Genau diese Öffnungszeiten, oft sogar noch unterbrochen durch eine dreistündige Mittagspause, haben bei mir dafür gesorgt, dass meine praktischen Kontakte zu Fahrradläden im sehr überschaubaren Bereich geblieben sind. Für durchschnittlich berufstätige Menschen bleibt schlichtweg keine Zeit für solche Besuche, dafür stehen dann am Samstag die Kunden genervt Schlange, egal ob sie ein komplettes Fahrrad oder nur einen
Schlauch kaufen wollten.
Ausnahmen kenne ich nur noch von früher: Im Dorf meiner Kindheit gab es noch einen Fahrradladen mit unzähligen Holzschubläden aus denen der stets geduldige und freundliche Besitzer nach laienhafter Umschreibung der gewünschten Gegenstände durch den Kunden stets das richtige Teil hervorzauberte. Auch wenn das Geschäft damals auch schon ein hartes Brot war, so war die "nur auf Bestellung"-Mentalität noch nicht so verbreitet, mir schien es so, dass diese Läden vom alten Zuschnitt, zumal auf dem Lande, den Ehrgeiz hatten, alles, was der Kunde eventuell wünscht, auch vorrätig zu haben. Das galt nicht nur für Fahrradteile, sondern auch für Eisenwaren, Werkzeuge etc.
Vielleicht spielt da ja noch eine gewisse Romantische Verklärung mit, auf jeden Fall war dann Anfang der 80er-Jahre, als ich nach Berlin zog, die dortige Fahrradladenszene ein echter Schock, was außer der weiter oben beschriebene Überheblichkeit und Arroganz auch das Angebot und die Fachkompetenz angeht. Einmal bin ich in einem Fahrradladen an der Schöneberger Hauptstraße mitten während eines Verkaufsgesprächs über eine neue Bremse einfach stehen gelassen wurden, als ein anderer Kunde hereinkam und ein neues Mountainbike, die damals gerade der neueste Schrei aus Amerika waren, kaufen wollte. Ich stand noch ein paar Minuten mit offenem Mund herum und kaufte die Bremse dann später woanders.
Positiv erwähnen muss ich viele Fahrradläden in Münster, wo es mich in den frühen 90er-Jahren beruflich hinzog: Überwiegend junge, aber sehr engagierte Mitarbeiter, die stets hilfbereit waren und auch Werkstattarbeiten gerne, schnell und preisgünstig ausführten (damals war ich noch kein Komplett-Selberschrauber). Erstmalig standen dort Leute im Laden, die auch die aktuellen Bikezeitschriften lesen, ganz genau wussten, welche neuen Teile am Markt sind, aber gerade in einer Studentenstadt auch Alternativen für kleine Geldbeutel zu empfehlen wussten, ohne herablassend zu wirken. Da könnte ich eine Handvoll Läden aufführen, die ich mehr oder weniger spontan besuchte und wo ich jedesmal zufrieden war. Ob es dort heute noch so ist, weiß ich nicht, immerhin waren es damal Boomjahre und das Internet noch kein Thema.
Heute nerven bei fast allen Läden der alten Machart die starren Vertriebswege. Wenn ich schon sehe, dass ein Verkäufer auf meine Anfrage hin anfängt, im Hartje-Katalogordner zu blättern, mir dann innerhalb von fast drei Wochen ein falsches Teil bestellt, obwohl ich mir vorher selber auf der Lange-Homepage die richtige
Shimano-Teilenummer herausgesucht ihm gegeben habe…
Immer wieder aufs Neue erniedrigend: Man möchte z.B. fürs MTB ein neues Tretlager kaufen, hat alle benötigten technischen Daten parat, trotzdem kommt die Frage nach der Rechnung des Fahrrades, die man unbedingt bräuchte, um das richtige Teil bestellen zu können. Okay, beim nächsten Mal Rechnung mitgebracht, da kommt dann gaaanz laaangsam der vorwurfsvolle Ausspruch "Das Fahrrad haben Sie aber nicht bei uns gekauft!"
Klar, habe ja auch vorher in einer anderen Stadt gewohnt, bin aber extra zu diesem Shop gefahren, weil es der offizielle Händler für diese Marke ist.
Bestellt habe ich dann ein XT-Lager, geliefert wurde ein passendes (wie alle anderen auch) Lager einer Billigserien von Stronglight, bezahlt hatte ich leider schon bei Bestellung und einfach keine Nerven mehr…
Aber auch Online ist es nicht die Freude, wenn es um Ersatzteile geht: Bei einem online bestellten MTB-Fully-Rahmen der Fa. Würfel ist irgendwann während der Fahrt eine Lagerbuchse verloren gegangen. Der Onlineversender, wo ich den Rahmen gekauft habe bietet zwar nicht die einzelne Buchse, wohl aber ein komplettes Set mit allen Lager- und Dämpferbuchsen, welches für verschiedene Modelle und Baujahre identisch ist, an, leider war es aber gerade nicht vorrätig. Fa. Würfel erklärte mir daraufhin, ich solle mich an den nächsten niedergelassenen Würfel-Händler wenden. Dieser weigerte sich aber, die Buchse für mich zu bestsellen, weil ich das Fahrrad nicht bei ihm gekauft habe.
Ähnlich ging es mir mit einer online bestellten Federgabel, nachdem ein Einstellhebel unterwegs verloren gegangen war.
Zum Glück habe ich jetzt einen Radladen in einem kleinen Städtchen, etwas außerhalb, gefunden, der als Sponsor und Betreuer des örtlichen Radvereins fungiert, unter eigenem Namen Fahrräder zusammenbaut und nebenbei noch einen kleinen Webshop betreibt. Der Besitzer, mit dem man immer noch ein wenig fachsimpeln kann, jammert nicht herum, dass seine EK-Preise aus dem Hartje-Katalog über aktuellen Onlinepreisen liegen, sondern meinte, dass er prinzipiell jeden Onlinepreis halten könne, oder Alternativen sucht, ich soll einfach mal vorbeikommen, wenn ich etwas benötige. Bisher bin ich, insbesondere im Rennrad- und Cyclocross-Sektor, mit Angebot und Service absolut zufrieden. Ist leider über 30km entfernt, in der Großstadt habe ich keinen vergleichbaren Shop gefunden. Hier haben die ZEGgen aber allein durch ihre schiere Größe und Omnipräsenz auch die meisten kleinen Läden kaputt gemacht, das hatte manchmal zur Folge, dass die ehemaligen Besitzer dort einen Job als Verkäufer oder in der Werkstatt fanden und somit zumindest ein kleiner Anteil von Fachleuten dort arbeitet, wenn auch verständlicherweise grummelig und nicht besonders motiviert, genau wie der ehemals selbständige Eisenwaren- und Werkzeughändler, der jetzt bei OBI jobben darf. So eine Monster-ZEGge, die in den Jahren zuvor bestimmt ein Dutzend kleinerer Läden platt gemacht hat, ist hier kürzlich selber pleite gegangen. Offenbar genügt es nicht, sich tausende von City- und E-Bikes mit einer Armada von parfümierten Verkaufsschwätzern in den riesigen Laden zu stellen, wenn der Rest einfach nicht stimmt.
Also am Ende Ehrenrettung und Licht am Ende des Tunnels für die Händlerzunft, zumindest für diejenigen, welche die Zeichen der Zeit erkannt haben und sich von den antiquierten Vertriebskonzepten verabschiedet haben.