meine oben skizzierte Interpration der Hf-Messwerte zutreffend ist, erfüllen die häufig als VO2max-Intervalle "interpretierten" 4*8 in der Seiler-Studie das 90% Kriterium nicht bzw. nur am Ende, also allenfalls sehr stark eingeschränkt. Das ist angesichts des Intervall-Designs - mit lediglich 2 min. Pause zwischen den Intervallen - eigentlich auch nicht verwunderlich. Die kurze Pause zwingt einfach dazu, die Intensität zu kontrollieren, sonst schafft man das Programm in vielen Fällen nicht. Intervalldesign und Hf-Angaben sprechen mEn dafür, dass die 4*8 eher als Treshold-Intervalle gefahren wurden, denn als echte Vo2max-Intervalle.
Von den von Seiler untersuchten Intervall-Programmen können nur die 4*4 uneingeschränkt als "klassische" Vo2max-Intervalle gelten. Die 4*4 wurden auch von den Studienteilnehmern als besonders anspruchsvoll wahrgenommen, wie die Angaben zu RPE in der Tabelle zeigen (der RPE lag im letzten Intervall der 4*4 im Durchschnitt bei über 19, Maximum der verwendeten Skala ist 20!). Eine konkrete Wattvorgabe lässt sich daraus aber auch nicht ableiten..
Im Text der Studie gibt es noch einen weiteren Hinweis auf die Intensität der Intervalle. Dort ist zu lesen, dass die Leistung der 4*16 min. Intervalle bei etwa
100% der Leistung an der zweiten ventilatorischen Schwelle VT2 gefahren wurden, die 4*8 bei 113% und die 4*4 bei 131% der Power@VT2. Leider ist aus diesen Angaben aber auch nicht auf die Relation zur FTP zu schließen. Wer sich mal die Mühe macht und in den einschlägigen Quellen nach Studien zum Verhältnis der VT2 und FTP sucht, wird feststellen, dass zwar eine hohe Korrelation anzunehmen ist, es aber nur eine überschaubare Anzahl von Quellen gibt (weit weniger als etwa zum Verhältnis von FTP und IANS) und die Ergebnisse im Detail widersprüchlich sind
In einer Studie von Nusser lag die VT2 ganz erheblich über der FTP.
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Es gibt auch noch zwei weitere Studien, die aber ebenfalls nur schwer interpretierbare (und zudem widersprüchliche) Hinweise liefern.
https://www.iat.uni-leipzig.de/datenbanken/iks/bdr/Record/4065105https://www.iat.uni-leipzig.de/datenbanken/iks/bdr/Record/4076092
Vermutlich gibt es bei vielen Trainingsinstituten schon größere Datensätze zum Verhältnis FTP <> VT2, die eindeutige Antworten geben, die sind nur scheinbar nirgendwo veröffentlicht oder ich habe sie nicht gefunden.
Zusammenfassend lässt sich meiner Meinung feststellen, dass es ein Irrweg ist, die Intervalle aus der Seiler-Studie zu nehmen und mit irgendwelchen %-Angaben in Bezug zur FTP zu verknüpfen. Das ist nicht kompatibel mit der Grundidee der Studie, die eben nicht darin besteht, Intervall-Intensität kleinteilig vorzugeben, sondern den Sportlern selber zu überlassen, wie sie die Intensität wählen, mit der Maßgabe, die Intensität soll "maximal" und "sustainable" sein (eigentlich ist das nichts anderes als die Anwendung des Leitsatzes "All you can do is all you can do"). Zudem liefert die Studie offensichtlich auch gar keine Daten, mit denen eine einfache Umrechnung in % der FTP möglich wäre.
Außerdem spricht einiges dafür, dass die berüchtigten 4*8 nicht als Vo2max, sondern in der Studie als Threshold-Intervalle gefahren wurden. Dass sie heute häufig als Vo2max-Intervalle interpretiert werden, ist möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass in anderen Quellen (z.B. bei Coggan) 8 min-Intervalle zumeist als (ot längste) VO2max-Intervalle erwähnt werden. Die Intervalle werden aber nicht dadurch effektiver, dass man sie härter macht - im Gegenteil. Die Studie zeigt ja gerade, dass es einen Trade off zwischen Intensität und Dauer gibt. Diese Punkt wird aber augenscheinlich gerne übersehen.
Bei der gesamten Diskussion um Intervall-Programme (nicht nur die von Seiler), wiederholt sich mEn etwas, was man zuvor schon bei der Anwendung von Trainingszonen beobachten konnte. Es dominiert ein stark vereinfachendes und mechanistisches Verständnis von Intensitäten, dass der Komplexität der Fragestellungen nicht gerecht wird und eher dazu führt, dass Sportler bei der Umsetzung von Intervallen frustriert sind, die Programme abbrechen etc.